Essen. Erst verfallen, nun abgerissen. Das erste Steigerhaus ist Geschichte. Dabei stecken Bergbauhistorie, Landmarke, Erinnerung darin.
Ihr Abriss war längst beschlossen, nun ist der Bagger angerückt: Das erste Steigerhaus am Baldeneysee ist inzwischen dem Erdboden gleich gemacht worden. Damit verschwinden auch Bergbaugeschichte und manche Erinnerung der früheren Bewohner sowie ein Anblick, der vielen hier beim Spaziergang am Baldeneysee so vertraut gewesen ist. Zudem entstehen hohe Kosten: Laut Stadt wird es insgesamt etwa eine halbe Million Euro sein. Denn abgerissen werden soll auch noch das benachbarte Doppelhaus.
Schon lange steht das Steigerhaus mit der Hausnummer 657 an der Freiherr-vom-Stein-Straße leer, das Gestrüpp hatte das Grundstück erobert. Nun ist es gerodet und die Baggerschaufel zertrümmert nach und nach unerbittlich die alten Mauern, in diesen lebte einst der Bewohner, der hier bis zuletzt manchen freundlich grüßte. In seinem Berufsleben soll der gelernte Schreiner über Tage auf Carl-Funke gearbeitet haben. Bereits 2016 soll er das Steigerhaus verlassen haben, das 1913 errichtet wurde. Sein letzter Bewohner starb 2018 im Heisinger Paulushof.
Nun heißt es für alle auch von seinem ehemaligen Zuhause Abschied zu nehmen. Immer noch sind viele regelmäßig vor dem längst verrotteten Gebäude stehen geblieben, sind mitunter vom Rad abgestiegen und ins Gespräch darüber gekommen, wie es hier früher gewesen ist. Damals, als die Zeche Carl Funke noch Kohle förderte. Noch heute liegen die Schienen in der Erde auf dem Weg vor dem Haus, auf denen die Kohle befördert wurde.
In einem Teil des Hauses selbst (rechts) sollen früher Pferde eingestellt gewesen sein. Ortshistoriker wie Henner Höcker, Vorsitzender der Bürgerschaft Heisingen und Mitglied des Heisinger Museumskreises, hat sich immer wieder auch für die Geschichte der Steigerhäuser interessiert, manches herausgefunden und bis zuletzt gehofft. Er berichtete von tödlich verunglückten Bergleuten, die zunächst in das Haus gebracht worden seien. Von Überlebenden, die hier versorgt worden sind.
Dabei gab es keine Chance: Schon 1988, als die Stadt die Häuser von der Ruhrkohle AG erwarb, hatte der Kaufvertrag eine entsprechende Klausel, die nach Auszug der damaligen Bewohner eine Neuvermietung ausschloss. Es stand fest, dass die Grundstücke zur Grünfläche werden. Zudem wären Neubauten an dieser Stelle auch deshalb nicht möglich, da sich der Bereich im Landschaftsschutzgebiet Baldeneyer Ruhrhang befindet, erklärte die Stadt bereits mehrfach. Kritik hagelte es dennoch und immer wieder wurden Vorwürfe laut, warum man diese Immobilien derart verfallen lasse.
Das gilt ebenfalls für das Doppelhaus nebenan aus dem Jahr 1921, mit den Hausnummern 647 und 649. Auch die beiden Hälften sind marode und einsturzgefährdet, waren spärlich gegen Vandalismus gesichert, so dass eine Tür längst aufgebrochen ist. Auf dem Weg dorthin liegen zerschlagene Bierflaschen, eine Pforte ist zur Seite geschoben. Seit dem Frühjahr 2018 war noch eine Haushälfte bewohnt, im Sommer 2021 zogen die letzten Bewohner aus dem Haus mit der Nummer 647 aus.
„Es ist geplant, voraussichtlich im Laufe des Sommers den Rückbau mit allen Nebenarbeiten abzuschließen“, kündigt Stadtsprecher Burkard Leise an. Der Rückbau des (Doppelhaus-)Gebäudes der Hausnummern 647 und 649 sei dann für das kommende Jahr 2025 geplant. „Für beide Maßnahmen fallen jeweils Kosten in Höhe von rund 225.000 Euro an“, sagt er zur Summe, die der Abriss insgesamt kosten soll.
Noch vor zwei Jahren schaute eine ehemalige Bewohnerin im Alter von 83 Jahren vorbei, die einen Teil ihrer Kindheit in diesen Häusern verbracht hatte. Sie erzählte von dem Badeofen mit Kupferkessel, von den Nachmittagen in dem Garten mit seiner Sommerlaube und manchem Abenteuer im Wald oder am See, das sie hier mit ihrer Schwester erlebte. In schweren Zeiten des Krieges erlebte sie hier dennoch manch unbeschwerte Stunde inmitten der Natur am Seeufer.
Geblieben ist ihr aus dieser Zeit das Bett, das ihr Vater einst geerbt hatte und in dem damals ihre Schwester im Steigerhaus schlief. Im Ruhrmuseum wiederum befinden sich Werkzeuge, die auf den Grundstücken gefunden worden sind. „Carl-Funke“ steht auf einer Kiste, die zu den Fundstücken zählt. Diese wenigen Überbleibsel werden von den Steigerhäusern bleiben, wenn diese nun bald Geschichte sind.
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