Essen. Keine Jahresrechnung, keine Abschläge: Weil die Stadtwerke-IT mit den Preisbremsen nicht zurechtkommt, droht vielen Kunden ein böses Erwachen.

Es war ja alles gut gemeint: Um die Bürgerinnen und Bürger bei den Energiekosten vor allem im Winter nicht zu überfordern, erfand die Politik im Spätherbst vergangenen Jahres erst den geschenkten Dezember-Abschlag und später allerlei „Preisbremsen“ – für Strom, Gas und Fernwärme. So mild der Winter war, so hart ist nun das Frühjahr: jedenfalls für die Stadtwerke, denn sie sind es, die sich jetzt mit der Abwicklung dieser Segnungen überfordert zeigen. Seit Monaten warten Tausende Essener Kunden auf ihre Jahresrechnungen, und weil das so ist, zahlen sie auch keine Abschläge. Manchem droht demnächst ein teures Erwachen.

Denn klar ist, dass irgendwann kassiert wird, was sich dieser Tage an aufgelaufenen Monatsabschlägen irgendwie nicht korrekt kassieren lässt. Thomas Falk, Sprecher des zu 51 Prozent städtischen Unternehmens, mag erst gar nicht beschönigen, dass die Datenverarbeitung des Energieversorgers massive Probleme bereitet. Und es macht die Sache nicht unbedingt angenehmer, dass man einen Schuldigen dafür gefunden hat: Die Politik habe eben die Umsetzung ihrer Brems-Aktivitäten vor der Stadtwerke-Tür abgeladen.

Betroffen sind nur Stadtwerke-Kunden, bei denen die Preisbremse greift

Betroffen von dem, na sagen wir es ruhig: Abrechnungs-Chaos, sind von den rund 90.000 Strom- und Gas-Kunden der Stadtwerke nur jene, bei denen die jeweiligen Preisbremsen greifen. Das wären alles in allem immerhin 50.000 an der Zahl, aber da die Jahresrechnungen im rollierenden Verfahren immer in dem Monat rausgeschickt werden, in dem einst der Liefer-Vertrag startete, sind es für jeden Monat, der ins Land geht, im rechnerischen Mittel nur ein Zwölftel dieser 50.000 Kunden, also knapp 4200.

Wie die Politik per Gesetz die Preise bremst

Die Preisbremsen bei Strom, Gas und Fernwärme wurden beschlossen, um private Haushalte, kleine und mittlere Unternehmen bei den Energiekosten zu entlasten. Für Gas muss danach seit Januar 2023 maximal 12 Cent pro Kilowattstunde gezahlt werden, für Fernwärme 9,5 Cent, für Strom 40 Cent.

Dieser gedeckelte, niedrigere Preis gilt für ein Kontingent von 80 Prozent des historischen bzw. im September 2022 vorhergesagten Jahresverbrauchs. Für den restlichen Verbrauch muss der normale Marktpreis gezahlt werden. Dies soll die Bereitschaft zum Energiesparen befeuern.

Da die Bremsspuren bis Januar zurückreichen, dürfte die Zahl nach fünf Monaten also um die 20.000 liegen, im Juni kämen erneut 4200 hinzu, wiewohl die Stadtwerke nun davon sprechen, man werde das Problem wohl „zeitnah“ gelöst haben. Allerdings fiel die Vorhersage schon einmal zu optimistisch aus: Als der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) im Februar mahnte, es könne zu „leichten Verzögerungen“ der Erstattungen kommen, weil die rückwirkend in Kraft tretenden Preisbremsen erstens komplex und die Zeit zweitens knapp bemessen sei, da signalisierten Essens Stadtwerke damals beruhigend: Kriegen wir hin.

„Die Kunden sollten schon darauf achten, dass sie Geld beiseitelegen“, heißt es jetzt

Kriegten sie nicht. Dass es doch komplizierter wurde, lag nach den Worten des Stadtwerke-Sprechers unter anderem an Fehlermeldungen, die das Abrechnungssystem ausspuckt, wenn Verbräuche ihm wegen allzu stark abgesackter Zahlen unplausibel erscheinen. Plötzlich musste einzeln nachgearbeitet werden – und das dauert.

Dabei sind die Essener Stadtwerke Essen mit diesem Problem beileibe nicht allein: Auch andere Versorger im Ruhrgebiet, aber auch aus anderen Teilen der Republik riskieren dieser Tage Ärger mit der Kundschaft, weil diese weder den eigenen Jahresverbrauch kennt, noch Abschläge zahlt oder gar den preisdämpfenden Effekt der Bremsen würdigt. Stattdessen könnte manch einem, der seine Kosten nicht ganz so diszipliniert im Griff hat, eine satte Nachzahlung drohen, wenn die monatelange Zahlpause über kurz oder lang endet: „Die Kunden sollten schon darauf achten, dass sie Geld beiseitelegen“, sagt Stadtwerke-Sprecher Falk.

Auch die Dickschiffe der Versorger-Branche klagen über „massive Herausforderungen“

Nach Einschätzung von Branchen-Beobachtern entstand das Problem verzögerter Schlussrechnungen und ausbleibender Abschläge weniger bei den Dickschiffen der Versorger-Branche als vielmehr bei lokalen Anbietern. Die seien bei der Aufgabe, ihre Abrechnungsprogramme anzupassen, auf Gedeih und Verderb auf ihre IT-Dienstleister, deren Know-how und Kapazitäten angewiesen gewesen.

„Mich wundern solche Probleme nicht“, sagt deshalb Christian Jekat, Pressesprecher des schwedischen Versorgers Vattenfall, der in Deutschland fünf Millionen Endkunden beliefert: „Die Preisbremse war mit heißer Nadel gestrickt, und die Umsetzung hat auch uns vor massive Herausforderungen gestellt“. Zumal es noch genügend Ausnahmen von der Regel gebe, von Umzügen der Kunden bis zur Hochrechnung der Jahresverbräuche.

Die Stadtwerke wollen die schmerzhafte Liquiditätslücke schnellstmöglich stopfen

Auch der Essener Versorger Eon nimmt nach den Worten eines Sprechers für sich in Anspruch seine Kunden „frühzeitig“ informiert zu haben: nicht nur mit allgemeinen Hinweisen zur Strom- oder Gaspreisbremse, sondern auch, indem man persönliche Entlastungsbeträge und -kontingente aufgeführt habe.

Bei den Stadtwerken dagegen hängen irritierte Kundinnen und Kunden seit Wochen irritiert an der Strippe – wenn sie denn bei der Hotline überhaupt durchkommen. Die Erreichbarkeit, räumt Falk ein, liegt bei 50 Prozent, was am Ende auch bedeutet: Jede zweite Anfrage geht ins Leere. Mails gelten deshalb als stressfreiere Frage-Alternative.

Ohnehin liegt auf der Hand, dass Essens Stadtwerke ein massives Eigeninteresse daran haben, die unfreiwillig eingelegte Abrechnungs-Bremse zu lockern. Denn dass Tausende Kunden ihre Abschläge nicht zahlen, bescherte dem Unternehmen eine schmerzhafte Liquiditätslücke. Und die will man so schnell wie möglich stopfen.