Essen. Sie haben einst die Siedlung Litterode gerettet, nun soll sie abgerissen werden: Die Mieter kämpfen weiter. Jetzt gibt es einen neuen Vorstoß.
Die Menschen in der Siedlung „Litterode“ fürchten um ihr Zuhause, in dem sie mitunter seit Jahrzehnten leben. Alle haben von ihrem Vermieter Allbau die Kündigung erhalten, weil auf dem Grundstück in Essen-Leithe 60 öffentlich geförderte Neubauwohnungen zur Miete und 13 Einfamilienhäuser zum Verkauf entstehen sollen. Nun meldet sich die Ratsfraktion Die Linke zu Wort.
Die Politiker bedauern es, dass die gewachsene Gemeinschaft und die gute Nachbarschaft in der Siedlung Litterode durch die Neubaupläne des Allbaus gefährdet sind. Die Linke hält ein „Rückkehrrecht“ für die Bewohner und Bewohnerinnen für notwendig und sieht die Stadt Essen und die städtische Wohnungsbaugesellschaft Allbau GmbH in der Pflicht, die anstehenden Umzüge „sozialverträglich“ zu gestalten.
Manche Familien leben bereits in der fünften Generation in den Häusern in Essen-Leithe, die ihre Väter und Großväter einst sanierten. Es galt den 1980er Jahren als Vorzeigeprojekt der Stadt Essen, da auch die Bewohner bei den Arbeiten kräftig mit anpackten. So wurde aus der ehemaligen Obdachlosenunterkunft Mietraum, die Stadt investierte 1,9 Millionen Mark. Im Vorjahr dann kaufte das städtische Wohnungsunternehmen Allbau die Siedlung, in der viele Häuser und eine Kita bereits seit etwa 15 Jahren leer stehen.
Für den Eigentümer ist die Siedlung in Essen-Leithe veraltet, kann nicht klimaneutral umgestaltet werden
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Erhielten die verbliebenen 19 Parteien erst ein Schreiben ihres neuen Vermieters, dass „alles bleibe, wie es ist“, nennt dieser das nun einen Fehler und ein Missverständnis (es sollte vor allem einen Ansprechpartner für notwendige Reparaturen benennen) und verfolgt weiterhin seinen Plan, auf dem Areal klimaneutrale Häuser zu errichten.
Die Siedlung Litterode sei veraltet, nicht klimaneutral umzugestalten, ein solches Vorhaben entsprechend nicht wirtschaftlich, erklärte der Allbau, bot Hilfe bei der Suche nach neuem Wohnraum für die alten Bewohner an. Die aber leben in einer gewachsenen Gemeinschaft, die sich hilft und die sie ihre „Familie“ nennen. Sie versuchen nun ihre Siedlung erneut zu retten, sind in den sozialen Medien aktiv, treten im Medien auf, demonstrieren und schreiben an den Oberbürgermeister Thomas Kufen, bei dem es bereits einen Besuch gab. Bislang alles mit Enttäuschung statt Erfolg.
Dabei wünschen sie sich, zumindest Wohnraum in den Neubauten angeboten zu bekommen, um so zusammenbleiben zu können. Da dieser jedoch öffentlich gefördert ist, vergibt diese Wohnungen die Stadt. Zudem könnten ihre Gehälter zu hoch sein. Die Bewohner der „Litterode“ könnten sich, wie alle anderen auch, bewerben, erklärte hingegen der Allbau.
Bisher gibt es keinen Kompromiss, stattdessen große Verzweiflung, viele Tränen und Angst in der Siedlung. Aber auch Wut, haben doch die Bewohner herausgefunden, dass die „Litterode“ bereits als Problemsiedlung eingestuft worden ist, als noch die Stadt Eigentümerin war. Die Gründe dafür mochte ihnen bislang niemand sagen. Auch auf Nachfrage der Redaktion äußerte sich die Stadt nicht. Der Allbau hat indes mit einzelnen Bewohnern über Alternativen gesprochen, einzelne Parteien hätten bereits neue Mietverträge unterschrieben.
In diesem Video erzählen die Bewohner selbst, wie sie sich fühlen
Litterode: Gespräche über alternativen Wohnraum mit dem Allbau laufen
„Der Allbau sollte den Anwohnerinnen und Anwohnern zusichern, dass sie altersgerechte Wohnungen in den Neubauten oder anderswo bekommen, die gewährleisten, dass die Familien zusammenbleiben und die Gemeinschaft erhalten bleibt. Da diese dazu wohngeldberechtigt sein müssen, sollte die Verwaltung den Anwohnerinnen und Anwohnern Hilfestellung geben, um das zu prüfen. Wir schlagen vor, dass dazu eine Vor-Ort-Beratung durch das Wohngeldamt durchgeführt wird“, fordert nun auch die Fraktionsvorsitzende der Linken, Heike Kretschmer.
Zu den aktuellen Wohngeldberechtigungen werde die Fraktion am Mittwoch im Rat (29. Mai) eine Anfrage stellen. Es könne gut sein, dass durch die neue Wohngeldregelung vielen Betroffenen in der Litterode geholfen werden könne, da die Verdienstgrenzen angehoben worden sind. Immerhin rund 60 Menschen sind von den Neubauplänen betroffen.
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„Die Sanierung der Siedlung selbst haben wir mitgetragen und halten sie auch nach wie vor für sinnvoll,“ so Wolfgang Freye, für Die Linke im Planungsausschuss und im Aufsichtsrat der Immobilienverwaltung Essen. „Essen braucht dringend geförderten Wohnraum und die Gebäude an der Litterode sind aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts und energetisch auf heutigem Stand kaum sanierbar.“
Das Beste wäre natürlich, sagt Freye, der Allbau würde die schon länger leer stehenden Häuser zuerst abreißen, die dann freie Fläche bebauen und den jetzigen Bewohnern und Bewohnerinnen einen Umzug in die neuen Häuser ermöglichen, bevor die jetzt noch bewohnten Häuser abgerissen werden. Genau darauf hoffen die Menschen in der Litterode, wenn sie schon ihr Zuhause nicht werden retten können. Nun haben sie sich erstmal juristischen Beistand geholt, planen weitere Demonstrationen, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, um ihr Zuhause zu retten. Ein weiteres Mal.
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