Essen. In Essen waren die Grünen stets ein Pfeiler im CDU-Machtgefüge, doch die Preise und die Nervosität steigen. Das zeigte die Haltestangen-Affäre.
In der Verkehrspolitik gibt die Essener CDU derzeit ein unglückliches Bild ab, und der Rohrkrepierer Hochradweg in Altenessen sowie die kuriose Haltestangen-Affäre in Rüttenscheid sind da nur die aktuellsten Beispiele.
In Altenessen hatte CDU-Ratsfraktionschef Fabian Schrumpf selbst die Dinge forciert, um zwar das Radfahren zu fördern, den Autofahrern in Altenessen aber keinen Straßenraum wegzunehmen. Kann man machen, wenn eine Vermehrung von Fläche mit vertretbarem Geldeinsatz möglich ist, obwohl der Stadtteil schon soziografisch gewiss keine Fahrrad-Hochburg ist. Jedenfalls waren 77 Millionen Euro dann wohl doch etwas arg viel. Oder hat das mittlerweile stark auf Grün getrimmte Amt für Straßen und Verkehr das Projekt in schwindelerregende Höhen gerechnet, um es frühzeitig zu torpedieren, wie einige mutmaßen? Vorerst muss das offenbleiben.
Die potenziellen Wähler der CDU stehen mehrheitlich auf der Gegenseite
Fakt ist: Die CDU steht düpiert da, und das nicht zum ersten Mal. Im schwelenden Streitfall um die Rüttenscheider Straße merkte man Schrumpf zuletzt an, wie sehr er sich quält mit diesem ungeliebten Projekt. Verständlich, seine potenziellen Wähler stehen ganz überwiegend auf der Gegenseite und müssen feststellen, dass die CDU nichts in ihrem Sinne ausrichten kann – oder will.
Die juristischen Zwänge rund um den Vergleichsvertrag mit der Umwelthilfe sind dabei nur ein Teil der Wahrheit. Zwar steht die Rü als Fahrradstraße im Vertrag, doch ob auch Details wie die Autoverdrängung vor Gericht zu erzwingen wären, ist fraglich. Zusätzlich nehmen aber eben die Essener Grünen die CDU in die Zange und drohten mit dem Ende der Ratskooperation, sollten auf der Rü neue Verschärfungen abgelehnt werden. Da die Grünen seit langem ein verlässlicher Pfeiler im CDU-Machtgefüge in Essen sind und alle denkbaren Alternativen im Stadtrat unbequemer und riskant wären, knickte der größere Partner ein.
Schon seit längerer Zeit manövriert sich die CDU mit verkehrspolitischen Zugeständnissen an die Grünen in Sackgassen, aus denen sie nun nicht mehr herauskommt. Beispielsweise schloss man sich kurz vor der Kommunalwahl 2020 in panikartiger Hast dem „Radentscheid Essen“ an, einem „Wünsch dir was“-Maßnahmenkatalog der Fahrrad-Lobby. Es galt um jeden Preis einen Bürgerentscheid zu verhindern, den die CDU fürchtete zu verlieren. Man hoffte vielleicht, dass alles nicht so heiß gegessen wird wie gekocht, aber verständlicherweise begnügen sich Grüne und die Rad-Lobby nicht mit schönen Worten und wollen nun Taten sehen.
Die Halbierung des Autoverkehrs als große Illusion
Bereits ein Jahr hatte die CDU im Stadtrat für einen Antrag gestimmt, den Anteil des Autoverkehrs in Essen bis zum Jahr 2035 verbindlich um mehr als die Hälfte zu reduzieren und andere Arten der Fortbewegung – vor allem den Radverkehr – zu verdoppeln und zu verdreifachen. Ein extrem ehrgeiziges Unterfangen, und längst ist klar: Der sogenannte „Modal Split“, die 25-Prozent-Parität von Auto, Fahrrad, ÖPNV und Zufußgehen, ist eine Illusion. Zwar hat sich der Anteil des Radverkehrs seit 2019 leicht erhöht, der des Autoverkehrs aber stagniert – bestenfalls. Bus und Bahn haben sogar Anteile verloren.
Die Menschen lassen sich von der Politik eben nicht nach deren Gusto erziehen. Der CDU mag das insgeheim auch klar gewesen sein, aus machtpolitischen Gründen hat sie trotzdem den ideologisch getriebenen Ideen der Grünen zur Mehrheit verholfen. Hätte die CDU sich nicht zum Steigbügelhalter gemacht, hätten es andere getan, heißt es bei denen in der Oberbürgermeisterpartei, die sich als besonders pragmatisch verstehen. Tatsächlich ist das ein dürftiges Argument, mit dem sich letztlich alles rechtfertigen lässt, auch der größte Unfug. Und genau dieser Unfug wird ja nun auch vielfach umgesetzt, in Rüttenscheid und anderswo.
Die Nervosität wächst, wie die Haltestangen-Affäre deutlich zeigte
Nun geht es an keiner Partei spurlos vorüber, wenn sie Politik gegen die Interessen eines Großteils ihrer potenziellen Wähler macht. Die CDU wirkt mittlerweile sehr nervös – wie sehr, das war vor einigen Tagen zu besichtigen, als sich OB Thomas Kufen aus vergleichsweise geringfügigem Anlass zu einem spektakulären, öffentlich zelebrierten Machtwort veranlasst sah. Im Amt für Straßen und Verkehr hatte es jemand für eine gute Idee gehalten, an zentraler Stelle der Rüttenscheider Straße zwei Gestänge anzubringen, an denen sich Radfahrer bei Ampelrotlicht festhalten können, um kein Bein vom Pedal nehmen zu müssen.
Für Kufen war das die entscheidende Kleinigkeit zu viel – und zudem eine gute Gelegenheit, der politisch bei den Grünen beheimateten Verkehrsdezernentin Simons Raskob zu zeigen, wo der Hammer hängt. Wütend befahl der OB die sofortige Entfernung, nicht mal 24 Stunden blieben die Stangen im Boden. Eine bewusste und öffentlich gemachte Demütigung für Raskob und ihren Amtsleiter, wobei die Dezernentin von nichts gewusst haben will, wie Kufens Sprecherin erklärte.
Das beabsichtigte Signal in der Haltestangen-Affäre ist jedenfalls offensichtlich: Die CDU ist noch da und lässt sich nicht von den Grünen überrumpeln. Solange die CDU bei den großen Themen grummelnd über ihre Stöckchen springt, werden die Grünen das aber wohl verkraften. Das Grunddilemma der CDU lösen solche Kraftmeiereien ohnehin nicht, und die Preise für das grüne Wohlwollen dürften bis zur Kommunalwahl im Herbst 2025 eher noch steigen.