Essen. In den 1970ern war „Tangerine Dream“ in der Synthesizer-Musikszene bekannt. Beim Konzert in Essen boten sie alte Qualitäten und teils neue Songs.

Anfang der 1970er Jahre zählten „Tangerine Dream“ zu den stilbildenden Pionieren der Klangbilder produzierenden Synthesizer-Szene. Als sphärisch klingende Propheten, die in der Heimat zwar wahrgenommen, jedoch in England weit mehr geschätzt wurden, hatte die Gruppe nach drei Veröffentlichungen beim Ohr-Label einen Vertrag beim innovativen britischen Label Virgin von Richard Branson ergattern können. „From Virgin to Quantum Years“ heißt demzufolge auch der Titel ihrer aktuellen Tour, auf der das Trio seine Fans in der gut besuchten, jedoch nicht ganz ausverkauften Lichtburg immer wieder zu Begeisterungsstürmen hinriss.

Seit dem Tod von Tangerine Dream-Mastermind Edgar W. Froese hat der musikalische Testamentsvollstrecker und Weiterentwickler Thorsten Quaeschning ein Erbe von beträchtlichem Gewicht übernommen. „Alte, neue und nicht ganz so alte“ Titel versprach Quaeschning und verriet somit indirekt, dass „Tangerine Dream“ keinesfalls eine Art chronologischen Katalog von Klassiker-Titeln abspielen wollte.

Homogenes Zusammenwirken von Ton, Licht und Video

Die drei von „Tangerine Dream“: Thorsten Quaeschning, Hoshiko Yamane und Ulrich Schnauss (von links).
Die drei von „Tangerine Dream“: Thorsten Quaeschning, Hoshiko Yamane und Ulrich Schnauss (von links). © TD

Die Auswahl zwischen dem definitiven Klassiker „Phaedra“, ein Titel des gleichnamigen ersten Albums, das 1974 bei Virgin veröffentlicht wurde, und neuen Stücken wie „Continuum“ vom 2022 erschienenen Album „Raum“ schien willkürlich. Es hatte jedoch den Effekt, dass nicht die Versuchung einer Einordnung nach dem Entstehungsdatum bestand.

Als Corporate Klang-Design fungieren bei „Tangerine Dream“ nach wie vor repetitive, melodische Synthesizer-Sequenzen, die Vorliebe für perkussive Sounds, die auch schon mal über Field Recordings gewonnen werden, sowie das homogene Zusammenwirken von Ton, Licht und Video. Das wichtigste Merkmal ist jedoch das zwischenmenschliche Element, das bei aller involvierten Elektronik fast als Anachronismus anmutet.

Hier musizieren Menschen, keine humanoiden Roboter

Hier stehen keine humanoiden Roboter an ihren Pulten, vielmehr ergänzen sich Thorsten Quaeschning (Synthesizer, Gitarre), Hoshiko Yamane (Violine, Synthesizer) und Ulrich Schnauss (Synthesizer) in Echtzeit in einem perfekten und ungemein vitalem Zusammenspiel, das alte wie neue Titel absolut frisch und wie aus der gleichen Schaffensphase klingen ließ.

Während abgrundtiefe Synthesizer-Bässe den Saalboden vibrieren lassen und den Raumhall klanglich satt auffüllen, ist es häufig das sphärische Violinspiel von Yamane, das einen atmosphärischen Kontrapunkt liefert. Während bei anderen „Elektronikern“ schon mal Zweifel aufkommen, wie viele Anteile der Musik tatsächliche live gespielt werden und wie viele als Samples von der Festplatte nur zugespielt werden, ist „Tangerine Dream“ diesbezüglich über jeden Zweifel erhaben.

Musik, die im Fluss ist und manchmal sogar für die Tanzfläche taugt

Die Musik, deren rockige bis „industrielle“ Anmutung gelegentlich sogar für die Tanzfläche taugt, klingt undigital warm, was sicherlich von dem strömenden Herzblut kommt, mit dem das Trio agiert. Überhaupt scheint alles im Fluss, sphärisch meditative Sequenzen fließen, mit temperamentvoll rhythmischen zusammen, bilden Strudel, ehe sie sich dann mit überraschender Leichtigkeit für eine Fließrichtung entscheiden.

Dass das nicht nur bei ihrer arrangierten Musik vortrefflich und immer wieder zum Jubel animierend gelingt, beweist das Trio mit einer rund 40-minütigen Zugabe, einer Improvisation in a-Moll. Sie setzt den Schlusspunkt für einen wahrhaft berauschenden und zu Recht gefeierten Konzertabend.