Essen. Die Krankheit wirkt harmlos, kann aber zur Lungenentzündung ausarten. Ein Essener Kinderarzt erklärt, warum Mykoplasmen jetzt gehäuft auftreten.
Die Krankheit verläuft schleichend und wird oft erst nicht erkannt: „Die Kinder haben anfangs eine Rotznase, Husten und kein Fieber“, sagt der Obmann der Essener Kinderärzte, Tobias Gregor. Doch was so harmlos beginnt, kann sich zu einer Bronchitis oder gar zur Lungenentzündung entwickeln, ausgelöst von Mykoplasmen. Die sind in den Kinderarztpraxen der Stadt derzeit gehäuft zu beobachten. Auch im Krankenhaus sieht man in diesem Winter viele der jungen Patienten.
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Mykoplasmen werden per Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch übertragen; besonders in der kalten Jahreszeit, wenn sich die Kinder häufiger in geschlossenen Räumen aufhalten. Viele Eltern gingen zunächst davon aus, dass ihre hustenden Kinder einen Virusinfekt haben, der bald abklingen werde, sagt Kinderarzt Gregor. Doch „Mycoplasma pneumoniae“ ist ein Bakterium, das den Körper und die Immunabwehr lange beschäftigen und in einigen Fällen eine „atypische Lungenentzündung“ auslösen kann. Weil das nicht auf den ersten Blick zu ermessen ist, kämen die Patienten meist erst spät in die Praxis.
Stutzig werden sollten Eltern spätestens, wenn der Reizhusten ihrer Kinder auch nach zwei bis drei Wochen nicht abklinge. „Wer so lange hustet, hat entweder Keuchhusten oder Mykoplasmen.“ Bei beiden Erkrankungen sei ein Arztbesuch angezeigt. Mitunter hätten die betroffenen Kinder auffällige Flecken im Gesicht: rote Wangen, wie man sie von Ringelröteln kenne.
Corona-Regeln drängten auch Mykoplasmen zurück
Mycoplasma pneumoniae ist ein Bakterium, das per Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch übertragen wird, vorwiegend in der kalten Jahreszeit.
Die meisten Patienten haben lediglich milde Symptome wie leichte Halsschmerzen, darum kommt es oft zu keiner Diagnosestellung. Nur bei einem kleinen Teil der Infizierten entsteht im weiteren Verlauf eine atypische Pneumonie (Lungenentzündung). Symptome sind Husten, Kopfschmerzen, Fieber und verminderte Leistungsfähigkeit.
Mykoplasmen treten weltweit auf, waren aber wegen der strengen Hygieneregeln während der Corona-Pandemie zurückgedrängt. Seit Mitte Oktober 2023 kommen aus dem Norden Chinas Berichte über die Zunahme von Infektionen mit Mykoplasma pneumoniae.
Während sich der Zustand des Patienten bei einem normalen Virusinfekt meist bald verbessere, sei der Verlauf bei Mykoplasmen umgekehrt: Die anfangs milden Symptome können sich zusehends verschlechtern. Wenn sie nach einer Woche nicht aufhörten, sollten die Betroffenen zum Arzt gehen, sagt Tobias Gregor. Warnsignal sei auch, wenn neben Halsschmerz und Husten noch Fieber und Erschöpfung aufträten. „Manche Patienten schaffen es nicht mehr, die Treppe hochzulaufen.“
Einige der kleinen Patienten müssen ins Krankenhaus
In diesem Zustand erlebt sie Dr. Claudio Finetti, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Elisabeth-Krankenhaus: „Wenn Kinder mit einer Mykoplasmen-Pneumonie zu uns kommen, ist ihr Allgemeinzustand schlecht, sie kommen nicht aus dem Bett, brauchen unsere Unterstützung.“ Und oft eine Sauerstoffgabe über eine Nasenbrille. Die Erkrankung sei aber nicht lebensgefährlich, und er habe noch keins der Kinder auf die Intensivstation verlegen müssen. „Das ist kein Panik-Thema“, betont Finetti. Es betreffe in der Regel nicht Kleinkinder, sondern Kinder im Schulalter. Diese seien bei der Einweisung meist schon länger krank, fiebrig und geschwächt, so dass ein oft fünftägiger Krankenhausaufenthalt angezeigt sei.
Krankheit verläuft schleichend und wird nicht immer sofort entdeckt
Der Regelfall sei eine stationäre Behandlung nicht: „Die Essener Kinderärzte behandeln alles, was man ambulant behandeln kann“, sagt Finetti. Nur sei es wegen der oft „erratischen“ (verwirrend) Verläufe für den Arzt nicht immer leicht, Mykoplasmen sofort zu diagnostizieren, ergänzt Tobias Gregor. Er kläre die Eltern daher gründlich auf und bitte sie wiederzukommen, sobald sich der Zustand ihres Kindes verschlechtere.
Gibt es klare Anhaltspunkte für „Mycoplasma pneumoniae“, kann diese mit einem PCR-Test nachgewiesen werden. In den ersten zwei Tagen schlage der Test noch nicht unbedingt an, doch grundsätzlich sei er schnell und zuverlässig. „Nach einer Stunde haben Sie das Testergebnis.“ Das gilt zumindest für jene der rund 40 Essener Kinderärzte und Kinderärztinnen, die wie Gregor den Test schon in der eigenen Praxis machen können.
Alle anderen müssen die Proben ins Labor schicken, was erheblich länger dauere. Bis vor drei Monaten sei dieser Weg vorgeschrieben gewesen, sagt Gregor. Abrechnen könne er den PCR-Test nur für Privatversicherte, für Kassenpatienten sei es eine kostenpflichtige „Igel-Leistung“, die er in seiner Praxis zum Selbstkostenpreis von 40 Euro anbiete.
Die atypische Lungenentzündung könne mit Antibiotika aus der Gruppe der Makrolide gut behandelt werden, versichert Kinderarzt Gregor. Doch Erythromycin, eins der beiden probaten Mittel, sei kaum verfügbar, dabei sei es gut verträglich. „Wir führen täglich fünf bis sechs Telefonate mit Apotheken, weil das Mittel nicht zu kriegen ist.“ Alternativ könne er Azithromycin verschreiben.
Auch Erwachsene können sich mit Mykoplasmen anstecken
Während das Antibiotikum genommen werde, müsse das Kind drei Tage zu Hause bleiben. „Wenn es fieber- und symptomfrei ist, ist es auch nicht mehr ansteckend.“ Bevor es in Kita oder Schule zurückkehre, sollte es mindestens zwei Tage ohne Fieber sein, rät der Arzt.
Da Mykoplasmen-Infektionen oft lange unentdeckt bleiben und man von niemandem verlangen könne, ein hustendes Kind auf bloßen Verdacht drei Wochen zu Hause zu lassen, verbreiten sie sich gerade in Gemeinschaftseinrichtungen wie Kitas und Schulen schnell: Kinder ab drei Jahren sind folglich häufig betroffen. „Aber es gibt keine Altersobergrenze, auch Erwachsene können sich anstecken“, betont Gregor.
Mykoplasmen seien übrigens kein neues Phänomen, sondern nur wegen der strikten Hygieneregeln während der Corona-Pandemie praktisch fast völlig verschwunden gewesen. „Jetzt brandet das wieder auf. So wie wir 2022 eine Welle der Streptokokken-Infektionen hatten“, sagt Tobias Gregor. Die Einschätzung teilt Claudio Finetti: In den Jahren 2021 und 2022 habe es am Elisabeth-Krankenhaus jeweils vielleicht ein, zwei Kinder mit einer durch Mykoplasmen verursachten, atypischen Lungenentzündung gegeben: „In diesem Winter hatten wir schon 31 Fälle.“ Die Kollegen von der Uniklinik berichteten Ähnliches. Die gute Nachricht für die Eltern, so Finetti: Die Mykoplasmen-Pneumonie sei weniger gefährlich als eine Influenza oder das RS-Virus.
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