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Die Welle an Kirchenaustritten katholischer Christen nimmt in Essen immer größere Formen an. Allein im April traten 229 Menschen aus. Auch bei den Homosexuellen wird Protest laut.

Die Welle an Kirchenaustritten katholischer Christen nimmt in Essen immer größere Formen an: Im April meldeten sich 229 Mitglieder bei Amtsgerichten aus ihrer Kirchenheimat ab - das ist mehr als doppelt soviel wie im April des Vorjahres. Im März 2010 zählte das Bistum in Essen noch 161 Austritte, im Februar 78. Im Bistum reagieren Mitarbeiter mittlerweile besorgt - und überlegen, wie man die Austrittswelle stoppen kann.

Den Anstieg führt die Essener Kirchenspitze auf die monatelange Debatte um Missbrauch von Amtsträgern zurück - und auch auf die jüngsten harten Äußerungen des neuen Ruhr-Bischofs Franz-Josef Overbeck gegenüber Homosexuellen. In der Fernseh-Talkshow „Anne Will“ hatte er in einer emotionalen Debatte im April gesagt: „Homosexualität ist eine Sünde. Das widerspricht der Natur von Mann und Frau.“

Bischof sieht sich zu Unrecht in falsche Ecke gedrängt

Bundesweit hagelte es Proteste. „Wir sind heute noch damit beschäftigt, die vielen Briefe und Mails zu beantworten“, sagt Bistums-Sprecher Ulrich Lota. Der Bischof selbst sieht sich zu Unrecht in eine falsche Ecke gedrängt. Die Fernseh-Show sei nicht geeignet gewesen, differenziert dieses heikle Thema darzustellen, meint er.

Nun will Overbeck aus der Defensive kommen: Am Mittwoch redet der Bischof im Essener Dom in einer öffentlichen Veranstaltung ab 19.30 Uhr mit der früheren Bundesgesundheitsministerin und Grünen-Politikerin Andrea Fischer. Das Thema: „Worauf es ankommt“. Dabei soll auch die Sexualmoral der Kirche beleuchtet werden. Das Bistum hält es mittlerweile für notwendig, anders mit Gläubigen und Zweiflern in der Kirche umzugehen. Ein Arbeitskreis soll Maßnahmen entwickeln, wie man Kirchenmitglieder wieder stärker an sich bindet.

kirchenaustritt im Kopf noch immer ein Tabu

So denkt man darüber nach, deutlicher zu machen, wie wichtig die Kirchen fürs soziale Zusammenleben in einer Stadt sind. „So könnte man die Verwendung der Kirchensteuer-Gelder für alle transparenter darstellen, etwa mit einer Bilanz“, sagt Lota. Zudem will sich Overbeck die Entwicklung in Süddeutschland genau ansehen: Dort lädt gerade Bischof Fürst alle frisch Ausgetretenen zum Gespräch ein, um Gründe zu erforschen. Bei Erfolg könnte diese Maßnahme im Bistum nachgeahmt werden.

Die WAZ fragte daher Leute in der Fußgängerzone nach ihrem Verhältnis zur Kirche. Doch es ist weiter ein Tabu, öffentlich über Glauben zu sprechen, erst recht über einen Kirchenaustritt: Von über 30 Befragten wollten sich keiner bekennen. Die Wenigen, die sich äußerten, verstummten bei der Frage nach ihrem Namen. Sie sorgen sich über negative Reaktionen von Nachbarn, Chefs und Kunden, wenn diese über den Kirchenaustritt erfahren.