Essen. Beim Azubi-Camp zeigt sich: Viele Jugendliche wissen nicht, welchen Beruf sie lernen sollen und auch nicht, wie sie sich erfolgreich bewerben.

Bis Anfang der Woche wollte Lucas noch Dachdecker werden. Den Ausbildungsvertrag hatte der 17-Jährige schon in der Tasche. Doch nach wenigen Tagen im Azubi-Camp der Arbeitsagentur ist Lucas nun überzeugt: Auto-Verkäufer wäre der weitaus bessere Job für ihn. „Man hat viel mit Menschen zu tun und kann ihnen helfen, Träume zu erfüllen“, meint er.

Selbstbewusst auftreten und reden, das kann Lucas. Nur was er wirklich aus seinem Leben einmal machen will, wusste er lange nicht. Er verließ die Schule nach der 9. Klasse, machte ein Praktikum in einer Autowerkstatt, arbeitete ein halbes Jahr im Bundesfreiwilligendienst als Altenpfleger. Die Ausbildung zum Dachdecker war da eher eine pragmatische Entscheidung - besser als nichts.

Azubi-Camp: Jugendliche hoffen auf eine Lehrstelle noch dieses Jahr

An diesem Morgen sitzt Lucas mit 21 anderen Jugendlichen in der ersten Etage der Arbeitsagentur am Berliner Platz. Hier im Berufsinformationszentrum, kurz Biz, sind die Stuhlsessel orangefarben, auf den Tischen liegen Gummibärchen und Schokoriegel. Während andere ihre Sommerferien genießen, geht es im Azubi-Camp darum, wie man sich erfolgreich um einen Ausbildungsplatz bewirbt – eine Woche lang gibt es von 8 Uhr morgens bis 15 Uhr Seminare. In der Woche darauf folgt ein Praktikum in einem Unternehmen.

Es ist das erste Azubi-Camp, das die Arbeitsagentur in Essen organisiert hat. Die Jugendlichen, die daran teilnehmen, haben wenige Wochen vor dem offiziellen Ausbildungsbeginn in vielen Unternehmen noch keinen Ausbildungsplatz. Es sind überwiegend junge Menschen, die schon länger auf der Suche sind. Vanessa Lauth, Leiterin des Ausbildungscamps, will nicht von Problemfällen sprechen. Aber es sind Jugendliche, „bei denen Unterstützung nicht schaden kann“, sagt sie.

Viele Jugendliche haben nach der Schule keinen Plan

Auch Belgin, 19 Jahre, sitzt mit in der Runde. Nach der Schule wusste die junge Frau ebenfalls nicht, was sie werden wollte, entschied sich, weiter aufs Berufskolleg zu gehen. Mit den wirtschaftlichen Fächern tat sie sich jedoch schwer. „BWL, das ging gar nicht.“ Nach dem Abbruch jobbte Belgin zunächst bei einer Bäckereikette, dann zwei Jahre in einem Sonnenstudio. Doch nun stand sie wieder vor der Frage: Was will ich machen? In den Einzelhandel gehen? Doch Friseurin werden? Schon lange träumte sie davon. Viele aber rieten ihr ab: Zu wenig Geld, was man da verdiene. Nach einem langen Gespräch mit Vanessa Lauth an einem Vormittag im Camp hat sie einen festen Entschluss gefasst: „Ich muss einfach Friseurin werden!“ Ein Praktikum in einem Friseurbetrieb nächste Woche ist bereits vereinbart.

Unternehmen beklagen derweil, dass sich immer weniger junge Leute für eine Berufsausbildung interessieren. Doch wie Belgin und Lucas sind viele Jugendliche zunächst unsicher, ja ratlos, was sie nach der Schule machen sollen, wo ihre Stärken und Schwächen liegen, was ihnen vielleicht nicht unbedingt Spaß, aber zumindest Erfüllung bringen könnte. Langweilige Praktika mit unsinnigen Hilfsarbeiten helfen da wenig weiter.

„Jeder will Influencer werden“

In den sozialen Medien wecken zudem sogenannte Influencer Sehnsüchte, wie man mit vermeintlich kleinen Filmchen das große Geld machen kann. „Alle wollen Influencer werden“, sagt Lucas mit Blick auf seinen Bekanntenkreis. Im Azubi-Camp hat er sich, wie er sagt, zum ersten Mal mit seinen Vorstellungen auseinandersetzen müssen. „So tief in sich rein geht normal kein Mensch.“ Herausgekommen ist sein neuer Berufswunsch.

Jasmin (22), die auch beim Azubi-Camp dabei ist, will nach zwei gescheiterten Versuchen einen neuen Anlauf zur „Technischen Systemplanerin - Elektrotechnische Systeme“ nehmen. Eine Berufsbezeichnung, die man nicht nur buchstabieren muss, geschweige denn, dass man weiß, was Jasmin am Ende beruflich machen wird. Auch das ist ein Problem, warum sich Jugendliche von einer dualen Ausbildung abschrecken lassen.

Zu spät zum Vorstellungsgespräch kommen - das geht gar nicht

Am Montag stand im Camp unter anderem das Thema „Argumentation - Stärken in Worte fassen“ auf dem Plan, am Dienstag ging es darum, „was Arbeitgeber wollen“, am Mittwoch beim „Business-Knigge“ erarbeiteten sich die Jugendlichen gemeinsam mit der Dozentin wichtige Benimm-Regeln im Berufsalltag. Am Donnerstag übten sie Vorstellungsgespräche.

Belgin sagt, sie habe viel mitgenommen. „Früher war ich bei Vorstellungsgesprächen sehr nervös, habe fast gar nichts gesagt. Ich denke, dass ich jetzt entspannter bin.“ Künftig will sie sich auch besser vorbereiten, mehr Informationen über den potenziellen Arbeitgeber sammeln. Und zu spät kommen, wie beim letzten Vorstellungsgespräch, werde sie auf gar keinen Fall. Da hallen offensichtlich die eindringlichen Worte von Knigge-Trainerin Kordula Pfaller noch nach: „Das darf nicht passieren. Das ist ein No-Go!“