Essen-Vogelheim. Thomas Döller war 32 Jahre lang Lehrer an der Gesamtschule Nord in Essen. Obwohl er seinen Beruf mag, kritisiert er das Schulsystem harsch.
Wenn Lehrer Thomas Döller noch einmal in den Musikraum der Gesamtschule Nord in Essen-Vogelheim zurückkehrt und sich an das Schlagzeug setzt, dann merkt man sofort, dass ihm dieser Ort besonders vertraut ist. 32 Jahre lang war der 66-Jährige Lehrer für Musik, Kunst und Französisch an der Gesamtschule Nord. Nun zieht er Bilanz.
Ende Januar ging der gebürtige Essener in Pension und blickt auf eine Zeit zurück, in der sich das Schulsystem stark verändert hat. „Die Schülerschaft ist nicht mehr so homogen wie früher, diese große Bandbreite stellt uns Lehrkräfte oft vor große Herausforderungen“, resümiert Döller die aus seiner Sicht größte Veränderung. Früher habe es eine stabile Mittelschicht unter den Schülerinnen und Schülern gegeben. Dies sei heute anders: „Die Mittelschicht ist nahezu verschwunden. Dafür ist das untere Drittel der leistungsschwächeren Schüler deutlich größer geworden“, so der Lehrer.
Lehrermangel auch in Essen erschwert konstante Förderung
Bedingt durch Inklusion und Sprachbarrieren müsse man viele Kinder besonders fördern: „Die Lernprozesse konstant zu halten, ist schwierig geworden. Dabei ist natürlich auch der Lehrermangel eklatant.“ Dazu komme, dass es bei den Schülerinnen und Schülern oftmals an Leistungsbereitschaft fehle. „Natürlich möchte jeder den bestmöglichen Abschluss machen und es gibt auch viele Jugendliche, die unsere Schule mit einem sehr guten Abitur verlassen.“
Bei vielen Kindern und Jugendlichen sei die Leistungsbereitschaft an vielen Stellen „enorm fragwürdig“, beklagt der Lehrer. „Viele Schülerinnen und Schüler kommen aus benachteiligten Haushalten und erfahren durch ihre Eltern wenig bis gar keine Unterstützung.
Vertraute und herzliche Atmosphäre
Ob fehlender Farbkasten oder vergessener Zeichenblock im Kunstunterricht – einen erheblichen Anteil an sozialer Verantwortung für die Schülerschaft tragen die Klassenlehrerinnen und -lehrer.“ Das Verhältnis der Schülerschaft zu den Lehrkräften sei ein Punkt, der sich in den letzten Jahren aus Döllers Sicht nicht verändert habe: „Auf dem Schulhof grüßen die Schüler jeden Lehrer und oft nimmt man sich auch Zeit für kurze Gespräche. Es herrscht überwiegend eine vertraute und herzliche Atmosphäre zwischen Lehrerschaft und Schülerschaft.“
Er selbst habe anfangs für sich ausprobieren müssen, welche Art von Lehrer er für seine Schüler sein wollte: „Ich habe schnell gemerkt, dass man vor allem authentisch sein muss. Kinder und Jugendliche merken schnell, wenn man ihnen etwas vormacht.“ Dass er einmal Lehrer wird, sei eigentlich gar nicht der Plan gewesen. „Ich habe Flöte und Lehramt studiert, bin aber durch und durch Musiker. Während meines Studiums habe ich an Musikschulen unterrichtet, aber nach meinem Referendariat habe ich mich letztendlich für die Tätigkeit an einer Schule entschieden und bin dabeigeblieben. Ich hatte von Anfang an in dieser Schule das Gefühl, dass ich musikalische Projekte umsetzen kann.“
In der Gesamtschule Nord, die unter anderem Kunst und Musik als Schwerpunkte hat, habe die gemeinsame Idee von Thomas Döller und seinem Kollegen Klaus Lotz, ein Schulkonzert mit der Schülerschaft zu veranstalten, schnell Anklang gefunden. „Das Schulkonzert ist mittlerweile Tradition geworden und wird auch jetzt, wo ich nicht mehr da bin, weitergeführt“, erzählt Döller sichtlich stolz.
Strategie gegen Respektlosigkeiten
Ein Problem an der Gesamtschule Nord, welches schon lange bestehe, seien indes der Platzmangel und der marode Zustand des Schulgebäudes. Angesichts der etwa 980 Schülerinnen und Schüler bestehe neben einem wenig ansprechenden Schulhof einfach nicht genügend Raum, beklagt Döller.
Auf die Frage, wie man mit Respektlosigkeiten von Schülern gegenüber Lehrern umgeht, hat Thomas Döller in 32 Jahren als Lehrer eine Strategie entwickelt: „Wenn ich beschimpft wurde oder mit der Schülerschaft in Konflikte geraten bin, dann war mir vor allem wichtig, dass ich mich der Situation stelle und den betroffenen Schülern zeige: Hier bin ich, du musst dich mit mir auseinandersetzen. Es war für mich nie eine Option, dass ich mir nach einem Vorfall eine Auszeit nehme. Dabei hat mir als Ausgleich auch immer die Musik geholfen. Vielleicht habe ich es so geschafft, nicht an psychischen Leiden, wie einem Burnout, zu erkranken. Bis auf wenige Tage bin ich in den 32 Jahren immer gerne gekommen.“
Der Abschied sei ihm übrigens dennoch nicht schwergefallen, erzählt der Lehrer: „Ich wusste seit über 30 Jahren, dass am 31. Januar 2024 das Ende meiner Zeit an der Schule gekommen ist. Für mich war es auch nie eine Option, noch weiter zu machen. Ich lasse natürlich viel zurück, doch das gehört zum Leben dazu.“
Die Pläne von Thomas Döller für seine Zeit im Ruhestand sind vielfältig. Sie reichen von Skifahren in der Schweiz über Wandern auf Korsika bis hin zum Aushelfen als Flötist in Orchestern. Auf die Frage, ob er wieder Lehrer werden würde, wenn er sich noch einmal neu entscheiden müsste, weiß Döller eine deutliche Antwort: „Ich glaube, ich habe alles richtig gemacht und würde diesen Weg noch einmal gehen. Ich hatte eine spannende Zeit und war immer mit dem Herzen dabei.“
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