Essen. Für Trauernde kann Heiligabend reiner Horror sein. Die Evangelische Kirche Essen will ihnen in einem Weihnachtsgottesdienst Trost geben.

Es ist das Fest der Liebe, Familien rücken zusammen, nehmen sich Zeit füreinander. Für jene, die einen geliebten Menschen verloren haben, ist Weihnachten oft ein schmerzliches Datum. Die Evangelische Kirche in Essen lädt sie nun zu einem Gottesdienst unter der Überschrift „Weihnachten ohne Dich – Du fehlst“ an Heiligabend in die Kreuzeskirche ein.

Adventszeit und Weihnachtsfest seien emotional aufgeladen, sagt Pfarrerin Eva Gabra. „Da kommt bei vielen Menschen ihre Trauer hoch – und gleichzeitig scheint kein Raum dafür zu sein.“ Sie habe als Krankenhausseelsorgerin viel Kontakt zu Trauernden gehabt, ihren Schmerz erlebt – und den Satz gehört: „Weihnachten fällt für mich aus.“ Eva Gabra, die auch Segens-Beauftragte im Kirchenkreis ist, findet das schade: „Die Weihnachtsbotschaft ist doch gerade: Ein Licht, das das Dunkel erhellt.“

Essener Pfarrerin will auch der Wut Raum geben

Sie und das Team von „Segen 45“ möchten in ihrem Gottesdienst auch Gefühlen wie Trauer, Wut und Verzweiflung Raum geben, von denen mancher Betroffener meine, er dürfe sie nicht aussprechen. Eva Gabra hat Trauernde gefragt, welcher Termin gut für sie wäre, und bekam die Antwort: „Nehmt Heiligabend – das ist der schlimmste Tag!“ Da mancher später am Tag noch zu Verwandten oder ins Krippenspiel geht, beginnt der Gottesdienst für Trauernde um 11.15 Uhr und entlässt die besondere Gemeinde später mit einem Segen in die Feiertage.

Wir sprechen Tod und Trauer an. Und es wird Platz sein für Erinnerungen an die geliebten Menschen.“
Eva Gabra

Eingeladen sind Alleinstehende wie Paare oder Familien, an jede Altersgruppe, jeden Trauerfall wolle man sich wenden; auch an Kinder, die einen Elternteil verloren haben. „Wir sprechen Tod und Trauer an“, sagt Eva Gabra. „Und es wird Platz sein für Erinnerungen an die geliebten Menschen.“

Gottesdienst für Trauernde in der Kreuzeskirche

Das Team von „Segen 45“ der Evangelischen Kirche Essen lädt Menschen, die um jemanden trauern, zu einem Weihnachtsgottesdienst ein: am Sonntag, 24. Dezember, um 11.15 Uhr in der Kreuzeskirche an der Kreuzeskirchstraße 16 in der nördlichen Innenstadt.

Der Gottesdienst unter der Überschrift „Weihnachten ohne Dich“ wendet sich an Trauernde jeden Alters, an Alleinstehende, Paare und Familien und möchte ihnen einen Segen für die Feiertage mitgeben. Informationen per Mail an: eva.gabra@evkirche-essen.de

Nicht mit jedem könne man über diese Erinnerungen, über den Verlust sprechen, sagt Ute Heidemann. Im Februar 2022 ist ihr Ehemann im Alter von 63 Jahren gestorben, fast 34 Jahre waren sie verheiratet. Sie glaubt, dass der Weihnachtsgottesdienst für Trauernde ein Halt sein kann in schwerer Zeit: „Ich hoffe, dass man dort mehr Trost findet, weil man unter Betroffenen ist. Nur Trauernde können Trauernde wirklich verstehen.“

Zwei Jahre kämpften sie gegen den Krebs

Ihr Mann sei an Leberkrebs gestorben, „wie sein Vater und sein Opa“. Ein halbes Jahr gab man ihm, als er die Diagnose bekam. „Wir wussten, dass es keine Heilung gab, aber wir haben mit dem Krebs gekämpft und Zeit gewonnen.“ Sie erlebten ein Auf und Ab, unverhofft gute Momente und Rückschläge: das Hin- und Herfahren zwischen Zuhause und Chemotherapie; die Hoffnung, noch eine Reise machen zu können, die sich durch die Pandemie zerschlug; Klinikaufenthalte, Metastasen. „Ich bin dankbar für die zwei Jahre, die uns noch geschenkt wurden.“

Man ahnt, dass es kraftraubende Jahre waren, in denen Ute Heidemann in Teilzeit ging, um zwischen Hoffen und Bangen das Leben der beiden weitgehend allein zu organisieren: von Pflegebett und Rollstuhl bis zum Verkauf des Hauses in Bedingrade und ihrem Umzug. Denn nach dem Tod ihres Mannes kehrte sie nach Kettwig zurück, nach mehr als 40 Jahren. Hier leben alte Freunde, ihre Mutter, Geschwister, auch ihre Zwillingsschwester, der sie engst verbunden ist. Kettwig ist für sie Heimat. „Ich musste hierhin.“

„Im Gottesdienst haben mich die Lieder berührt, ich habe einen inneren Frieden gespürt.“
Ute Heidemann, die ihren Mann verloren hat, über ihre Trauer

Über die Kirche habe sie in Kettwig auch neue, tolle Menschen kennengelernt. „Während der Krebserkrankung meines Mannes habe ich immer mit Gott gesprochen, aber mir fehlte die Zeit und die Kraft, um Gottesdienste zu besuchen.“ Nach seinem Tod habe sie einen Ort gebraucht, um in ihrer Trauer einmal zur Ruhe zu kommen. „Im Gottesdienst haben mich die Lieder berührt, ich habe einen inneren Frieden gespürt.“

Wenn sie alleine ist, kommen schmerzliche Gefühle hoch

Obwohl sie so aufgehoben ist in der Gemeinde und in ihrer Familie, sei die Trauer anfangs schwer zu ertragen gewesen. „Sobald man alleine ist, kommen die Gefühle hoch.“ Auch jetzt noch. Außenstehende könnten das nicht immer verstehen, sie sagten dann: „Nun ist ein Jahr vergangen, jetzt müsste es doch besser sein.“ Ute Heidemann sagt, es sei nicht mehr so schmerzvoll. „Es ist anders. Das Vermissen wurde sogar stärker.“

Verstanden fühlt sie sich in ihrer Trauergruppe. „Die Pfarrerin hat mich noch auf der Beerdigung darauf angesprochen.“ Als sie vier Wochen später hinging, spürte sie sofort: „Hier bin ich richtig.“ Längst trifft sie sich mit anderen aus der Gruppe auch privat, zu Spaziergang oder Stammtisch. „Ich habe jetzt mehr Bekannte als vorher“, sagt die 64-Jährige, die inzwischen in Rente ist.

Reise an die See riss Wunden auf

Ute Heidemann hatte den Mut zum Umzug, hat Kontakte gesucht, ist auf andere zugegangen. „Ich wusste: ,Du kannst das nicht alleine schaffen.’“ Doch nicht jeder Trauernde könne selbst aktiv werden. „Und leider haben viele Menschen eine Hemmschwelle, Trauernde anzusprechen, wissen nicht, wie sie mit ihnen umgehen sollen.“ Hilfe anbieten, sagen, dass man für den anderen da sei – das reiche oft schon. „Wenn jemand erst ablehnt: dranbleiben.“

Jeden Tag gebe es Dinge, Menschen und Momente, die Trauernde an den Menschen erinnern, den sie verloren haben. Das könne schön sein oder schmerzlich. So ging es Ute Heidemann, als sie mit einer Freundin an die See reiste: „Genau in die Gegend, wo ich immer mit meinem Mann Urlaub gemacht habe. Das war so schwer, weil wir da immer so glücklich waren.“ Sie habe das falsch eingeschätzt und wisse nun: „Ich fahre lieber irgendwohin, wo ich vorher nie war.“

Weihnachten spüren sie: Es ist nicht mehr wie vorher

Anders als Reiseziele lässt sich Weihnachten nicht umgehen, auch Ute Heidemann wird Heiligabend an den abendlichen Spaziergang mit ihrem Mann denken. Ihre große Familie – sie hat fünf Geschwister – fängt sie an diesen Tagen auf.

Eva Gabra wünscht Trauernden, dass sie solche Geborgenheit erleben und auch einen Ort haben, an dem sie sagen können: „Es fehlt jemand.“ Gerade Familien, die mit einem Verlust leben müssten, versuchten oft, möglichst viel Normalität für die Kinder aufrecht zu erhalten. Doch denen könne es auch helfen, sagen zu dürfen: „Es ist nicht so wie vorher.“

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