Essen-Holsterhausen. Die Holsterhauser Apotheke kennen viele im Stadtteil. Nun gibt die Inhaberin an einen Nachfolger ab. Ein echter Abschied ist das aber nicht.
Generationenwechsel in der Holsterhauser Apotheke: Die langjährige Inhaberin Anke Wiesenewsky (55) übergibt den Betrieb zum 1. Oktober an Ahmad Shipley. Der 33-Jährige floh 2015 mit seiner Frau aus Syrien nach Deutschland. „Die Chemie hat sofort gestimmt“, sagt Wiesenewsky. Obwohl sie den Betrieb abgibt, verabschiedet sich die Apothekerin nicht ganz.
Die Holsterhauser Apotheke an der Cranachstraße 35 hat eine lange Geschichte, sie ist über 90 Jahre alt. 1931 wurde sie von dem Apotheker Josef Kittel eröffnet, der sie bis zu seinem Tod 1938 führte. Seine Witwe verpachtete die Apotheke dann über 30 Jahre an Heinz Schulte-Mattler. Als dieser 1941 zum Militär eingezogen wurde, sollte die Apotheke geschlossen werden. Seine Frau, die vier Kinder zu ernähren hatte, erreichte aber bei der zuständigen Behörde eine Weiterführung des Betriebs mit Hilfe einer approbierten Verwaltung, bis der Apotheker 1947 aus der Gefangenschaft zurückkehrte.
Ehemalige Inhaberin arbeitet jetzt auf 30-Stunden-Basis in Essener Apotheke
Sein Sohn Horst Schulte-Mattler stieg sofort nach dem pharmazeutischen Staatsexamen 1959 in den väterlichen Betrieb ein, den er 1968 übernahm und über 40 Jahre lang leitete. 1999 übergab er an seine Frau Anke Wiesenewsky, die ihn wiederum knapp 25 Jahre führte. Nun hat sie sich entschlossen, beruflich kürzer zu treten. Die Gründe dafür sind privater Natur, Wiesenewsky wünscht nach den Jahrzehnten der Selbstständigkeit wieder mehr Freizeit, mehr Zeit mit ihrem Mann und für Hobbys. Deshalb wechselt sie vom Chefposten zurück ins Angestelltenverhältnis. 30 Stunden pro Woche wird sie künftig für den neuen Inhaber Ahmad Shipley arbeiten.
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„Für mich ist es sehr wichtig, dass Frau Wiesenewsky als Gesicht der Apotheke weiterhin hier arbeitet“, sagt Shipley. Der 33-Jährige hat in Syrien studiert und an der Universität seine Frau, ebenfalls Apothekerin, kennengelernt. Nach seinem Abschluss arbeitete er zunächst im Außendienst eines pharmazeutischen Unternehmens und kaufte dann eine eigene kleine Apotheke, die er bis zu seiner Flucht leitete. Auch in Deutschland wünschten seine Frau und er sich wieder einen eigenen Betrieb. Als er erfuhr, welch lange Geschichte die Apotheke in Holsterhausen hat und wie sehr sie im Stadtteil verwurzelt ist, wusste er: „Das ist genau das Richtige.“
Essener Apothekerin: „Wir haben hier einen sehr persönlichen Kontakt zu den Kunden“
„Wir haben hier einen sehr persönlichen Kontakt zu den Kunden“, schildert Anke Wiesenewsky. Zum Teil begleite man die Familien über Jahrzehnte: „Es gibt junge Frauen, die wir als Schwangere betreuen. Dann machen wir alle Kinderkrankheiten mit. Und schließlich kommen die Kinder selbst als junge Mütter zu uns.“ Über die Jahre habe sie viel Vertrauen und persönliche Beziehungen zu den Kundinnen und Kunden aufgebaut.
In der aktuell brisanten Situation der Lieferengpässe vor allem von Kinderarzneien, aber auch von vielen anderen Medikamenten, sei der persönliche Kontakt in der Vorort-Apotheke extrem wichtig, so Wiesenewsky: „Wir können direkt mit den Patienten über Alternativen sprechen, Rücksprache mit dem Arzt halten und so Lösungen finden. So haben wir im letzten Winter große Mengen Fiebersäfte selber hergestellt.“
Einiges verändert habe sich in der Nachbarschaft durch den Bau der Cranachhöfe. Der habe nicht zuletzt für mehr Laufkundschaft gesorgt. Positiv sei auch, dass Kundinnen und Kunden jetzt das Parkhaus von Edeka nutzen und so ihren Einkauf mit dem Gang zur Apotheke verbinden könnten.
Ahmad Shipley kam in der Hochzeit der Flüchtlingswelle mit seiner Frau nach Deutschland und landete erst einmal in Bonn. Sein syrisches Pharmaziestudium wurde in Deutschland anerkannt. Bevor er als Apotheker praktizieren durfte, musste er allerdings zunächst die deutsche Sprache sehr gut beherrschen und das deutsche Gesundheitssystem verstehen, Arzneimittelgesetz und Apothekengesetz kennenlernen. Nach mehreren abgelegten Prüfungen bekam er eine deutsche Approbation.
Neuer Inhaber will Digitalisierung in Essener Apotheke vorantreiben
Gemeinsam mit seiner Frau zog es ihn dann nach Thüringen, in eine kleine Stadt in der Nähe von Eisenach, weil es in dem ostdeutschen Bundesland ein Aufnahmeprogramm für Syrerinnen und Syrer gibt, das Familiennachzug ermöglicht. So konnten seine Schwiegereltern und Brüder auch nach Deutschland kommen. Der nächste Schritt war die eigene Apotheke. Über eine Vermittlung stieß Shipley auf das Objekt in Holsterhausen. „Die Apotheke ist etabliert und wird geschätzt“, sagt der zweifache Familienvater. Vor allem deshalb habe er schnell gemerkt, dass es passe. Wiesenewsky betont: „Wir haben uns von Anfang an gut verstanden.“
Shipley ist inzwischen mit seiner Familie nach Holsterhausen gezogen. Er will jetzt die Digitalisierung der Apotheke vorantreiben, die Lieferkapazitäten und das Lager erweitern. Trotzdem sagt der Syrer, der seit Anfang 2023 auch einen deutschen Pass hat: „Viel will ich nicht verändern.“ Der Entwicklungsprozess solle Stück für Stück gemeinsam mit Anke Wiesenewsky gestaltet werden. Auch Shipleys Frau, die gerade in Elternzeit ist, will später in den Betrieb einsteigen. In der ersten Oktoberwoche soll es zum Inhaberwechsel nun erst einmal kleine Aktionen geben.
Wiesenewsky betont: „Ich bin sehr dankbar für das Vertrauen, das meine Kunden mir all die Jahre geschenkt haben. So hat mir die tägliche Arbeit trotz aller Schwierigkeiten mit überbordender Bürokratie und anderen Widrigkeiten des Gesundheitswesens immer viel Freude gemacht: im persönlichen Gespräch und im direkten Kontakt mit meinen Kunden in der Apotheke.“
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