Essen. Von vorweihnachtlicher Ruhe ist im Rathaus in diesen Tagen nichts zu spüren. Die „Chefgespräche“ zum Haushaltsentwurf 2010 beschäftigen die Verwaltungsmitarbeiter beinahe Tag und Nacht. Die Parteien setzen indes auf einen „Bürgerhaushalt“, bei dem Essener im Internet Sparvorschläge machen können.
Es ist kein gewöhnlicher Etat, der da in Vorbereitung ist. Mit dem nächsten Haushalt, über den im Frühjahr der Stadtrat zu befinden hat, will der neue Oberbürgermeister Reinhard Paß (SPD) einen drastischen Sparkurs einleiten, um die vollkommene Überschuldung Essens noch abzuwenden.
Das Sparziel ist bereits formuliert. Um knapp 127 Millionen Euro sollen die Haushaltsansätze des „Konzerns Stadt“, wie Rathaus und Stadttöchter sich nennen, gekürzt werden. Allein 100 Millionen Euro müssen in der Kernverwaltung gespart werden. Der mit 86 Millionen Euro größte Streichposten ist für den größten Verwaltungsbereich Soziales, Bildung, Jugend von Dezernent Peter Renzel (CDU) vorgesehen. Nur verantwortet dieser auch die meisten gesetzlichen Pflichtausgaben, an denen selbst eine resolute Sparpolitik nicht vorbeikommt.
OB Paß und der neue Kämmerer Lars-Martin Klieve (CDU) haben deshalb die Losung ausgegeben, dass das Einsparziel nicht verhandelbar sei, der Weg dorthin aber sehr wohl.
Weg ist verhandelbar, das Ziel aber nicht
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Es wird sich in den kommenden Monaten also um viele liebgewonnenen Leistungen drehen, die wegfallen könnten. Paß hat - für ein Stadtoberhaupt ungewöhnlich prosaisch - in der normalerweise von salbungsvollen Formulierungen umrankten Weihnachtsansprache die Auswirkungen der Sparpolitik deutlich gemacht: „Dass es zu Veränderungen kommen wird, die Sie im täglichen Leben spüren werden, möchte ich nicht verheimlichen”.
Um möglichst breite Akzeptanz für das Sparprogramm zu finden, haben sich inzwischen fast alle Parteien für das Modell des „Bürgerhaushalts” ausgesprochen. Diese Form der Haushaltstransparenz hat sich bereits in mehr als 30 deutschen Kommunen etabliert. Bürger können dabei in einem Internetforum Sparvorschläge machen, die von anderen Diskutanten online bewertet werden. Der Stadtrat greift diese Diskussion auf und überprüft die eigenen Positionen. Prominenteste Bürgerhaushalts-Kommune ist Köln. Die Millionenstadt hat 300.000 Euro in die entsprechende Internet-Seite gesteckt.
Auch wenn einfache Bürger selten Sparpotenziale aufspüren, die weder Kämmereileiter noch Controller vor ihnen entdeckt haben: Die psychologische Wirkung dieser gemäßigten Form der direkten Demokratie wird allenthalben gelobt. Der Bürgerhaushalt schaffe ein Bewusstsein für die Endlichkeit der öffentlichen Mittel und schenke auch jenen eine Stimme, die nicht in Vereinen oder Verbänden organisiert sind. Die Essener Ratsfraktionen sind offenbar auch deshalb so einhellig für einen Bürgerhaushalt, weil sie am Ende die Hand für einen Sparetat heben müssen, der vielen Bürgern sehr Vieles zumutet.
Eine Erfahrung der besonderen Art machte in dieser Hinsicht der Freiburger Oberbürgermeister Dieter Salomon, als er den Kulturetat kürzen wollte. Der Aufruhr der starken Kultur-Lobby im Breisgau war groß, doch im Bürgerhaushalt-Portal gab es unerwartet starken Rückenwind für den OB. Die Freiburger wollten offenkundig eine Umschichtung der Mittel von der Kultur hin zu kommunalen Bildungseinrichtungen.
Inzwischen gibt es mehrere Untersuchungen, die analysieren sollen, wer sich vom Modell des Bürgerhaushaltes zum Mitmachen animieren lässt. In Köln sind sie mit der Resonanz jedenfalls zufrieden. Mehr als vier Millionen Menschen haben die Bürgerhaushalt-Plattform genutzt.