Essen-Kettwig. Unter dem Motto „Land unter?“ ging es um Hochwasserschutz und Starkregenvorsorge beim „Montagsgespräch“ in Kettwig. Das sagen die Referenten.
„Man kann nichts tun, wir können einfach nur zuschauen, wie das Wasser steigt.“ Dieser Satz einer Anwohnerin in Kettwig vor der Brücke angesichts des Ruhr-Hochwassers im Juli 2021 steht für die völlige Hilflosigkeit, die die Menschen damals empfunden haben. Wie sieht die Situation heute aus? Was haben wir durch dieses Ereignis gelernt? Welche Schutz- und Vorsorgemaßnahmen gibt es seitens der Behörden, was können und sollten aber auch wir Bürger tun? Der Heimat- und Verkehrsverein (HVV) Kettwig hat das Ganze jetzt im Rahmen der Reihe „Montagsgespräche“ im Petershof thematisiert.
Kaum ein Ereignis der letzten Jahrzehnte hat die Menschen im Essener Süden so aus der Bahn geworfen wie die Flutkatastrophe vor fast zwei Jahren. Obwohl es Hochwasser und Starkregenfälle im Ruhrtal schon immer gegeben hat, wie Armin Rahmann (Museums- und Geschichtsfreunde) in seinem Vortrag verdeutlichte.
Symbolhaft: Der Untergang der „Moornixe“ in den Fluten
1486, 1633, 1831, 1890, 1925, 1943, 1946, 2007, 2010, 2011: Nur einige wenige Jahre hatte sich Rahmann herausgepickt, um Fließgeschwindigkeit und Pegelstände (teils fünf Meter über Normalstand) des lange Zeit sehr wichtigen Schifffahrtswegs zu erläutern. Dauerregen und Schneeschmelze – selbst nach dem Bau von Talsperren am Oberlauf der Ruhr und den Essener Stauwehren tritt der Fluss über die Ufer. Mal weniger, mal mehr, im Juli 2021 mit den bekannten fatalen Folgen für die Stadtteile Kettwig, Werden, Steele und Kupferdreh.
Zum Schluss zeigte Armin Rahmann noch das Video vom Untergang des Fahrgastschiffs „Moornixe“ bei Mülheim: Es steht beispielhaft für so viele Dinge, die in den Fluten der Ruhr verloren gingen.
„Es ist alles eine Frage der Vorbereitung“, erklärte Matthias Ufer von der Bezirksregierung Düsseldorf (Dezernat Wasserwirtschaft) dem Publikum im Petershof. Wobei er weiß, dass dies leicht gesagt ist. Denn Schutzvorschriften für festgesetzte Überschwemmungsgebiete (in Kettwig der Promenadenweg sowie die Ruhrauen einschließlich Mintarder Weg) zu erlassen, sei die behördliche Seite, auf der andere Seite stünden die dort lebenden Menschen in der Verantwortung.
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Er empfiehlt jedem eine Überprüfung der Immobilie: Abhängig von der Lage des Gebäudes sollten Öffnungen (Türen, Fenster, Leerrohre, Entlüftungen) überprüft werden, ob Wasser eindringen kann, wie die Entwässerungssituation ist, ob eine Rückstauklappe vorhanden ist und diese auch funktioniert. „Strom- und Telekommunikationsleitungen sollten im Keller nicht im unteren Bereich verlaufen“, warnt Ufer. Wertgegenstände gehörten ebenfalls nicht in den Keller. Zusätzlich zur Wohn- und Gebäudeversicherung eine Elementarschadenversicherung abzuschließen, sei überdies sinnvoll.
Schwammstadt Essen kontra Bedarf an Wohnflächen
In festgesetzten Überschwemmungsgebieten ist die Ausweisung neuer Baugebiete im Außenbereich in Bauleitplänen oder in sonstigen Satzungen nach dem Baugesetzbuch untersagt. Was einiges über das Risiko aussagt, dort zu leben.
Dennoch sind Häuser mit direktem Blick aufs Wasser beliebt – und entsprechend teuer. Und viele Kettwiger können sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Investoren solcher Bauvorhaben von der Stadt Essen gerngesehen sind.
Claudia Köllner, im Umweltamt Essen für Starkregenfragen zuständig, fand an diesem Abend klare Worte: Wenn es um Flächen gehe, die für Essen als Schwamm-Stadt nützlich seien, „gibt es da immer noch konkurrierende Nutzungen“, die innerhalb der Verwaltung (Bauamt, Umweltamt) sowie in den politischen Gremien zutage träten. Der Bedarf an Wohnflächen und die Vorhaltung notwendiger Grün- und Versickerungsflächen in der Stadt seien eben oftmals nicht zu vereinbaren. „Wir haben da echt zu kämpfen“, gab die Umweltexpertin offen zu. Und nicht immer werde, nach ihrer Ansicht, der für den Klimawandel beste Weg gewählt.
Informationen über die Ruhr
Unter dem Titel „Kettwigs Fluss: Die Ruhr“ hat der Heimat- und Verkehrsverein (HVV) Kettwig eine Reihe von Artikeln gebündelt. Darunter sind die in den „Kettwiger Montagsgesprächen“ gehaltenen drei Vorträge.
Zahlen, Fakten und Maßnahmen, die Armin Rahmann (HVV), Matthias Ufer (Bezirksregierung Düsseldorf) und Claudia Köllner (Umweltamt Essen) vorgetragen haben, können dort nachgelesen werden.
Die Website ist unter der Internetadresse www.kettwig.eu/ruhr zu finden.
„Gründächer sind bei Starkregen auch schnell überlastet“
Denn die Infrastruktur, sprich das Kanalnetz, ist nur auf bestimmte Regenereignisse ausgelegt: Es könne einen Regen abführen, der alle zwei bis zehn Jahre auftritt. „Im Durchschnitt wird in Essen das fünfjährige Ereignis abgeführt.“ Ein Überflutungsschutz (Rückhalt im Straßenraum) bestehe bis maximal zum 50-jährigen Ereignis. In der Regel aber eher bis zum 20-jährigen Ereignis. „Versickerungsanlagen werden auf ein fünfjähriges Regenereignis bemessen. Und Gründächer sind bei Starkregen auch schnell überlastet“, referierte Köllner.
Was tut die Stadt also? Im Rahmen der Klimaanpassung würden Maßnahmen gesucht, die das Risiko reduzieren können. In neuen Bebauungsplänen werde das Starkregenrisiko berücksichtigt und entsprechende Maßnahmen konzipiert. Ein bereits in Köln erprobtes Programm „Wasser-Risiko-Check“ solle demnächst auch für Essen eingeführt werden.
Diskussion in der Bürgerschaft über Lösungen geht weiter
Ob das genügt? Zuhörer wiesen in der Diskussion beispielsweise auf das Icktener Bachtal hin, dass durch eine geplante Bebauung noch mehr eingeengt werde.
Im Gespräch bleiben will man zudem im Nachbarstadtteil Werden: Dort gibt es am Mittwoch, 24, Mai um 19 Uhr eine Diskussionsveranstaltung der Initiative „Gemeinsam für Stadtwandel Werden“ im Haus Fuhr. Zwei Jahre nach der Flutkatastrophe ist also noch lange nicht alles aufgearbeitet. Im Gegenteil: Lösungen, um den Auswirkungen der Klimakrise zu begegnen, braucht es noch viele.
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