Essen. Die Politik kritisiert fehlende Informationen der Ruhrbahn, äußert ansonsten aber viel Verständnis für die missliche Personallage am Steuer.
Tramfahrer Przemek strahlt über beide Ohren: Wer wissen will, warum der ehemalige Borbecker Friseur zum Straßenbahnfahrer umschulte, der findet die Antwort dieser Tage im neuen Essen-Magazin der Marketing-Gesellschaft EMG. Wer sich allerdings fragt, wo die Ruhrbahn seit Montag aus Personalmangel allerlei Fahrten streicht, bleibt ahnungslos. „Eine Zumutung“, findet Rolf Fliß, Ruhrbahn-Aufsichtsrat und Verkehrs-Experte der Grünen auch im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr: „Das muss besser werden!“ Und auch CDU-Mann Ulrich Beul räumt ein: „Als Kunde erwarte ich, dass ich nicht umsonst an der Haltestelle stehe."
Mehr an Empörung mag der Aufsichtsrats-Vorsitzende der Ruhrbahn aber nicht formulieren, und ob er sich ärgert, nun ja: „Dazu kenne ich die Hintergründe zu wenig“. Wie auch: Beul, Fliß und all die anderen Aufseher der Ruhrbahn haben vom angekündigten „temporär eingeschränkten Fahrplanangebot im Bus- und Straßenbahnbereich“ auch erst am Freitagabend oder gar tags darauf aus der Zeitung erfahren. Und sich nicht gewundert.
„Eine unverändert kritische Lage“ beim Personal meldet seit Wochen auch der VRR
Denn das Personal-Problem „ist ja ein offenes Geheimnis“, sagt Ingo Vogel, der die SPD im Ruhrbahn-Gremium vertritt. Ein alter Hut, den man sich landauf landab aufsetzen muss: „Eine unverändert kritische Lage“ beim Personal meldet seit Wochen etwa der VRR, löst das Problem mit verlängerten Taktzeiten oder streicht komplette Fahrten bei den S-Bahnen, wovon übrigens auch private Unternehmen betroffen sind.
Dass es in der Vergangenheit nicht an Versuchen mangelte, neues Fahrpersonal zu finden, erklärt vielleicht die Milde, mit der die Politik – sonst selten um spitze Kommentare verlegen – unisono Verständnis für die Ruhrbahn-Spitze äußert. Der Markt scheint leergefegt, nicht zuletzt durch viel Schienenersatzverkehr bei der Deutschen Bahn. Und wo mitunter unattraktive Arbeitszeiten in den frühen Morgen- und späten Abendstunden oder am Wochenende nicht abschrecken, sind es womöglich Provokationen oder gar tätliche Angriffe unliebsamer Zeitgenossen auf Fahrerinnen und Fahrer: „Das Problem einer verrohten Gesellschaft“, seufzt Rolf Fliß, „kann die Ruhrbahn nicht lösen“.
„Grundsätzlich ist das für uns Grüne ein Alptraum“, sagt Bürgermeister Rolf Fliß
So viel Verständnis er dafür aufbringt, dass das Unternehmen – und sei’s in bescheidenem Umfang – zum Rückzug auf Zeit vom bisherigen Takt-Angebot bläst: „Grundsätzlich ist das für uns Grüne ein Alptraum“, so Fliß, denn „wir wollen ja das Fahrtangebot verdichten und nicht ausdünnen“. Auch wenn man, wie Sozialdemokrat Vogel einwirft, ja „nicht gleich im Tal der Tränen“ landet, wenn mal ein paar Takte gestrichen werden, so gilt doch, was Ulrich Beul von der CDU zu bedenken gibt: „Es ist nicht gut, wenn sich die Leute auf Bus und Bahn nicht verlassen können.“
Beul glaubt, es wäre hilfreich, wenn nicht jede Stadt für sich wurstelt, sondern „stadtübergreifend“ darüber sinniert würde, wie sich der Personalmangel, der ja auch bei der Stadtverwaltung oder andernorts längst spürbare Lücken reißt, beheben ließe. Sich sozusagen in vorauseilender Zurückhaltung beim nächsten Essener Nahverkehrsplan ab 2025 bescheidenere Ziele zu stecken, dies hält der Christdemokrat aber auf jeden Fall für einen Irrweg: „Das wäre ja eine Art Kapitulation.“
Um die Zuschüsse für die Stadt erträglich zu machen, sollen Bund und Land einspringen
Stattdessen will die lokale Politik Bund und Land in die Pflicht nehmen, damit sie mehr Geld für den Nahverkehr locker machen, denn auch auf der finanziellen Seite droht Ungemach. Allein in diesem Jahr beträgt der Fehlbetrag der Ruhrbahn laut Beteiligungsbericht der Stadt über 90 Millionen Euro, und da ist die Dividende aus RWE-Aktien schon abgerechnet. Solche Summen lokal zu stemmen, sei bald kaum noch möglich.
Fahrer Przemek, der eigentlich Przemyslaw Pochreda heißt, muss sich aber, so viel scheint klar, um seinen Job dennoch keine Sorgen machen. Er strebt jetzt das „Doppelpatent“ an, die Möglichkeit also, Bus und Straßenbahn gleichermaßen zu steuern, und will seinen Fahrgästen nicht nur mit gutem Styling, sondern auch mit Humor begegnen. Mit solchen Leuten am Steuer schneidet die Ruhrbahn fraglos besser ab als ohne.