Essen. Für das von den Grünen ins Feld geführte Instrument fehlt die nötige Mehrheit im Rat der Stadt. Analyse eines politischen Eigentores.

Das Runde muss ins Eckige beim Fußball, und wenn es mal so richtig daneben geht, dann ist der Spott nicht weit. Das haben am Sonntag die Kicker vom MSV Duisburg erleben müssen, die mit 4:1 bei Rot-Weiss Essen untergingen. Und das erleben dieser Tage die Grünen mit ihrer bei der Jahreshauptversammlung aufgestellten Forderung, ihre Truppe im Stadtrat möge in der Frage, ob die Stadt Essen das Stadionrund durch den Anbau der Ecken vervollständigen soll, doch einen sogenannten Ratsbürgerentscheid verhandeln: „So können die Essener Bürgerinnen und Bürgern selbst über die Investition entscheiden.“ Der politische Befreiungsschlag aber, mit dem man sich aller Verantwortung entledigt hätte, trudelt nur wenige Tage später ins eigene Tor.

Schon 29 Ratsmitglieder können einen beantragten Ratsbürgerentscheid verhindern

Denn einen Ratsbürgerentscheid, bei dem das Stadtparlament eine wichtige Entscheidung in die Hände der Bürgerinnen und Bürger legt, beschließt man nicht einfach so. Die Gemeindeordnung für Nordrhein-Westfalen verlangt vielmehr eine Ratsmehrheit von „zwei Dritteln der gesetzlichen Zahl der Mitglieder“, um das Verfahren überhaupt in Gang zu setzen. Da der Essener Rat derzeit 86 Mitglieder zuzüglich Oberbürgermeister zählt, müssten also 58 Ratsmitglieder dafür votieren. Was im Umkehrschluss bedeutet: Die Sperrminorität liegt bereits bei 30 Personen.

Die Ecke als Tor nach draußen: Der Ausbau brächte nicht nur eine höhere Zuschauer-Kapazität, sondern auch Lärmschutz für die Nachbarn bei Konzerten heißt es auf Seiten der Stadt.
Die Ecke als Tor nach draußen: Der Ausbau brächte nicht nur eine höhere Zuschauer-Kapazität, sondern auch Lärmschutz für die Nachbarn bei Konzerten heißt es auf Seiten der Stadt. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Schon die für den Stadionausbau durchaus offene 30-köpfige CDU-Ratsfraktion könnte damit im Alleingang den Ratsbürgerentscheid torpedieren. Sowas macht man selbstredend nicht in einer schwarz-grünen Rats-Koalition, aber das dröhnende Schweigen der Christdemokraten zeigte in den vergangenen Tagen, was man dort von der grünen Idee hält: nichts. An diesem Dienstag (09. April) wollten die Ratsfraktionen von CDU und Grünen deshalb darüber reden, wie man den Ball galant aus der eigenen Gefahrenzone bugsiert, aber dafür scheint es bereits zu spät.

SPD will „die Verantwortung übernehmen, die Schwarz-Grün so schmerzlich vermissen lässt“

Denn nach der AfD („fehlendes Fingerspitzengefühl“), dem Essener Bürger-Bündnis („grünes Wahlkampfmanöver“) und der FDP („nicht der richtige Weg“) ließ sich am Montagabend auch die SPD den Querschläger der politischen Konkurrenz nicht entgehen und stellte sich nach einer gemeinsamen Sitzung von Ratsfraktion und Parteivorstand einstimmig hinter das Vorhaben des Stadionausbaus: Man werde, so ließ sich Fraktionschef Ingo Vogel genüsslich vernehmen, „die Verantwortung übernehmen, die Schwarz-Grün so schmerzlich vermissen lässt“.

Der Ausbau von sozialer Infrastruktur wie Kitas, Schulen und Breitensportanlagen müsse „vorrangig behandelt werden“, fordern die Grünen. Die Linken sehen einen Stadionausbau als regelrechten „Luxus“.
Der Ausbau von sozialer Infrastruktur wie Kitas, Schulen und Breitensportanlagen müsse „vorrangig behandelt werden“, fordern die Grünen. Die Linken sehen einen Stadionausbau als regelrechten „Luxus“. © dpa | Monika Skolimowska

Auch für die Sozialdemokraten gilt die Unterstützung dabei nicht bedingungslos. Dass es irgendwann mal weitergeht beim Stadionausbau, ist ein alter Hut. Aber das Verkehrskonzept müsse angepasst, die stadionnahe Infrastruktur ausgebaut und der Verein Rot-Weiss Essen bei der Pacht stärker einbezogen werden, heißt es. Dann aber sehen die Genossen – wie auch die Stadtspitze – mehr Chance als Risiko in dem 27-Millionen-Euro-Projekt.

Und im Vorbeigehen, nun ja, führt die sonst so gebeutelte SPD bei dieser Gelegenheit die Grünen vor, denn allein die Genossen bringen 21 Stimmen, um den Ratsbürgerentscheid zu verhindern. Auf die erforderlichen 30 zu kommen, ist angesichts der kritischen Stimmen auch aus anderen Lagern rechnerisch kein Problem. Und unter den Mitstreitern wäre nicht zuletzt der Oberbürgermeister mit CDU-Parteibuch, der die Entscheidung ja vom Rat treffen lassen will: Opposition kann so schön sein.

Nur für die Linken ist der Ratsbürgerentscheid bislang „ein diskussionswürdiger Vorschlag“

An ihrer Seite wissen die Grünen, bei denen offenbar auch Teile der Ratsfraktion kreuzunglücklich mit dem gewünschten Bürgervotum sind, bis dato nur die Linkspartei: Für diese ist ein Ratsbürgerentscheid ein „diskussionswürdiger Vorschlag“, die anstehende Investition immerhin „kein Pappenstiel“ und der Stadionsausbau eher „Luxus“: Es spreche „einiges dafür, die Bürgerinnen und Bürger selbst zu fragen, ob ihnen der Ausbau des RWE-Stadions über 20 Millionen Euro wert ist“. Es war diese Abwägung mit anderen Bauvorhaben, die auch die Grünen als Argument ins Feld geführt hatten: Erst müsse das Geld für Kitas, Schulen oder Breitensportanlagen bereitstehen, und dann – mal schauen.

Ja oder Nein – das ist bei jedem Bürgerentscheid die Frage. Wie hier bei der Abstimmung über den Teil-Neubau der Messe vor mittlerweile elf Jahren.
Ja oder Nein – das ist bei jedem Bürgerentscheid die Frage. Wie hier bei der Abstimmung über den Teil-Neubau der Messe vor mittlerweile elf Jahren. © WAZ FotoPool | Dirk Bauer

Ein heikles Argument, heißt es hinter vorgehaltener Hand selbst bei der CDU, weil dann womöglich irgendwer auf den Trichter kommen könnte zu fragen, warum Schwarz-Grün das Gruga- als Ganzjahresbad plant (Kostenpunkt: 90 Millionen Euro), ob jährlich mehr als 50 Millionen Euro Zuschuss für Theater und Philharmonie gut angelegtes Geld sind, oder warum man sich bei Straßenbahn-Projekten für die teureren Rasengleise einsetzt. Nur so als Beispiele.

Erst einmal geht es „nur“ um die Planungskosten von knapp 1,2 Millionen Euro

Bei alledem ist es zudem so: Der für den 24. April geplante Ratsbeschluss besiegelt nicht etwa schon den Ausbau der vier Stadion-Ecken, sondern macht erst einmal nur den Weg dafür frei, die städtische Grundstücksverwaltung GVE mit der Planung für dieses Vorhaben zu beauftragen. Knapp 1,2 Millionen Euro werden dafür als Kosten veranschlagt.

Dem gegenüber stünde der finanzielle Aufwand für einen Ratsbürgerentscheid: Porto, Druck, Wahlhelfer-Entschädigung und allerlei Sachkosten schlügen laut Stadt mit etwa 770.000 Euro zu Buche. Nicht eingerechnet sind darin etwa 8100 Gleitzeitstunden für städtische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Will sagen: Der Ratsbürgerentscheid käme teurer als die Ausbauplanung.

.....................................
In einer ersten Fassung waren die Kosten für den Ratsbürgerentscheid nur grob auf mehrere hunderttausend Euro taxiert worden. Wir haben diesen Passus dank aktueller Informationen seitens der Stadt ausführlicher gefasst.