Essen. Zollverein-Schau sorgt für ein Wiedersehen mit den 80ern. Fotograf Norbert Enker zeigt auch Bilder der Essener Zeche Langenbrahm.

Zauberwürfel, Blümchentapete und das Pferdeposter neben der Gardine mit adretter Häkelbordüre: So wie Tina eingerichtet war, lebten wohl viele Teenager in den 1980ern: In Jugendzimmern, die von den biederen Wohnstuben ihrer Eltern oft noch nicht ganz weit entfernt waren. Norbert Enker hat sie damals fotografiert. Die Serie „Menschenbilder – Porträts von Jugendlichen aus Essen“ ist jetzt ausschnitthaft im Rundeindicker der Zeche Zollverein zu sehen. Ergänzt wird die kleine Schau um Schwarzweiß-Aufnahmen der bereits 1966 stillgelegten Zeche Langenbrahm. Das Projekt hat Enker in den 1980ern unter Leitung des mittlerweile verstorbenen Essener Künstlers und Schriftstellers Thomas Rother realisiert.

Enker selber ist kein Kind des Ruhrgebiets, doch das Studium lockt den damals schon ausgebildeten Fotografen Anfang der 1980er an die Gesamthochschule Essen, die heutige Folkwang Universität der Künste. Zum Kommunikationsdesign-Studium bei Prof. Angela-Neuke Widmann und Prof. Erich vom Endt gehört 1982 auch eine Semesterarbeit über Jugendhäuser. Enker, damals selber gerade Mitte 20, fotografiert im Essener Haus der Jugend. „Damals noch mit der Mamiya RB 67, einem klobigen Riesenkasten“, berichtet der gebürtige Niedersachse. Im Jugendheim trifft er auf Leute wie Benardo, Kalle und viele andere und freundet sich an. „Mit denen habe ich dann auch viel rumgehangen. Gefühlt hatte man damals ja endlos viel Zeit“, erinnert sich der mittlerweile 67-Jährige.

Isabel und Förtsch, Essen, 1982.         
Isabel und Förtsch, Essen, 1982.          © Norbert Enker

Das Jugendzimmer-Foto von Kalles damaliger Freundin Tina, die Enker um Aufnahmen ihrer Konfirmation bittet, wird dann das erste Motiv einer Bildstrecke, die sich am Ende mit rund 90 Bildern zu einem Porträt der Jugend der 1980er Jahre rundet. Die Stiftung Zollverein zeigt einen kleinen Teil der Bilder jetzt erstmals in Kooperation mit dem Pixelprojekt Ruhrgebiet, das die komplette Serie in seiner digitalen Sammlung aufgenommen hat: Micha vor seiner tropischen Wohnzimmer-Tapete, „Keule“ in cooler Ledermontur vorm heimischen Edelholz-Schrank, „Assi“ mit ihrer Michael-Jackson-Gedächtnisecke oder Thomas mit Schäferhund und „Bilitis“-Erotik an der Wand.

Ein bisschen Südsee-Feeling im Ruhrgebiets-Wohnzimmer. Micha vor seiner Fototapete, 1983.   
Ein bisschen Südsee-Feeling im Ruhrgebiets-Wohnzimmer. Micha vor seiner Fototapete, 1983.    © Norbert Enker

Enkers Menschenbilder-Serie gleicht einer Zeitreise mit ganz viel Fön- und Dauerwelle. Für manchen offenbart sie noch sehr vertraute, für andere wohl völlig fremde Wohn- und Lebenswelten, die mit ihrer Mischung aus spartanischer Studenten-Bude mit Anteilen von Gelsenkirchener Barock einen ganz eigenwilligen und sehr authentischen Stil repräsentieren. Als Enker das Menschenbilder-Projekt 40 Jahre später noch einmal in seiner Heimatstadt Damme wiederholen möchte, fällt es „ungleich schwerer, Leute vor die Linse zu bekommen“, berichtet der Fotograf. Die Generation Selfie, sonst keiner fotografischen Momentaufnahme abgeneigt, ist nur noch schwer für die Idee zu begeistern.

Sie präsentieren die Ausstellung „Alte Zeche – Junge Leute“ auf Zollverein (v. li.): Theo Grütter (Ruhr Museum), der Fotograf Norbert Enker und Peter Liedtke (Pixelprojekt).    
Sie präsentieren die Ausstellung „Alte Zeche – Junge Leute“ auf Zollverein (v. li.): Theo Grütter (Ruhr Museum), der Fotograf Norbert Enker und Peter Liedtke (Pixelprojekt).     © Christoph Sebastian

Prominente Menschen, die sich im Scheinwerferlicht wohlfühlen, hat Enker in seinem langen Fotografenleben freilich auch getroffen. Viele Jahrzehnte schließlich hat Enker für große Magazine von SZ über Stern und Zeit bis Handelsblatt gearbeitet. Schon seine Examensarbeit über „Albanien“ wird vom FAZ-Magazin abgedruckt. In Essen sieht man parallel zu den 1980er Jahre-Jugendbildern aber noch eine andere frühe Arbeit Enkers, der sich als „Zugezogener“ aus dem ländlichen Raum für das Ruhrgebiet und seine imposante industriegeschichtliche Kulisse schnell begeistern kann. „Für mich aus dem Südoldenburger Land hatten alte Zechen etwas total Exotisches.“

„Für mich hatten alte Zechen etwas total Exotisches“
Nobert Enker - Fotograf

Und so beginnt er während des Grundstudiums auch, die schon 1966 stillgelegte Zeche Langenbrahm in Rüttenscheid zu fotografieren. Die Arbeit gehört zum Hochschulprojekt „Ortserkundung Ruhrgebiet“, das der mittlerweile verstorbene Essener Journalist, Künstler und WAZ-Redakteur Thomas Rother damals betreut. Fasziniert von den historischen Gebäuden und ihrem Verfall dokumentierte Enker in seiner Arbeit von 1982 bis 1986 die Neu- und Umnutzungen des ehemaligen Steinkohlebergwerks in ein Gewerbegebiet.

Ein Bild aus der Langenbrahm-Serie, aufgenommen im Jahr 1985.
Ein Bild aus der Langenbrahm-Serie, aufgenommen im Jahr 1985. © Norbert Enker | Norbert Enker

Die Bilder zeigt das Ruhr Museum in den 80ern unter dem Titel „Das bringt keine Kohle mehr – Veränderung der ehemaligen Zeche Langenbrahm zu einem Gewerbegebiet“. Seit 2020 gehört dieses analoge Fotomaterial auch zur Fotografischen Sammlung des Hauses. „In meinem analogen Archiv steckt ein Großteil meines Lebens genauso wie ein Stück Zeit- und Kulturgeschichte und ich freue mich, meine Eindrücke mit interessierten Besucherinnen und Besuchern teilen zu können“, sagt Norbert Enker.

Die Ausstellung „Alte Zeche – Junge Leute“. Fotografien von Norbert Enker läuft bis zum 13. Oktober im Rundeindicker der Zeche Zollverein. Öffnungszeiten: täglich von 10 - 18 Uhr. Eintritt 3 Euro (Erwachsene).

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