Essen. Performance-Star Marina Abramović hat an der Essener Folkwang-Uni unterrichtet. Im Museum Folkwang sind die spannenden Ergebnisse nun zu sehen.
Normalerweise ist Marina Abramović für die Kunst keine Anstrengung zu groß, keine Distanz zu weit. Doch im Essener Museum Folkwang ist die Performance-Großmeisterin an diesem Vormittag ausnahmsweise per Video zugeschaltet. Die Ärzte haben ihr wegen Komplikationen nach einer Knie-OP striktes Flugverbot erteilt. Und so kann die 76-Jährige das erste mal in ihrer langen Karriere bei der Premiere einer Performance tatsächlich nicht „present“sein.
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Im Mittelpunkt der „54 Hours Performances“ sollen in den kommenden neun Tagen aber ohnehin Studierende der Folkwang Universität der Künste stehen. Schon Abramović’ Ernennung zur ersten Inhaberin der Pina-Bausch-Professur glich einer kleinen Sensation. Nicht minder spektakulär gerät nun die Präsentation der Unterrichtsergebnisse. 24 Studierende aus ganz unterschiedlichen Folkwang-Bereichen – vom Jazz über die Fotografie, Oper, Tanz oder Physical Theatre – verwandeln das Museum Folkwang in den kommenden neun Tagen in eine große Performance-Bühne. Sechs Stunden am Tag werden sie dort mit dem gesamten Körper Kreisbilder malen, auf Scherben tanzen, mit den Besuchern lachen und weinen oder sich im Innenhof des Museums schon mal das eigene Grab schaufeln.
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Ein Jahr lang haben die jungen Frauen und Männer zwischen 18 und 42 Jahren unter Leitung der prominenten „Kunstpriesterin“ die wohl herausforderndsten Erfahrungen ihrer bisherigen Ausbildung gemacht. Nicht nur beim gemeinsamen Studienaufenthalt in den Bergen Spartas, wo sie fünf Tage lang gemeinsam gehungert, geschwiegen und Konzentrationsübungen erledigt haben, um sich jenem Zustand der körperlichen und mentalen Grenzüberschreitung anzunähern, ohne die viele der bisweilen mit Peitschen, Pfeilen und brennender Sägespäne ausgestatteten Abramović-Performances kaum denkbar werden.
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Mehr als die Radikalität der körperlichen Strapazen zählt bei der „Long Durational Performance“ im Museum Folkwang“ aber die Intensität der künstlerischen Selbsterkundung. Da taxiert Frederico Mendes Teixeira auf hohen gelben Pumps 54 Stunden lang intime Wünsche und sein eigenes Körperbild, während Florian Kreßer auf einem schmalen Wandvorsprung neun Tage lang unermüdlich eine letzte Zigarette drehen wird, als Meditieren über Männlichkeitsbilder und Konsumverhalten.
Kurioses, Kühnes, Klischeebrechendes: Wer diesen vielschichtigen, großangelegten Performances-Parcours durch die Museumssäle passiert, erlebt keine Ansammlung von Abramović-Epigonen, sondern ein Vielfalt von Haltungen, Ideen und individuellen Arbeitsansätzen. Und doch ist die wirkungsmächtige Aura der Performerin mit ihren Extrem-Anforderungen an Selbstbeherrschung und Willensstärke in vielen Projekten zu spüren. Wenn sich Klara Günther buchstäblich geteert und gefedert in ihrem Kindheitstraumata als gebratene Hähnchenkeule suhlt oder die Opernsängerin Janina Schweitzer das Kopfabtauchen in ein Aquarium zur erschöpfenden Erfahrung vom Atem- und Stimmverlust werden lässt.
Wie so oft bei Abramović wird Publikum auch in der Essener Folkwangschau bisweilen auch zum Partner der Performer. Aleksandar Timotic lässt sich als kartoffelschälender Countertenor bei seiner Performance „Are You Hungry“ gerne vom Publikum unterstützen. Nichts zeuge in seiner serbischen Heimat von größerer Zuwendung, als die Sorge um das leibliche Wohl des Gegenübers, kann man erfahren. Marina Abramović scheint das ähnlich zu halten. Wer sie schon einmal in New York besucht hat, schwärmt bis heute von ihrem Schokoladenkuchen.
Die „54 Hours Performances“ laufen bis zum 9. Juli im Essener Museum Folkwang, Museumsplatz 1. Di bis So 12 bis 18 Uhr. Eintritt frei. Zeitfenstertickets unter www.museum-folkwang.de/tickets
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