Essen. Die Gewalt an Essener Schulen nimmt zu. Ein Dutzend Fünfklässler hat kürzlich eine Mitschülerin verprügelt. Liegt das alles an Corona?

Die Gewalt an Schulen hat nach der Corona-Pandemie stark zugenommen – in NRW und auch in Essen. An den Schulen im Stadtgebiet wurden im Jahr 2022 genau 693 Straftaten registriert – unter anderem Diebstahl, Körperverletzung, Raub und Erpressung. Die Zahlen des Polizeipräsidiums Essen zählen zu den höchsten im Land. NRW-weit ist von einem Anstieg von 22 Prozent die Rede im Vergleich zur letzten Statistik im Jahr 2019 – vor Corona.

Geht man von 190 Schultagen pro Jahr aus und unterstellt man, dass die Straftaten nicht an Grund-, sondern an weiterführenden Schulen zustandekommen, kommt man rechnerisch auf dreieinhalb Straftaten pro Tag an den insgesamt etwa 80 weiterführenden Schulen in Essen (inklusive Berufskollegs und Förderschulen).

Fünftklässlerin wurde von einem Dutzend Kindern zusammengeschlagen

Dreieinhalb Taten pro Tag in Essen – hinter dieser Zahl stecken häufig Leiden der Opfer, die sehr lange anhalten. So erstattete zum Beispiel im März die Mutter eines zwölfjährigen Mädchens Anzeige bei der Polizei wegen Körperverletzung. Kurz vor den Osterferien war ihre Tochter, die die fünfte Klasse der Erich Kästner-Gesamtschule in Steele besucht, von mehreren Kindern auf dem Schulhof zusammengeschlagen worden.

Das Kind erlitt Prellungen am ganzen Körper, wurde im Krankenhaus auf innere Verletzungen hin untersucht – zum Glück ohne Befund. „Obwohl meine Tochter nur äußere Verletzungen hat, hat sie zwei Tage lang danach nur geschrien und geweint“, berichtet die Mutter. Ein Kinderpsychologe diagnostizierte ein massives Trauma bei dem Kind; viele Wochen wollte das Mädchen nicht zurück zur Schule. „Mittlerweile geht sie wieder hin“, berichtet die Mutter jetzt, doch in psychologischer Behandlung sei ihre Tochter weiterhin. Es gehe ihr mittlerweile wieder „vergleichsweise gut.“

Nach Corona hatten viele Pädagogen und andere Experten wiederholt festgestellt, dass Kinder und Jugendliche mehr Verhaltensauffälligkeiten an den Tag legten – vor allem distanzloses Verhalten, das häufig zu Konflikten führt. Doch sind die wochen- und monatelangen Schulschließungen auch Schuld an krassen Übergriffen wie dem an der Erich Kästner-Gesamtschule?

„Der Vorgang ist furchtbar“, räumt Dirk Bergmann ein, der stellvertretende Leiter der Erich Kästner-Gesamtschule. „Die Namen der Kinder, die mitgemacht haben, sind identifiziert, und die entsprechenden Ordnungsmaßnahmen wurden eingeleitet.“ Auch Bergmann stellt fest, dass „bei manchen Schülerinnen und Schülern die Zündschnur ziemlich kurz ist, aber das ist kein Alleinstellungsmerkmal unserer Schule.“ Es gebe viele Kinder und Jugendliche, die „distanzloser“ geworden seien.

Aufsichtsbehörde: „Auswirkungen der Corona-Pandemie sind spürbar“

Die Schulaufsichtsbehörde, die Bezirksregierung Düsseldorf, kommentiert den Vorgang ähnlich: „Wie an vielen anderen Schulen sind die Auswirkungen der Corona-Pandemie auch an der Erich Kästner-Gesamtschule spürbar.“ Die Schule habe sich mit der Bitte um Beratung und Begleitung an die Aufsichtsbehörde gewandt; erste „unterstützende Maßnahmen seien vereinbart.“ Dazu zähle nach Angaben von Vize-Schulleiter Bergmann zum Beispiel ein Sozialtraining für Jungen und Mädchen der Stufen fünf und sechs.

Doch Corona kann nicht allein der Grund sein für gefährliche Straftaten in Essener Schulgebäuden: Eine große Schule im Stadtgebiet musste über Monate lang einen Wachdienst beschäftigen, der bis Schulschluss den Eingang kontrollierte, die Türen blieben verschlossen. Mehrfach waren Jugendliche, die nicht zur Schule gehören, ins Gebäude eingedrungen und hatten Streit gesucht, teilweise mit gefährlichen Waffen.

Und noch ungeklärt ist der Vorgang, der sich in dieser Woche vor der Hauptschule an der Jahnstraße im Stadtteil Bochold abspielte: Dort soll es zu einer Rangelei mit 20 bis 30 beteiligten Jugendlichen gekommen sein, einige von ihnen besuchen die dortige Hauptschule. Als die Polizei kam, liefen die meisten Jugendlichen weg, auch ein „Schlagwerkzeug“, so die Polizei, soll eine Rolle gespielt haben. Es gebe mehrere Handy-Videos von dem Vorgang, berichtet Polizei-Sprecherin Sonja Kochem; die Auswertung sei aufwändig und dauere noch an.