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Den Zappelphilipp aus dem Kinderbuch „Struwwelpeter“ kennt wohl jeder. Bis heute gilt er als Paradebeispiel für ein hyperaktives Kind. „Doch nicht jedes Kind, das impulsiv, unaufmerksam und bewegungsunruhig oder verhaltensauffällig ist, hat eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)“, stellt Dr. Ulrich Kohns, Psychotherapeut und Arzt für Kinder- und Jugendmedizin, fest. „Die Diagnose ADHS wird heute im Alltag sicher doppelt so oft gestellt, wie noch vor ein paar Jahren. Aber nur etwa fünf Prozent der Sechs- bis Zwölfjährigen haben ADHS. Die Sensibilität ist einfach höher.“
Erste Hinweise für die Krankheit zeigen sich schon im Vorschulalter: „Die Kinder spielen wenig ausdauernd und chaotisch, haben oft Konflikte mit anderen Kindern“, so Kohns. „Mit Beginn der Schulzeit kommt die Lernproblematik hinzu.“ Betroffene Kinder können sich schlecht konzentrieren und machen viele Fehler, denn sie können mit Ablenkung nicht umgehen.
Einheitliche Tests zur Diagnose der Krankheit gibt es nicht. Gespräche mit allen Kontaktpersonen des Kindes, Fragebögen und Tests zum Ausschluss anderer Störungen führen zur Diagnose. „ADHS ist selten, aber die häufigste kinder- und jugendpsychiatrische Erkrankung“, so Kohns. Die Ursache ist zu 80 Prozent familiär bedingt.
Bildgebende Verfahren zeigen, dass bei betroffenen Kindern die Signalübertragung zwischen Nervenzellen im Gehirn gestört ist. Der natürliche Botenstoff Dopamin kann seine Wirkung nicht entfalten. Hier greifen Medikamente mit dem Wirkstoff Methylphenidat an. „Diese Medikamente wirken ausgleichend, nicht aufputschend“, stellt Kohns fest. Dennoch sehen viele Eltern und Mediziner den Griff zur Pille skeptisch. Kohns betont: „Die medikamentöse Therapie ermöglicht ein gelingendes Leben, Schulleistungen entsprechend der Möglichkeiten und Teilnahme am sozialen Leben entsprechend dem Alter.“
Elterntraining und ein strukturierter Tagesablauf unterstützen die medikamentöse Therapie. In Einzelfällen sind auch Aufmerksamkeitstraining, Verhaltens- und Bewegungstherapie notwendig. „Das Angebot ortsnaher Trainings- und Selbsthilfegruppen für ADHS-betroffene Kinder und Eltern ist aber leider gering“, bedauert Kohns und rät zu Ritualen und Regeln im Alltag. „Spielen, Basteln, Vorlesen, Trainieren der Feinmotorik, Gesellschaftsspiele und gemeinsame Mahlzeiten bringen viel Lebensqualität - nicht nur für ADHS-Betroffene.“