Essen. Seine Liebe gehört dem Jazz, den er sich selbstbewusst aneignet. Alles andere ist bei Helge Schneider verkaufsförderndes Beiwerk, macht aber Spaß
„Das ist jetzt der dritte Termin für das Konzert, das hoffentlich nicht auch noch verschoben werden muss“, witzelt in der ihm eigenen Art Helge Schneider über das Phänomen von Raum und Zeit. In der Tat war es der dritte Anlauf, nach März 2021 und März 2022, den der Mülheimer Drahtseilartist zwischen skurrilem Klamauk und musikalischer Virtuosität für seine nunmehr zwei nahezu ausverkauften Konzerte in der Essener Philharmonie unternehmen musste.
In Essen erschien er optisch in zivil – nicht wie früher im Circus-Roncalli-Livree
Zwischenzeitlich ist viel passiert, was eine Aktualisierung des Programms zur Folge hatte. Im Mittelpunkt standen jetzt Songs – sie haben alle englische Titel - des erst im vergangenen Februar veröffentlichten Albums „Der letzte Torero – Big L.A. Show“.Die große „L.A. Show“ hatte Helge Schneider aber offenbar gestrichen, denn der 67-Jährige erschien nicht wie bei früheren Konzerten in einer pinkfarbenen Mischung aus Tressen besetzter Roncalli-Zirkus-Livree und übergroßem Baby-Strampler, sondern ohne grauen Schlumpf-Bart und verblüffend zivil im grau-blauen Sommeranzug.
Kurz zählte er an und schon schwelgte er mit dem Bariton-Saxofon in Charlie Parkers „Ornithology“, einem Klassiker des Jazz-Songbooks. Gitarrist Sandro Giampietro, Willy Ketzer am Schlagzeug sowie Reinhard Glöder am Kontrabaß vervollständigten das Quartett. Im Laufe des Konzerts bewies Helge Schneider seine musikalischen Talente auch am Flügel, an einer Heimorgel, einem Synthesizer aus der digitalen Steinzeit, an Gitarre, Trompete, sowie mit diverser Perkussion.
Klare Haltung gegen die Sprachpolizisten in der Kulturszene
Dem Jazz folgte der Humor. Mit „The Guilty Doctor“, dem ersten Lied vom neuen „Torero“-Album, erläuterte Helge Schneider, was er von Ärzten, die er für jedes „Zipperlein“ verantwortlich macht, hält. Bei „Texas“, einer Art Morricone-Hommage im gemächlichen Rhythmus eines Ritts unter sengender Italo-Western-Sonne, singt er auch von Indianern. Seine Haltung gegenüber allzu woken Eiferern und Sprachpolizisten in der Kulturszene ist bekannt. Für den Vollblut-Musker ist kulturelle Aneignung kein Thema, ist er doch der Überzeugung, dass künstlerische Inspiration grenzenlos sei und auch nicht begrenzt werden sollte.
Mit dem „Aneignungs-Blues“ „She`s Gone“ - „für alle, die kein Englisch können, Sie ist weg“ - lotet Schneider unvermutete emotionale Tiefen aus. À propos Tiefe, „sie nahm meine Hand und führte sie tief in die….Erdnuss-Flips-Tüte“, hier spielte Schneider bei „L.O.T.C“, das für „Love on the Couch“ steht, den Schelm erotischer Suggestion. Das Schneidersche Musik-Universum wurde garniert von Schmunzeln bis Lachtränen erzeugenden Zwischenmoderationen, bei denen er wie gewohnt von „Hölzken-auf-Stöcksken“ kam und den fast verlorenen Faden schließlich doch noch mit einer Pointe verknüpfte.
Schneider-Klassiker wie „Der Telefonmann“, sein Mega-Hit „Katzeklo“ oder die herzerweichende Schlager-Persiflage „100.000 Rosen“ durften natürlich nicht fehlen. Doch seine Liebe gilt eindeutig dem klassischen Jazz. Alles andere ist verkaufsförderndes Beiwerk. Zum Finale gibt es für ihn stürmischen Applaus, denn schon lange hatte er nicht mehr so souverän die Balance zwischen absurdem Nonsens und exzellenter Musik austariert.