Essen. Eine Essener Ärztin kämpft gegen Brustkrebs. Als Patientin ändert sich ihr Blick auf ihren Beruf. Wie ihr die Palliativklinik Zuversicht gibt.
Kristin Kraus ist 31 Jahre alt, als sie im Juli 2019 die Diagnose triple-negativer Brustkrebs bekommt: ein aggressiver Krebs, doch keine Metastasen. „Supergut behandelbar“, sagt man ihr. Es beginnt eine Behandlung, die nie zu enden scheint: Der Krebs kommt zurück, breitet sich aus. Heute ist die Essenerin 35 Jahre alt und gilt nach den Regeln der Schulmedizin als austherapiert.
Kristin Kraus ist selbst Ärztin und weiß, dass ihre Zeit nun begrenzt ist. Als Patientin aber denkt sie nicht ans Sterben – sondern ans Leben. Begleitet von den Palliativmedizinern der Evangelischen Kliniken Essen-Mitte (KEM).
Palliativmediziner im Huyssensstift Essen wollen Lebensqualität der Patienten verbessern
Die sitzen im Huyssensstift in Huttrop und wissen: Wer zu ihnen kommt, hat Angst. So erging es auch Kristin Kraus im vergangenen Jahr. Doch sie erinnert sich an die Worte von Oberärztin Anja Dickmann, die sie bis heute behandelt. „Sie sagte: ,Die Palliativmedizin ist nicht die Medizin der Sterbenden, sondern der chronisch Kranken.’“ Es gebe Patienten, die sie viele, viele Jahre begleiten. „Das hat mir sehr geholfen, mir neuen Spielraum gegeben.“
Zu diesem Zeitpunkt hatte sie schon eine Odyssee hinter sich. Angefangen mit der Diagnose, die ungewöhnlich ist bei einer so jungen Frau, zumal sie nicht genetisch vorbelastet ist. Sie erlebt nun Mediziner, die nicht erklären, sondern anweisen: „Wir machen die Chemo. Punkt.“ Anfangs hält Kristin Kraus sich daran: Chemotherapie, Bestrahlung, OP, das sind die Mittel im Kampf gegen den Krebs.
Als Patientin fühlt sie sich von ihren Ärztekollegen nicht ernst genommen
Bloß sind sich ihre Ärzte dann selbst nicht einig über den weiteren Therapieverlauf. Und als sie nach den ersten Operationen unter Fieber und Fatigue leidet, apathisch im Klinikbett liegt, fühlt sie sich nicht ernst genommen. „Als Patientin habe ich einen neuen Blick auf meinen Beruf bekommen.“
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Sie wechselt zur Behandlung ans Brustzentrum im Huyssensstift der KEM; wird insgesamt neun Chemotherapien machen. Im März 2021 wird ihr die rechte Brust abgenommen, im Dezember 2021 gilt der Krebs als verdrängt, im Mai 2022 ist er zurück, die Lunge befallen. Die Chemo geht weiter, nun ohne Versprechen auf Heilung. Sie fühlt sich unwohl in der Behandlung, bricht sie Ende 2022 ab: „Ich konnte nicht mehr.“
Krankenhaus verlängert den Arbeitsvertrag der schwerkranken Ärztin nicht
Sie hat ja nicht nur jahrelang gegen den Krebs gekämpft, sondern damit auch unweigerlich gegen den eigenen Körper. Und jeder Behandlungsschritt wirft ihr Leben durcheinander: vom Arbeitsplatz in die Klinik, von dort in die Reha, dann in die Wiedereingliederung und wieder von Neuem. Das Krankenhaus, in dem sie als Internistin arbeitet, verlängert ihren Vertrag nicht. Nun ist sie schwer krank und arbeitslos: „Das ging an die Existenz.“
Immer wieder muss sie sich Krankengeld, Arbeitslosengeld oder Kostenübernahmen erstreiten. So müsste das Einfrieren von Eizellen in einem Fall wie ihrem übernommen werden. Doch sie muss die mehr als 3000 Euro für die Hoffnung auf Kinder selbst tragen: „Ich hatte den Antrag fünf Tage zu spät eingereicht.“ Dass sie damals so vieles sehr schnell entscheiden muss, spielt keine Rolle: Frist ist Frist. Das Ringen mit der Bürokratie belastet sie während der gesamten Zeit: „Das war so kräftezehrend.“
Das Palliativ-Team nimmt sich Zeit für die Patientin
Inzwischen ist sie zur Ruhe gekommen, hat neue Zuversicht gewonnen. Das liegt auch an der Klinik für Palliativmedizin, an der sie seit Sommer 2022 behandelt wird. „Hier kümmert man sich einfach um mich.“ Etwas, das sie auf ihren Stationen im Gesundheitswesen oft vermisst hat. Niemand sage mehr: „Sie sind ja selbst Ärztin, Ihnen muss ich das ja nicht erklären.“ Jede Frage werde beantwortet, jede Nebenwirkung der Krebserkrankung mitbedacht: von Hautausschlag über Erschöpfung bis Angst. Sie bekommt einen Ordner voll Infomaterial und Ärzte, die sich Zeit nehmen.
Als Privileg sieht das auch Oberärztin Anja Dickmann, die von Haus aus Onkologin ist und ihr halbes Berufsleben auf der Krebsstation tätig war. Vor mehr als zehn Jahren ist sie in die Palliativmedizin gewechselt und möchte dort nicht mehr weg: „Wir haben hier mehr Zeit für die Patienten, können mit ihnen in Ruhe Befunde durchgehen – und den ganzen Menschen sehen.“ Nicht nur seine Krankheit, auch seine Nöte, seine Wünsche. Ein Behandlungsplan kann hier Kunst- oder Musiktherapie umfassen, psychologische Betreuung oder Seelsorge. Studien belegten, dass sich die Lebensqualität von Krebspatienten mit Metastasen spürbar verbessere, wenn sie palliativ mitbehandelt werden, erklärt Anja Dickmann.
Viele schwer kranke Menschen haben eine Odyssee hinter sich
Viele Menschen kämen mit einem großen Gefühl der Unsicherheit in die Palliativmedizin, sagt Klinikdirektor Dr. Wolfgang Niesert. Wie Kristin Kraus hätten sie eine Odyssee hinter sich. „Sie denken: ,Jetzt kann mir niemand mehr helfen.’ Dabei können wir sehr viel tun, auch unterstützend zu Chemo- oder Strahlentherapie. Damit nehmen wir den Menschen die Angst.“
Team will Lebensqualität der Patienten verbessern
Die Klinik für Palliativmedizin an den Ev. Kliniken Essen-Mitte (KEM) betreut Patienten mit lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Krebs, Herzschwäche oder fortgeschrittenem Parkinson.
Zu der Klinik gehören die Palliativstation und die palliativmedizinische Tagesklinik im Huyssensstift. Daneben gibt es eine Spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV), einen Palliativkonsiliardienst an allen drei KEM-Standorten sowie den ambulanten Hospizdienst „Pallium“.
Es gibt keine Facharztausbildung „Palliativmedizin“: So ist Klinikdirektor Dr. Wolfgang Niesert Anästhesist, andere im Team sind Onkologen, Internisten, Geriater, Gynäkologen, Allgemeinmediziner. Alle haben eine von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin zertifizierte Schulung gemacht und eine Prüfung vor der Ärztekammer abgelegt.
Neben Ärzten sind im Team Pflegekräfte, Psychologen, Sozialarbeiter, Seelsorger, Logopäden, Physio- und Kunsttherapeuten. Sie begleiten Therapieentscheidungen, lindern körperliche und seelische Beschwerden, betreuen Patienten und Angehörige. Ziel ist, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
Kristin Kraus kommt einmal monatlich zu Psycho- und Physiotherapie in die Tagesklinik. Sie erzählt, dass ihr die Akupunktur bei der Chemo sehr geholfen habe, und dass sie schon mehrmals naturheilkundliche Behandlungen wahrgenommen habe. „Früher habe ich Naturheilkunde belächelt.“
Als Patientin habe sich ihre Haltung stark verändert, sie sei nun grundsätzlich offener für andere Therapien. So lässt sie sich aktuell in Köln immunonkologisch behandeln, obwohl dieser neue Ansatz noch nicht von den Kassen bezahlt wird. In seltenen Fällen habe diese Immuntherapie Krebspatienten geheilt, ihr schenke sie eine tolle Lebensqualität. Sie mache wieder Sport, wolle Anfang Juni in die Mülheimer Arztpraxis zurückkehren, in der sie 2021 eine neue Stelle gefunden hat.
Freunde und Familien stehen ihr zur Seite, hoffen mit ihr
„Ich bin jetzt auf mehr oder weniger alles vorbereitet“, sagt sie. Das verdanke sie auch einem Familien- und Freundeskreis, der sie durch die Krankengeschichte getragen habe. Mal sei es schwerer, mal leichter, aber immer gebe es die Menschen, die sie aufbauen, die sagen, dass alles gut werde. Mit anderen spreche sie offen darüber, was sie sich im Todesfall wünsche. Mit ihrer Schwester, Ärztin wie sie, könne sie über Medizinisch-Fachliches reden. Und ihr Mann sagt, was ihr alle wünschen: „Wir schaffen das!“