Essen. Ein Essener muss ins Gefängnis - wohl für immer: Erst warf er seine Frau aus dem Fenster. Dann, Jahre später, die Tochter.

Wer den Mann das erste Mal sieht, kann die Vorwürfe wahrscheinlich gar nicht glauben. Er ist klein, schmächtig und sieht um einiges älter aus als die 58 Jahre, die in seinem Pass stehen. Doch genau dieser Mann hat Frau und Tochter aus einem Fenster im ersten Obergeschoss geworfen. Am Freitag (22. März) ist er verurteilt worden.

Die Richter am Essener Schwurgericht haben 13 Jahre und sechs Monate Haft verhängt – wegen versuchten Totschlags. Außerdem ist die anschließende und unbefristete Sicherungsverwahrung angeordnet worden – zum Schutz der Allgemeinheit. Das heißt, dass der Mann womöglich nie mehr in Freiheit gelangt. Viel mehr Strafe geht nicht.

Er heiratete 1995 seine Frau, ohne sie vorher zu kennen

Richter Jörg Schmitt sprach von „erschütternden Taten“ und einer „dramatischen Familiengeschichte“. Der deutsch-türkische Angeklagte hatte seine Frau 1995 geheiratet, ohne sie vorher überhaupt gekannt zu haben. Als sie zu ihm nach Essen-Karnap zog, begann ein Martyrium, das sie fast mit dem Leben bezahlt hätte.

Es war der 13. April 2008, als der Angeklagte seine Frau laut Urteil plötzlich gepackt und im Streit durch das geöffnete Küchenfenster in den betonierten Innenhof geworfen hat. Die elfjährige Tochter musste alles mitansehen. Das kleine Mädchen war damals ins Kinderzimmer gerannt, hatte ein Kissen geholt und sich dann um die schwerverletzte Mutter gekümmert.

Er warf die Frau aus dem Fenster, erzählte von „Suizidversuch“

Über einen Monat lang lag die Ehefrau des Angeklagten in der Klinik. In der Krankenakte sind Trümmerbrüche und innere Verletzungen notiert. Und auch dieses Wort ist dort zu finden: Suizidversuch. Das hatte der 58-Jährige den Ärzten erzählt. Seine Frau gab keine Widerworte.

Rund acht Jahre später wiederholte sich das Drama. Nach Überzeugung der Richter warf der Angeklagte diesmal seine inzwischen 18-jährige Tochter aus dem Fenster – sechs Meter tief. Laut Urteil war er sauer, dass sie mit seinem Auto einen Unfall gebaut hatte. „Mir wäre es lieber gewesen, wenn sie tot gewesen wäre – und das Auto noch ganz.“ So oder so ähnlich soll er sich damals ausgedrückt haben.

Frau und Tochter erlitten Verletzungen, die teilweise nie mehr heilten

Die Tochter lag wochenlang im Krankenhaus, saß ewig im Rollstuhl und wird ihr Leben lang unter den Folgen ihrer schweren inneren Verletzungen leiden. Ihre Aussage vor Gericht war herzzerreißend. „So etwas Emotionales haben wir noch nicht erlebt“, so Richter Schmitt. Und direkt an den Angeklagten gerichtet: „Ihre Tochter ist völlig am Ende. Wir haben hier ein psychisches Wrack erlebt. Sie haben ihr unendliches Leid zugefügt.“

Auch die heute 26-Jährige hatte ihren Vater im Krankenhaus gedeckt. Auch in ihrem Fall ist „Suizidversuch“ vermerkt. Sie hatte sogar einen anschließenden Psychiatrie-Aufenthalt über sich ergehen lassen – aus purer Angst vor ihrem Vater.

„Eine unglaublich boshafte und brutale Tat“, sagt der Richter

Das änderte sich jedoch vor knapp einem Jahr. Am 1. Mai 2023 schubste der Angeklagte seine inzwischen von ihm geschiedene Ehefrau vor den Augen entsetzter Passanten vom Bahnsteig der Straßenbahnhaltestelle „Boyer Straße“ in Karnap auf die Schienen. Die Mutter seiner drei Kinder blieb bewusstlos im Gleisbett liegen. All das ist auf Überwachungskameras zu sehen.

„Eine unglaublich boshafte und brutale Tat“, so Schmitt. Vor allem, da die Ex-Frau trotz ihres schlimmen Ehelebens den Kontakt wegen des jüngsten Sohnes nie ganz abgebrochen habe. Sie hatte sich sogar um den 58-Jährigen gekümmert, als der nach einem Schlaganfall vorübergehend ein Pflegefall war. „Dafür hätte der Angeklagte eigentlich auf die Knie fallen und unendlich dankbar sein müssen“, hieß es im Urteil.

Die Richter halten den Mann für einen gefährlichen Täter

Nach dem Stoß ins Gleisbett hatten Ex-Frau und Tochter ihr jahrelanges Schweigen doch noch gebrochen. Die Richter haben ihnen geglaubt. Der Angeklagte selbst hatte die Fensterwürfe bis zuletzt bestritten.

Sollte das Urteil rechtskräftig werden, ist fraglich, ob der Essener jemals wieder freikommt. Die Richter halten ihn für einen extrem gefährlichen Täter. Schmitt: „Der Angeklagte neigt dazu, Menschen irgendwo runterzuwerfen.“

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