Ruhr..

Flusstauchen ist ein ganz besonderes Erlebnis. Unterwasser lassen sich Bereiche des Stadtgebiets erkunden, die je kaum ein Mensch gesehen hat.

Der Computer am Handgelenk zeigt die aktuelle Tauchtiefe: 4,6 Meter. Wassertemperatur: 27 Grad Celsius. Sonnenstrahlen stechen durch die Oberfläche der Ruhr, sorgen für ein beeindruckendes Schattenspiel auf dem lehmigen Flussgrund. In einiger Entfernung sehen wir einen Aal, weiter links tummeln sich ein paar Barsche.

„Master Instructor“ Holger Cremer marschiert über die Uferböschung in Richtung Wasser.
„Master Instructor“ Holger Cremer marschiert über die Uferböschung in Richtung Wasser. © WAZ FotoPool | WAZ FotoPool





Direkt neben mir paddelt Martin Skiba (39) durch das grünliche Wasser, die Sichtweite beträgt etwa drei Meter. Vor zwei Jahren hat der Duisburger seinen Tauchschein gemacht. Für gewöhnlich springt er mit Neoprenanzug und Tauchgerät in die Baggerseen des Ruhrgebiets oder die Talsperren des Sauerlands, die Ruhr hat auch er noch nicht in seinem „Logbuch“ verewigt. Kurz vorm Abtauchen sagte Martin noch: „Die Ruhr ist in meinen Augen viel mehr als nur ein Fluss. Ich finde, als Kind des Ruhrgebiets, das sich mit seiner Heimat identifiziert, muss man einfach mal in der Ruhr getaucht sein.“

Daher strampeln wir mit kräftigen Flossenschlägen gegen die spürbare Strömung des Flusses an und atmen komprimierte Pressluft aus Tauchflaschen, die wir uns auf den Rücken geschnallt haben. Wir folgen dem Tauchlehrer Holger Cremer (41), der uns an diesem Morgen die Unterwasserlandschaft des Flussabschnitts zwischen Überruhr und Steele zeigt. Der Betreiber des Tauchladens „dive in Essen“ im Stadtteil Rellinghausen hat 2008 von der Bezirksregierung eine Sondergenehmigung bekommen, die das Ruhr-Tauchen zwischen April und Oktober erlaubt.

Hecht, Döbel, Zander, Barsche, Aale, Karpfen, Forellen, Flusskrebse und Muscheln

„In der Ruhr können wir fast die gesamte Palette an Süßwasserlebewesen entdecken“, sagte Holger während der Vorbesprechung des Tauchgangs. Hecht, Döbel, Zander, Barsche, Aale, Karpfen, Forellen, Flusskrebse und Muscheln. „Das spricht für die gute Wasserqualität des Flusses.“

Wir schwimmen weiter flussaufwärts, tauchen über Kiesflächen, umqueren große Felsblöcke, sichten grünen Unterwasser-Bewuchs. Plötzlich gestikuliert Tauchlehrer Holger und zeigt einen Richtungswechsel an. Direkt vor ihm öffnet sich ein „Canyon“, vermutlich ein alter Bombentrichter, noch einmal geht es ein paar Meter weiter abwärts, es wird dunkler und kälter. Vor ihm auf dem Grund: zerfallene Holzkisten, die Überreste eines Flak-Geschützes aus dem Zweiten Weltkrieg, ausgeworfene Patronenhülsen. Ein gespenstischer Anblick, der mir wieder Holgers Worte ins Gedächtnis ruft: „Wir werden heute in einer Gewässerstelle mit großkalibriger, teils noch scharfer Munition, tauchen. Ihr dürft auf gar keinen Fall etwas anfassen.“

Beim Tauchen in der Ruhr lässt sich Ruhrgebietsgeschichte hautnah erleben, denn es lassen sich allerlei Überreste aus den Kriegen, derer die Region Zeuge wurde, im Flussbett entdecken. Verrottete Gewehre, Pistolen und Bajonette liegen von Flussschlamm überzogen in Felsspalten und altern vor sich hin. „Einmal hab ich eine Steinschloss-Pistole mit sechseckigem Lauf entdeckt“, erzählt Holger später. Mitgenommen habe er sie natürlich nicht. Nur fotografiert. Nachher, am Computer, habe er versucht das Alter zu bestimmen. „Vermutlich lange vorm Ersten Weltkrieg“, ergaben seine Recherchen. An einer anderen Stelle liegt ein Stapel Wehrmachts-Helme. „Haben die Essener eigentlich gegen Ende eines jeden Krieges Gegenstände, die sie später belasten könnten, in den Fluss geworfen?“, fragen wir uns später.

„Hin und wieder entdecken wir auch Diebesgut“

Inzwischen haben wir gewendet und lassen uns von der Strömung zurück in Richtung des Startpunkts treiben. Auf drei Metern Tiefe passieren wir ein altes Fahrrad, kurz darauf entdecken wir ein Fernsehgerät. Wie kommt das bloß dort hin? Holger erzählt später noch von ganz anderen Dingen, die er bereits in der Ruhr gefunden hat: „Hin und wieder entdecken wir auch Diebesgut, etwa Handtaschen“, sagt er. Solche Dinge nähme er dann mit an die Oberfläche, übergebe sie an die Polizei.

Nach 64 Minuten beenden wir unseren Tauchgang, krabbeln wieder die Uferböschung hinauf. Das Tageslicht hat uns wieder und wir sind um eine Erfahrung reicher: Jetzt kennen wir wirklich mal eine Ecke von Essen, die vor uns noch kaum jemand gesehen hat.