Essen. Von der Kritik gelobt, von Opernfans geliebt. Die gefeierte Sopranistin Jessica Muirhead soll am Aalto-Theater Essen trotzdem nicht weiter singen
Wenn es in den vergangenen Jahren am Aalto-Theater große Partien zu verteilen gab, dann war sie zumeist gefragt: Jessica Muirhead, die Sopranistin mit der schönen Stimme und dem großen Herzen, gilt in Essen als echter Publikumsliebling – von der Kritik hochgelobt, von den Opernfans gefeiert. Es soll Zuschauer geben, die eigens nach Essen reisen, um die britisch-kanadische Sängerin auf der Bühne zu erleben. Doch damit soll es in der kommenden Spielzeit vorbei sein. Der Vertrag wurde nicht verlängert. Bei vielen Musikfans ist die Nachricht mittlerweile angekommen und sorgt für ratloses Erstaunen.
Freilich ist das Kommen und Gehen am Theater seit jeher gängige Praxis, es soll für frische Inspiration und künstlerische Neustarts sorgen und wird nicht zuletzt durch das Grundrecht der Kunstfreiheit abgedeckt. Vor allem ein Intendanten-Wechsel setzt das Personalkarussell für gewöhnlich in Bewegung. Auch die neuen Schauspiel-Intendantinnen Christina Zintl und Selen Kara haben zum Amtsantritt etwa die Hälfte des alten Ensembles nicht übernommen und die Stellen neu besetzt.
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Aalto-Intendantin Merle Fahrholz hat sich nach dem Abschied ihres Vorgängers Hein Mulders zunächst gegen personelle Veränderungen im Ensemble entschieden. Die ebenfalls anstehende Neubesetzung des Generalmusikdirektors dürfte dabei eine Rolle gespielt haben. Der neue GMD Andrea Sanguineti soll schließlich nicht nur mehr Zeit als sein Vorgänger Tomás Netopil in Essen verbringen, sondern auch stärker in die Ensemble- und Spielplanpolitik miteingebunden werden. Dabei gehe es um die Entwicklung einer langfristigen künstlerischen Linie, Aspekte der künftigen Repertoire-Gestaltung und eben auch um Personalfragen, so Fahrholz. Dass es Veränderungen geben werde, sei dabei immer klar gewesen. Dass es das Aushängeschild des Hauses als erste trifft, hat aber wohl niemand erwartet.
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Nicht nur für Muirhead, die seit 2015 zum Aalto-Ensemble gehört, kam die Nachricht von der Nichtverlängerung nach Ansicht von Beobachtern jedenfalls völlig überraschend. Auch beim Freundeskreis Theater und Philharmonie hat man die Entscheidung, die Sängerin ab 2024 in Essen nicht weiterbeschäftigen zu wollen, dem Vernehmen nach mit einiger Verblüffung vernommen. Der einflussreiche Förderkreis hatte Jessica Muirhead 2018 mit Empfehlung des damals noch amtierenden Hein Mulders den Aalto-Bühnenpreis für junge Künstler verliehen.
Von „Violetta“ bis „Arabella“: Jessica Muirhead hat zahllose Titelpartien gesungen
Kaum eine Frauen-Figur der großen Opernliteratur, die Muirhead in den vergangenen Jahren schließlich nicht schon mit ihrer Stimme beseelt hatte: Als Donna Anna in „Don Giovanni“, als Violetta in „La Traviata“, Elsa von Brabant in Wagners „Lohengrin“ und der Agathe im „Freischütz“ sowie den Titelrollen in „Arabella“ und „Lucrezia Borgia“ wurde sie zu einer der fleißigsten Kräfte und festen Größen im Aalto-Theater.
In der Führungsetage der Essener Theater und Philharmonie (TuP) hat man sich die Entscheidung nach eigenen Angaben denn auch nicht leicht gemacht haben. Der ebenfalls neu angetretene TuP-Geschäftsführer Fritz Frömming verweist aber auf das rechtlich einwandfreie Prozedere, bei dem alle Fristen und Formalitäten für eine „Nichtverlängerung aus künstlerischen Gründen“ berücksichtigt worden seien. Jeder mit einem Normalvertrag Bühne ausgestattete Künstler wisse zudem, dass der Kontrakt jedes Jahr aufs neue beendet werden könne. Darüber hinaus zeigen sich alle Beteiligten bei Fragen zu den Gründen der künstlerischen Demission aus rechtlichen Gründen zwangsläufig zugeknöpft. Auch die betroffene Künstlerin muss Stillschweigen bewahren.
Loyal, kollegial und sehr fleißig – Kollegen mögen die Künstlerin und den Menschen
Gemeinhin sind solche Verhandlungsinhalte auch kaum Gesprächsthema, oft werden Veränderungen im Ensemble vom Publikum nicht einmal großartig wahrgenommen. Es sei denn, es handelt sich um einen Ensemble-Star wie Jessica Muirhead, deren Qualitäten nicht nur auf der Bühne, sondern auch hinter den Kulissen hochgelobt werden. „Loyal, kollegial, respektvoll, unkompliziert“ und „sehr fleißig“, das sind nur einige Beschreibungen, die im Zusammenhang mit Jessica Muirhead fallen. „Niemand kann die Entscheidung nachvollziehen“, heißt es auch von Seiten der Bühnengewerkschaft GDBA und ihrem NRW-Landesverbandschef Adil Laraki.
Disziplin dürfte für Jessica Muirhead in den kommenden Monaten ebenfalls eine wichtige Eigenschaft sein. In der laufenden und letzten Spielzeit wird die Sopranistin immerhin in einem halben Dutzend Aalto-Produktionen – Premieren und Wiederaufnahmen – zu erleben sein: als Mimi in „La Bohème“, als Margarita in der deutschsprachigen Erstaufführung von „Fausto“ oder als Gräfin Almaviva in „Die Hochzeit des Figaro“. Sofort neubesetzt werden soll ihre Ensemble-Stelle übrigens nicht. Man habe sich bewusst entschieden, in der folgenden Spielzeit zunächst mit Gästen zu arbeiten, erklärt Opern-Intendantin Merle Fahrholz.
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