Essen. Luidger Wolterhoff stammt aus einem Gelsenkirchener Haushalt, in dem noch eine für das Ruhrgebiet der sechziger und siebziger Jahre typische Gewissheit galt: „Wenn Du fleißig lernst, wirste auch was”. Der Vater war Schlossermeister, die Mutter Schneiderin, und beide glaubten an die Formel vom Aufstieg durch Bildung.

„Heute ist diese Hoffnung in vielen Familien verlorengegangen”, sagt Wolterhoff. Das bekümmert den 48-Jährigen in doppelter Hinsicht - als Chef der Essener Arbeitsagentur und als Diplom-Theologen.

Es kommt häufiger vor als vermutet, dass sich Theologen in den Dienst der Arbeitsverwaltung stellen; obwohl der Weg zwischen transzendentalen Fragen und Transferleistungen so furchtbar weit scheint. Der Leiter der Düsseldorfer Arbeitsagentur ist zum Beispiel Theologe wie Wolterhoff, der zudem Diplom-Ökonomie studiert hat. Über die katholische Jugendarbeit fand er in die Arbeitsagentur. Im März wechselte er als Leiter der Bochumer Agentur nach Essen, im Januar 2010 geht es weiter in die Regionaldirektion nach Düsseldorf, wo er zweiter Mann in NRW wird. Noch heute engagiert sich Wolterhoff im Diözesanrat des Bistums Essen, und wenn man ihm zuhört, wird rasch klar, dass auch der vermeintlich dröge Job der Job-Vermittlung voller ethischer Fragen steckt.

„Arbeit gehört zum Menschsein”, sagt Wolterhoff. Er verteidigt den Anspruch jedes Menschen auf Arbeit. „Allerdings gibt es keinen Anspruch auf die schönste Arbeitsstelle der Welt”, differenziert er. Deshalb kann er auch guten Gewissens die Arbeitsmarktreformen unterschreiben, die gemeinhin mit „Hartz IV” verbunden werden. Das Prinzip des Forderns und Förderns sei im Grundsatz richtig. Viel zu lange habe die Arbeitsverwaltung in Deutschland zu wenig Wert auf Nachhaltigkeit im Sozialwesen gelegt. Es sei keineswegs sozial, Menschen über Jahre von einer Umschulung in die nächste zu schicken oder Arbeitslosigkeit dauerhaft zu alimentieren. Nachbesserungen will sich Wolterhoff gleichwohl in der aktuellen Gesetzgebung nicht verschließen. Es berührt sein Gerechtigkeitsempfinden, dass Menschen, die lange Arbeit hatten, heute innerhalb nur eines Jahres in die vollkommene Bedürftigkeit rutschen können.

Führt ein Theologe eine Arbeitsagentur anders als ein klassischer Controller? „Ich bin vielleicht sensibler für soziale Fragen”, sagt Wolterhoff. Er ist gleich in die Führungsebene der Behörde eingestiegen, hat nie selbst als Arbeitsvermittler gearbeitet. Vielleicht deshalb interessiert er sich auffallend häufig für jene Fälle, die mancher etwas abwertend als „Einzelschicksale” abtut. Es kommt zuweilen vor, dass der Chef den Menschen zur Akte sprechen will, und sei es nur am Telefon. „Nur so bekomme ich ein Gefühl für das Problem”, erklärt Wolterhoff.

Die heutige Arbeitswelt gibt auch einem Experten wie Luidger Wolterhoff zuweilen Rätsel auf. Es gebe die einen, die sich als Mensch vollkommen über ihren Beruf definierten, die sich bis in die soziale Vereinsamung von ihrem Streben nach Erfolg und Status auffressen ließen. Und es gebe jene, die nicht mehr daran glauben, dass man mit Anstrengung etwas erreichen kann. Um die erste Gruppe kümmert sich im besten Fall der Psychologe, für die zweite sind Wolterhoffs Mitarbeiter zuständig. Der Arbeitsagentur-Chef glaubt, „dass es keinen Menschen gibt, der keine Arbeit will, die Spaß macht”. Den Weg dorthin zu weisen, über Zumutbarkeitsgrenzen zu reden, Auswege aus dem Kreislauf von Resignation und Rückzug zu durchbrechen – das sind für ihn die Aufgaben an der Grenzlinie zwischen Kirche und Politik. Es gehe dabei nicht nur um Geld: „Seinem Kind etwas vorzulesen, kostet nichts - nur Zeit und Zuwendung”.

Moralische Fragen, sagt Luidger Wolterhoff, „sind keine Kategorie der Arbeitsmarktpolitik.” Vielleicht aber schadet es nicht, wenn sie wenn sie jemand kennt.