Essen. Nach den sehr hohen Abrechnungen lenkt der Großvermieter Covivio ein und macht tausenden Mietern in Essen ein überraschendes Angebot.
Renate Heinrich* lebt schon Jahrzehnte in einem Wohnblock in Holsterhausen. Akribisch hält sie seit 1995 in einer Tabelle fest, wie viel sie an Miete, an Heiz- und Nebenkosten jährlich bezahlt. Sie erinnert sich genau an den Tag im vergangenen Jahr, als sie die Heizkostenabrechnung ihres Vermieters Covivio - früher Immeo Wohnen - in Händen hielt: „Das war der Hammer.“ Diese wies rund 2800 Euro für das Jahr 2021/2022 aus. Über 1300 Euro hätte Renate Heinrich somit noch nachzahlen müssen, „obwohl wir nicht mehr verbraucht hatten“. Das habe sie in all den Jahren noch nie erlebt. „Natürlich war mir klar, dass auch Fernwärme teurer geworden ist. Aber so?“
Wie Renate Heinrich ging es vielen Mietern und Mieterinnen des Wohnungsunternehmens Covivio. Ihre Häuser werden mit Fernwärme der Steag beliefert und die Kosten dafür waren laut der Abrechnungen regelrecht explodiert. In Extremfällen sollten Mieter fast 2000 Euro nachzahlen. Das rief auch die Mieterverbände in der Stadt auf den Plan. Mietergemeinschaft und Mieterverein machten Druck, verlangten von Covivio Einsicht in die Lieferverträge. Ein Recht, das jeder Mieter hat.
Covivio reagierte, erklärte, man wolle die Abrechnungen überprüfen. Solange müsse keiner der betroffenen Mieter die Nachzahlungen leisten, hieß es.
Covivio erlässt Mietern in Essen pauschal 20 Prozent der Heizkosten
Nun, sieben Monate später, sind die Prüfungen abgeschlossen und Renate Heinrich hat wieder Post von ihrem Vermieter bekommen und diese überraschte sie nicht minder. Darin betont das Unternehmen zwar, dass die Abrechnungen korrekt gewesen seien, erklärt sich aber gleichzeitig bereit, ihr 20 Prozent der Heizkosten nachzulassen. Wie Covivio auf Nachfrage erklärte, gilt dieses Angebot pauschal für alle Mieterhaushalte in Essen, die mit Fernwärme heizen.
Covivio will Renate Heinrich immerhin 560 Euro erlassen. Freude darüber aber mag bei ihr keine aufkommen. Im Gegenteil: Sie macht das Angebot skeptisch. „Ich finde es immer merkwürdig, wenn Firmen freiwillig auf Geld verzichten.“ Immerhin dürfte sich der Betrag, den das Wohnungsunternehmen den fast 4000 betroffenen Haushalten erlässt, auf einen hohe sechsstellige, wenn nicht gar siebenstellige Summe aufaddieren.
Den Entschluss begründet eine Covivio-Sprecherin auf Nachfrage so: „Der dramatische Anstieg der Energiekosten in 2022 bedeutet in vielen Fällen eine finanzielle Härte für die Mieter und Mieterinnen. Wir gehen davon aus, dass dies in der Abrechnung 2022 ein einmaliger Effekt war und haben uns daher entschieden, unseren Mietern und Mieterinnen eine zeitnahe Entlastung zukommen zu lassen.“
Heizkostennachlass macht Mietergemeinschaft skeptisch
Dass sich Covivio einzig vom sozialen Gewissen leiten ließ, weckt bei Siw Mammitzsch Zweifel. Mammitzsch ist Geschäftsführerin der Mietergemeinschaft Essen und hat mehrere Fälle betroffener Mieter auf dem Tisch. Sie fragt: „Wieso bietet Covivio diesen Nachlass an, wenn die Abrechnung richtig gewesen sein soll?“ Vielleicht könne es sich doch lohnen, genauer hinzuschauen, meint sie. Auch Mieter Thomas Schulz*, der schon im Sommer 2023 gegen die Abrechnung vorgegangen war, spricht allenfalls von einem „Teilerfolg“. Denn die Mieter würden weiter im Dunklen gelassen.
Auch Mammitzsch kritisiert, dass Covivio der Mietergemeinschaft weiterhin die Offenlegung der Lieferverträge mit der Steag schuldig bleibt. Damit habe sich an der Ausgangssituation nichts geändert: Solange der Vermieter die Abrechnung nicht plausibel darlege, müssen Mieter die Nachforderungen nicht zahlen, umreißt sie die Rechtslage. Das moniert auch Renate Heinrich: „Wir haben überhaupt keinen Einblick in Rechnungen und Verträge bezüglich der Fernwärme.“
Streit um Offenlegung der Fernwärme-Verträge
Covivio weist dies zurück. Das Unternehmen lege sehr wohl die Verträge offen. Das Problem ist: Das Wohnungsunternehmen gibt nur die Belege preis, die es von seiner eigenen Tochterfirma Acopio bekommen hat. Acopio ist für die Beschaffung und die Abrechnung zuständig. Was diese Firma wiederum für Konditionen mit der Steag ausgehandelt hat, bleibt nach Angaben der Mietergemeinschaft bislang unter Verschluss. Diese Lieferbelege einzusehen, wäre aber wichtig, um die Abrechnungen letztlich nachvollziehen zu können.
Wie viele Mieter weiterhin darauf dringen werden, und damit quasi den Nachlass von Covivio ausschlagen, bleibt abzuwarten. Im Fall der Fälle müssten sie es dann auf eine gerichtliche Klärung ankommen lassen. Mammitzsch: „Das muss natürlich jeder für sich entscheiden.“ Wer vor Gericht ziehe, habe immer ein gewisses Risiko.
Was Covivio-Mieter jetzt tun könnten
Bei Renate Heinrich hat Covivio die noch ausstehende Heizkosten-Nachzahlung - abzüglich des Nachlasses - bereits per Lastschrift eingetrieben. Ein ungutes Gefühl bleibt bei ihr. Sie überlegt, ob sie der Zahlung doch noch widerspricht und die Lastschrift zurückholt. Mammitzsch stellt klar: Wer das tut, hat gleichzeitig auch die Miete zurückgeholt. „Die muss dann umgehend an den Vermieter überwiesen werden.“ Aus solchen Erfahrungen rät die Mietergemeinschaft generell: Mieter sollten nur die Miete und die Vorauszahlungen der Betriebskosten per Lastschrift einziehen lassen, nicht aber die Forderungen aus den Betriebskostenabrechnungen.
Renate Heinrich bliebe eine zweite Möglichkeit: Sie könnte dem Vermieter erklären, dass sie die Nachzahlungen nur unter Vorbehalt leistet. „Dann sollte sie aber unbedingt auch die Einsicht in die weitergehenden Belege fordern“, betont Mammitzsch. Ob sie danach eine Klage anstrengt, oder nicht, könne sie später immer noch entscheiden.
Sammelklage wird geprüft
Obwohl es so viele Covivio-Mieter betrifft, fühlt sich Renate Heinrich mit ihrem Problem allein. Sie würde es begrüßen, wenn sich Mieter zusammentun würden, vielleicht sogar eine Sammelklage anstrengen würden. Laut Mammitzsch prüfen der Bundesverband des Deutschen Mieterbundes gemeinsam mit der Verbraucherzentrale Bundesverband gerade eine solche.
*Namen geändert