Essen. Wolf D. Harhammer hat beim Zirkus gearbeitet und fotografiert. Im Essener Museum Folkwang feiert das fast vergessene Werk seine Wiederentdeckung.
Der Zirkus hat schon immer Fotografen angezogen. Der Ort, wo schillernde Illusion und harte Arbeitswirklichkeit, Freiheitsgefühl und die Mühsal wirtschaftlichen Überlebens seit jeher für eine besondere Reibung sorgten, hat auch Wolf D. Harhammer in den 1970ern fasziniert. Einige Jahre war der Student der Stuttgarter Kunst-Akademie damals Teil dieser illustren Jahrmarkts-Gesellschaft - zeitweise als Requisiteur und Luftballonverkäufer, vor allem aber als Beobachter mit der Kamera. Ein Fotobuch und etliche Bananenkisten voller Aufnahmen sind ihm aus dieser Zeit geblieben. Das Werk aber geriet in Vergessenheit.
Mittlerweile ist Harhammer über 80. Mit der Frage, was mit diesem Konvolut geschehen soll, wandte sich der Stuttgarter Fotograf 2020 dann in einem handgeschriebenen Brief auch an Thomas Seelig, Chef der Fotografischen Sammlung am Museum Folkwang. Den ließ der Hilferuf nicht los. Zweimal reiste Seelig in den folgenden Monaten nach Stuttgart - und sichtete einen Bilderschatz in Bananenkisten. 170 Arbeiten sind heute Bestandteil der Fotografischen Folkwang-Sammlung.
Fotografien von August Sander bis Diane Arbus
Das Ergebnis dieser glücklichen Rettung und Wiederentdeckung kann man nun im Folkwang-Untergeschoss sehen. „Zwei Wirklichkeiten“ präsentieren Harhammers Fotografien über ein halbes Jahr lang im Verbund mit prominenten Vertretern der Folkwang-Sammlung - von August Sander bis Tobias Zielony.
Die Faszination für diese ebenso fremde wie faszinierende Welt der Verwandlung hat schließlich viele gepackt. Diane Arbus präsentiert da ihre dralle „Burlesque Comedienne“ 1963 vor dem Schminkspiegel, während Harry Hachmeisters „Prinzessin“ 2005 schon von den Übergängen und Zwischenzuständen geschlechtlicher Zuschreibung erzählt.
Harhammers Bilder aus den 70ern kennen diese identitätspolitischen Gratwanderungen noch nicht. Gleichwohl sind seine einfühlsamen Fotografien von aufwendig geschminkten Travestie-Künstlern und exotischen Varieté-Darstellern schon damals ein Spiegel der gesellschaftlichen Vielfalt; nicht auf den Effekt ausgerichtet, sondern meist getragen von fast intimer Vertrautheit.
Harhammer zeigt keine Stars in der Manege, sondern echte Zirkus-Menschen, vom Raubtierpfleger bis zur Kassenfrau, vom Weißclown bis zu Altmeister Kastello aus dem Zirkus Bonanza. Meist fotografierte er mit Weitwinkel, ohne zusätzliches Licht, „kein Schnickschnack“, sagt Harhammer, der fotografische Autodidakt, rückblickend.
Artisten, Raubtierpfleger und der Weißclown
Was ihn damals inspiriert, ist nicht die schrille Aufmachung, die circensische Sensation. Ihn faszinieren ganz einfach die „Menschen, die Dinge machen, die eigentlich überflüssig sind“, erzählt Harhammer zur Ausstellungseröffnung. Auch seine eindringlichen Porträts entstehen lange Zeit um ihrer selbst Willen, ohne Auftrag und Aussicht auf Veröffentlichung.
Im Jahr 1981 erscheint unter dem Titel „Zwei Wirklichkeiten“ dann doch ein Fotobuch im Trikont-Verlag. Es ist Höhepunkt und zugleich auch Abschluss von Harhammers Karriere als Fotograf. Die „innere Mission, sozialkritische Bilder zu machen“ wird von der Realität eingeholt, eine Familie zu ernähren. Statt auf Jahrmärkten trifft man Harhammer in den späteren Jahren dann beispielsweise als Händler auf Weihnachtsmärkten, „die Selbstständigkeit war mir immer wichtig“.
Die späte museale Nobilitierung seines Werks ist ein Glücksfall für den 82-Jährigen, der wie viele Fotografen um den Erhalt seines analoges Werk gebangt hat. Und damit einmal mehr den Beweis liefert für die Notwendigkeit eines bundesweiten Fotoinstituts, das bekanntlich nicht in Essen, sondern in Düsseldorf angesiedelt werden soll. Für das Werk von Wolf D. Harhammer war das Museum Folkwang gleichwohl genau die richtige Adresse: „Wahrscheinlich ist es jetzt da, wo es hingehört.“
Wolf D. Harhammer „Zwei Wirklichkeiten“, 9. Februar bis 26. Mai/11. Juni bis 1. September, Eintritt frei.
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