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Friedhelm Balodimos war früher Polizist. Heute ist der 63-Jährige Verhaltenstrainer und schult Busfahrer der Evag darin, wie sie Stress und Gewalt bewältigen. Ein Gespräch über den Fall „Dominik Brunner“.

Er fuhr mit der S-Bahn, geriet in einen Streit und starb nach Tritten und Schlägen, die ihm zwei 18- und 19-Jährige zugefügt haben: Der Tod von Dominik Brunner bewegt. In München stehen die mutmaßlichen Täter vor Gericht. Wie konnte es zu dieser furchtbaren Tat kommen? Wie sollte man sich als Fahrgast in einer solchen Situation verhalten, in die Brunner geriet? Ein Gespräch mit Friedhelm Balodimos.

Dominik Brunner ist an einem Münchener S-Bahnhof mit zwei Jugendlichen aneinandergeraten. So etwas kann einem überall passieren?

Ja, überall und zu jeder Zeit. Vor allem aber, wenn man am späten Abend oder nachts unterwegs ist. Unsere Busfahrer können ein Lied davon singen.

Herr Brunner wollte nicht wegsehen, als die Jugendlichen in der S-Bahn Kinder bedrängten. Hat er sich richtig verhalten?

Herr Brunner hat Zivilcourage bewiesen. Er ist dafür posthum geehrt worden. Unser Strafrecht verlangt ja in Paragraph 232c, dass man nicht wegsieht, sondern etwas unternimmt, wenn man Zeuge einer Straftat wird. Viele sagen aber, ich gucke grundsätzlich nicht hin. Hätte Herr Brunner weggeguckt und sich abgedreht, wäre er womöglich noch am Leben.

Was hat er falsch gemacht?

Das ist schwer zu sagen. Er befand sich in einer Stress-Situation. Wie weit war er von seiner individuellen Stress-Obergrenze entfernt? Sie müssen wissen: Jeder von hat eine ganz persönliche Stress-Grenze. Wird diese Grenze überschritten, setzen natürliche Schutzfunktionen ein. Dann denke ich nicht mehr, dann handele ich. Und dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: Flucht oder Angriff.

Brunner entschied sich demnach für Angriff. Zeugen haben vor Gericht ausgesagt, habe sogar zuerst zugeschlagen.

Wir wissen nicht, was Herr Brunner für ein Mensch war. Ob er einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hatte oder was ihn antrieb. Aber wie gesagt, er handelte in einer Stress-Situation. Wer zuschlägt, trägt zur Eskalation bei. Wichtig ist: Entscheide ich mich für einen solchen Angriff, muss der Schlag auch Wirkung zeigen.

Was kann man tun, damit es soweit gar nicht erst kommt?

Wenn ich ein Kerl bin wie ein Baum, muss ich mir darüber vielleicht weniger Gedanken machen. Verbales und nonverbales Verhalten sollten aber in jedem Fall übereinstimmen. Gibt es da Differenzen, nimmt der Gegner eher nonverbale Signale war. Die sind ehrlicher. Hängende Schultern wirken nicht gerade abschreckend. Grundsätzlich sollte man in einer solchen Situation aber versuchen, deeskalierend zu wirken. Man sollte versuchen, andere Leute auf sich aufmerksam zu machen oder, besser noch um sich zu scharen: Seht her, hier passiert was. Helft mir!

Kann man sich auf solche Stress-Situationen vorbereiten?

Ja. Wir versuchen das mit unseren Busfahrern. Es sind die vielen kleinen tausend Nadelstiche, die wir täglich erleben, die uns unter Stress setzen. Das kann der Fahrplan sein oder ein Termin sein, den wir unbedingt einhalten wollen oder die Steuererklärung, die wir noch abgeben müssen. Je mehr wir unter Stress geraten, desto größer ist die Gefahr, dass unsere individuelle Stress-Grenze in einer Extremsituation überschritten wird und wir nicht mehr Herr unseres Handelns sind. Es geht also darum, den alltäglichen Stress zu beherrschen und abzubauen, sei es durch autogenes Training oder durch Sport. Da gibt es vielfältige Methoden.

Stressabbau zum Selbstschutz?

Es erleichtert uns, die eigene Wahrnehmung zu relativieren und bei Gefahr realistisch einzuschätzen, was auf uns zukommen könnte.