Essener Süden. Die Flutkatastrophe an der Ruhr im Juli 2021 ist nicht vergessen: Betroffene aus dem Essener Süden erinnern sich an die dramatischen Ereignisse.
Immer wenn es heftig regnet und die Ruhr ansteigt, schaut Thorsten Gerigk aus dem Fenster auf das Pegelhäuschen schräg gegenüber. „Ich weiß, dass es nicht wieder passieren wird, dass der Ruhrverband und die Stadt Essen besser vorbereitet darauf wären. Doch es ist so ein mulmiges Gefühl“, sagt der 54-jährige Werdener.
Zwei Jahre sind seit der Jahrhundertflut vergangen. Die Zerstörungen an der Ahr waren immens, Menschen verloren ihr Leben. Den Essener Süden und Südosten hat es bei den Überschwemmungen durch Ruhr und Deilbach weit weniger schlimm getroffen. Dennoch hat dieser Donnerstag, 15. Juli 2021, seine Spuren hinterlassen. Und die Erlebnisse bleiben lebendig.
Nach dem Abpumpen war in den Häusern alles voller Matsch
„Als wir ins Haus zurückkehrten, war alles nass und dunkel: kein Strom. Der Weg in den Keller eine Rutschpartie“, erinnert sich eine 65-jährige Kettwigern, die ungenannt bleiben möchte. Sie und ihr Mann waren an diesem Tag aus ihrem Haus in Vor der Brücke evakuiert worden. Im Hotel sahen sie die Bilder von der Ahr. „Wir haben noch mal Glück gehabt“, habe sie damals gedacht.
Dennoch: 1,80 Meter stand das Erdgeschoss auch ihres Eigenheims unter Wasser. „Nach dem Abpumpen war alles voller Matsch. Nichts funktionierte.“ Aber: „Sehr gute und liebe Geister haben uns und unseren Nachbarn nigelnagelneue Leuchten und Taschenlampen vor die Tür gestellt. Was für eine Hilfe!“
Immer habe sie Danke sagen wollen dafür, „aber wir wissen bis heute nicht wem.“ Das Paar denke oft daran. „Und wir halten unseren ‘Scheinwerfer’ in Ehren.“
Dankbar sei sie, sagt die Kettwigerin, auch all jenen, die spontan mit Tat und Rat geholfen haben: unter anderem den Chormitgliedern von Ruhr Rock Sixties (dem sie angehört), dem Elektriker, der bereits am Sonntag kam, dem Containerdienst, der schon montags kam, dem Statiker, der auf spontanes Bitten kam, und allen Freunden, die halfen.
Sie habe mit Sicherheit keine Alpträume von der Flut, aber ein zweites Mal wolle sie so etwas nicht erleben, sagt die 65-Jährige. Sie und ihr Mann leben deshalb zwar noch immer in Kettwig, aber die Ruhr sei weit entfernt. Positiv in Erinnerung sei ihr die riesige Solidarität unter den Menschen geblieben.
In den betroffenen Straßen türmten sich die Müllberge
Das kann auch Peter Fütterer bestätigen: „In der Krise haben alle zusammengestanden und geholfen.“ Der Kettwiger, dessen Familie ein Haus im Ahrtal hat, hat die Flut aus verschiedenen Blickwinkeln erlebt: „Sie war als dramatisch angekündigt worden. Welche Katastrophe daraus wurde, konnte sich kaum jemand vorstellen.“ Er sei damals mehr ins Ahrtal geschwommen als gefahren. „In den Fluten schwammen Bäume, zischende Gastanks, Autos, mit Menschen darin. Ich werde es wohl nie vergessen.“
Nach drei Tagen Schlamm war er zurück an der Ruhr. „Wir waren mit unserem Haus in Kettwig nicht direkt betroffen, aber Freunde in Vor der Brücke.“ Wie an der Ahr türmten sich dort auf den Straßen ebenfalls schnell Berge von Müll. Den Menschen fehlte das Notwendigste.
Mit Freunden vom Lions Club startete Fütterer eine Sammelaktion. 130.000 Euro kamen zusammen, die in Beträgen von 500 bis 5000 Euro an Bedürftige verteilt wurden. „Dafür wurden fast 100 Haushalte an Ahr und Ruhr besucht. Jeder hat etwas zu erzählen, jeder hat die Katastrophe anders erlebt, jeder behält seine persönliche Erinnerung in seinem Rucksack“, resümiert Fütterer, der bis heute als Sachverständiger Flutopfer, die für den Ausgleichsantrag Unterstützung benötigten, betreut.
Das Wichtigste bereit halten für eine mögliche Evakuierung
Die meisten Essener konnten in ihre Wohnungen und Häuser zurückkehren, auch wenn noch längst nicht alle Reparaturen erledigt sind. Thorsten und Michaela Gerigk wohnen wie bisher im ersten Stock eines Hauses an der Laupendahler Landstraße. Von der Flut war „nur“ der Keller betroffen. „Das Auto hatten wir schon vorsorglich weit weg geparkt. Ohne zu ahnen, was da auf uns zukommt“, berichtet er.
In seinem Arbeitszimmer hat Thorsten Gerigk seit der Flut persönliche Unterlagen an einem bestimmten Platz abgelegt. Falls doch mal etwas passiert und die Feuerwehr wieder die Bewohner mit dem Schlauchboot evakuieren muss. „Packen Sie alles Wichtige zusammen, hat es da geheißen. Aber was ist wichtig?“ Was er sich ebenfalls vorgenommen hat: Dokumente in eine Cloud hochzuladen. „Aber man ist so schnell wieder im Alltag drin – und vergisst es dann doch.“
Nur wenn der Regen gegen die Fensterscheiben prasselt und der Pegel der Ruhr steigt, dann ist es wieder da, dieses mulmige Gefühl.
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