Essen. Das Bundeskriminalamt (BKA) spricht von einem deutlichen Anstieg der Gewaltkriminalität in Deutschland. Das ist die Lage in Essen.
Es war ein beunruhigender Befund, den die Essener Polizei Anfang des Jahres öffentlich machte: Den höchsten Anstieg aller Fallzahlen bei den 7823 Rohheitsdelikten machten Körperverletzungen mit 4145 Fällen aus. Das war nicht nur ein Plus von 922 dieser Gewalt-Straftaten, sondern auch der höchste Stand der vergangenen Dekade in Essen. Ein unschöner Rekord, wohl wahr. Doch der könnte in diesem Jahr sogar noch einmal übertroffen werden, lässt ein Blick auf die aktuellsten Zahlen erahnen.
Im November noch hatte das Bundeskriminalamt (BKA) berichtet, dass die Gewalttaten im ersten halben Jahr 2023 deutschlandweit um 17 Prozent zugenommen haben. „Die Gesellschaft ist leider gewalttätiger geworden“, kommentierte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) diesen deutlichen Trend, der auf dem Hoheitsgebiet der Essener Polizei allerdings weniger dramatisch auszufallen scheint: Zwar sind die Straftaten der Gewaltkriminalität, der etwa Mord, Totschlag, Körperverletzungen oder Raub zugeordnet werden, ebenfalls häufiger registriert geworden. Jedoch stieg ihre Zahl in den ersten zehn Monaten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum insgesamt nur leicht um 94 auf 2362 Fälle. Das entspricht einem Plus von knapp vier Prozent und liegt damit deutlich unter dem derzeitigen Bundestrend.
25 Prozent mehr gefährliche und schwere Körperverletzungen
Klar wird beim Blick auf die vorläufigen Behördenzahlen aber auch: Die gefährlichen und schweren Körperverletzungen auf Straßen, Wegen und Plätzen haben mit einer fast 25-prozentigen Zuwachsrate den größten Sprung bei den Gewaltdelikten gemacht – um 194 auf 783 Fälle in den ersten zehn Monaten dieses Jahres. Da sind die einfachen Körperverletzungen noch nicht mit eingerechnet.
Und: Die Straßenkriminalität, zu der unter anderem Diebstahl und Raub, aber auch Landfriedensbruch oder Sachbeschädigung zählen, hat zwischen Januar und Oktober ebenfalls stark zugelegt – um knapp 18 Prozent auf 11.909 Delikte. Das ist ein Plus von 2116 gegenüber dem Vergleichszeitraum 2022, während die Zahl der Raubüberfälle auf Straßen, Wegen oder Plätzen mit 260 exakt konstant geblieben ist. Dies geht aus der Statistik „Sicherheit im Fokus“ des Landeskriminalamtes (LKA) hervor.
Zur besseren Einordnung: 2022 lag der Anteil der Gewaltkriminalität an der Gesamtkriminalität in Essen bei rund 4,5 Prozent. Insgesamt sind der Behörde an der Büscherstraße im vergangenen Jahr 60.139 Straftaten bekannt geworden. Das waren 3245 (+ 5,7 %) mehr als 2021.
Was gefährliche Körperverletzung heißt, geht meist glimpflich aus
Auch wenn die jüngsten Zahlen vorläufige sind, dürften sie sich nicht allzu sehr von denen unterscheiden, die am Ende in die offizielle örtliche Kriminalitätsstatistik einfließen werden, die turnusgemäß im ersten Quartal des jeweils nächsten Jahres veröffentlicht wird, heißt es in der Essener Behörde. Bis dahin darf das Präsidium keine eigene Bilanz veröffentlichen. So will es das Innenministerium.
Gegenüber dieser Zeitung war die Essener Polizei dennoch bereit, die aktuellen Entwicklungen einzuordnen. Auf die Frage, welche Erklärungen es für die durchaus bemerkenswerten statistischen Ausreißer bei den Körperverletzungen und bei der Straßenkriminalität gibt, lautete eine Antwort: „Aufgrund von Berichterstattungen (Messerangriffe an Schulen, Gewalt unter Jugendlichen etc.) ist die Anzeigenbereitschaft insbesondere im Bereich der Jugendkriminalität merklich gestiegen.“ Und weiter: „Die Einordnung in das Delikt gefährliche Körperverletzung ist meist dem Umstand geschuldet, dass die Taten aus Gruppen heraus geschehen.“ Das heißt: Schlägt ein Täter zu, handelt es sich um eine einfache Körperverletzung, sind es mehrere, wird das Delikt als gefährliche Körperverletzung gewertet.
Der statistische Summenschlüssel mit dem Namen „gef KV“ lässt zudem kaum vermuten, dass die allermeisten dieser Straftaten glimpflich ausgehen. Was aber nach Darstellung der Polizei genau so ist: In neun von zehn Fällen bleiben die Geschädigten unverletzt oder sie werden leicht verletzt. Das wiederum heißt: Eine ambulante Versorgung reicht aus. Hätten sie stationär im Krankenhaus behandelt werden müssen, wären sie als Schwerverletzte in die Polizeiakten eingegangen.
Im vergangenen Jahr wurden 275 Straftaten mit Messern bekannt
Für die Einordnung einer Straftat in der Rubrik „gefährliche Körperverletzung“ ist also nicht irgendein Verletzungsgrad maßgeblich, sondern die Art und Weise der Tat - durch einen oder mehrere Verdächtige, mittels einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs, unabhängig von den Auswirkungen eines Angriffs. Ist dabei zum Beispiel eine Klinge im Spiel, kann die Grenze zwischen Leben und Tod allerdings sehr schmal sein: Im vergangenen Jahr wurden den Ermittlern 275 Straftaten mit Messern bekannt. Das waren 68 mehr als im Jahr zuvor. Ob sich diese besorgniserregende Entwicklung in 2023 fortgesetzt hat, ist noch nicht zu verifizieren.
Doch nicht nur bei den Körperverletzungen, sondern auch bei den Straftaten der Straßenkriminalität ist das Bild ein anderes, als wohl zumeist vermutet wird: Aktuell blieben 93,3 Prozent der Opfer unverletzt oder sie trugen leichte Blessuren davon. Da zudem zehn von 23 Delikten, die dieser Kategorie zugeordnet werden, Diebstähle sind, ist die Steigerung in der Summe um 2116 Fälle unter der allgemeinen Überschrift „Straßenkriminalität“ nach Angaben der Polizei in erster Linie durch den fast explosionsartigen Anstieg beim Fahrradklau zu erklären. Bis zum Sommer hatten sich die Rad-Diebstähle bereits verdoppelt, bis zum Jahresende rechnet die Polizei mit dreimal so vielen Delikten.
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