Essen. Um alliierte Bomberpiloten beim Sichtanflug auf Essen zu täuschen, wurde 1941 das Wasser aus dem See gelassen. Der Trick hatte kurze Zeit Erfolg.
Der Baldeneysee war kaum acht Jahre fertig, als im Zweiten Weltkrieg die langsam zunehmenden Bombenangriffe auf Essen ein Dilemma eröffneten: Die britischen Piloten nutzten die charakteristische Form des Sees, um sich im Feindesland zu orientieren und ihre nur wenige Kilometer weiter nördlich liegenden Bombardierungsziele in Essen zu finden, darunter vor allem die Krupp-Werke westlich der Innenstadt. Auch in klaren Nächten, wenn der Großteil der Angriffe erfolgte, bot die schimmernde Seefläche den zunächst noch kleinen Bomberverbänden die Gewähr, auf dem richtigen Kurs zu sein.
„Nachtscheinfabrik“ in Velbert vergrößerte die Verwirrung der Piloten
Laut Dokumenten im Essener Stadtarchiv, befahl die Wehrmacht im März 1941, in einer Geheimaktion das Wasser aus dem See abzulassen, was tatsächlich für einige Zeit ihren Zweck erfüllte und Essen schützte. Um die Verwirrung der Piloten möglichst noch zu steigern, hatte man auf den Feldern der Ruhrhöhen in Velbert eine so genannte „Nachtscheinfabrik“ gebaut, eine hell erleuchtete falsche Kopie der Kruppschen Gussstahlfabrik, die dazu ermuntern sollte, hier und nicht in Essen die Bombenlast abzuwerfen. Sogar eine Eisenbahn wurde installiert, die großflächig im Kreise fuhr und die Betriebsamkeit eines Stahlwerks vortäuschte.
Und auch dieser simpel anmutende Trick funktionierte zunächst häufig. Die Piloten operierten in rund 4000 Metern Höhe, es war mit den damaligen Mitteln und ohne Radar sehr schwer, nachts im Sichtflug und mit noch primitiven Navigationsinstrumenten ein anvisiertes Ziel für den Bombenabwurf halbwegs präzise auszumachen, zumal wenn dieses wie die echte Krupp-Fabrik vollkommen abgedunkelt war.
Anfang 1943 machte der trocken gelegte Baldeneysee keinen militärischen Sinn mehr
Der Baldeneysee jedenfalls war nun für einige Jahre kein See mehr, sondern wie in der Erbauungszeit eine braune Schlammfläche, die wieder als Wiesen und Acker genutzt wurde, mit der fließenden Ruhr mittendrin. Aus dieser Zeit stammt auch das Foto des auf Grund gelaufenen Fahrgastschiffes, dessen Geschichte nicht mehr rekonstruierbar ist. Warum es nicht in einen Hafen geholt worden war, ob es vielleicht sogar von einem Tiefflieger versenkt wurde? Diese Fragen lassen sich nicht mehr beantworten.
Im Jahr 1942 machte die Radartechnik gewaltige Fortschritte, Anfang 1943 schließlich gab es die ersten Angriffe auf deutsche Städte, die sich die Peilung zuverlässig zunutze machen konnte. Nun konnte keine landschaftsverändernde Täuschung die Bomberverbände aufhalten, Essen und andere Städte des Ruhrgebiets versanken in Schutt und Asche. Der trocken gelegte Baldeneysee machte keinen militärischen Sinn mehr, ab März 1943 staute man das Wasser wieder, und ein halbes Jahr später meldete das Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk (RWE) Volllast auf beiden Turbinen des Wasserkraftwerkes.
Baldeneysee sollte als Auffangbecken für Möhnesee-Wasser dienen
Einmal noch wurde die Aufstau-Phase unterbrochen, nämlich im Mai 1943, als es britischen Luft-Spezialkräften gelang, die Staumauer der Möhnetalsperre im Sauerland zu zerstören und eine verheerende Flutwelle zu produzieren. Am Baldeneysee ließ man wieder Wasser ab, um Platz zu schaffen für wenigstens einen Teil der Wassermassen, die sich das Ruhrtal hinabwälzten.
Die Flut sorgte aber dennoch für Überschwemmungen in Kettwig und Werden und richtete auch dort – viele Kilometer vom Ursprung der Katastrophe entfernt – noch erheblichen Schaden an. Mit seinen maximal 7,6 Millionen Kubikmetern Fassungsvermögen ist der Baldeneysee eben nicht im Ansatz vergleichbar mit dem Möhnesee, bei dessen Zerstörung rund 130 Millionen Kubikmeter Wasser in Bewegung gerieten.
Dieser Text erschien erstmalig im August 2023.