Essen. Erdoğan oder Kılıçdaroğlu? Die Türkei-Wahl wird auch hierzulande entschieden: Bis 9. Mai erwartet Essen täglich 3000 Wähler mit türkischem Pass.
Die Grugahalle, sie rührt dieser Tage mal wieder einen Kessel Buntes an: Neulich erst die Live-Kochshow mit TV-Brutzler Steffen Henssler, demnächst Bauchgeplaudertes von Sascha Grammel und dazwischen nun eine politische Wahl, die ihrerseits das Zeug hat, manchem gehörig auf den Magen zu schlagen: Erdoğan oder Kılıçdaroğlu? Nicht zuletzt im Ruhrgebiet könnte sich entscheiden, wer das von vielen vorhergesagte Kopf-an-Kopf-Rennen bei der türkischen Präsidenten-Wahl für sich entscheidet.
Der Andrang in der Grugahalle, einem von 16 Wahllokalen bundesweit, spricht am ersten Tag jedenfalls für sich: Rund 4000 Wählerinnen und Wähler und damit 1000 mehr als für den Premierentag vermutet kamen am Donnerstag in den Rüttenscheider Schmetterlingsbau, um in einer der dort aufgestellten 16 Wahlkabinen die Stimmen für die türkischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abzugeben. So wird das wohl weitergehen, im ersten Wahlgang bis zum 9. Mai.
Mutmaßlich sechsstelligen Kosten, um Verkehr und Sicherheit im Griff zu haben
Und zwar täglich von 9 bis 21 Uhr. Keine Pause am Wochenende, keine Feiertagsruhe am „Tag der Arbeit“: Rund 3000 Wahlberechtigte dürften es im Schnitt pro Tag sein, am Wochenende naturgemäß eher mehr, gelegentliches Schlangestehen, so wie am Freitagmorgen, inklusive.
Die Grugahalle zu nutzen, ist fraglos ein teures Unterfangen für den türkischen Staat mit mutmaßlich sechsstelligen Kosten, eine Zusage, die man der Türkei in Essen schon bei den letzten Urnengängen 2014 und 2018 abrang und die diesmal gar nicht erst groß hinterfragt wurde. Die Stimmabgabe nicht im Türkischen Generalkonsulat Am Zehnthof in Kray zu organisieren, dem Sitz des neuen Generalkonsuls Taylan Özgür Aydın, sondern sich dafür einen anderen Ort zu suchen, galt dabei der Sorge um ein Verkehrschaos an- und abreisender Wählerinnen und Wähler genauso wie allerlei Sicherheitsbedenken.
Die hier lebenden Türken sind Präsident Erdoğan besonders zugeneigt
Zum Einzugsbereich des türkischen Generalkonsulats gehören Essen, Mülheim und der Regierungsbezirk Arnsberg. Hier leben etwa 220 000 türkische Bürger und Deutsche mit türkischer Abstammung. Ein nicht zu unterschätzender Faktor für den seit zwei Jahrzehnten regierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, denn Untersuchungen zeigen, dass die hier lebenden Türken ihm besonders zugeneigt sind.
Gleichwohl gilt der von mehreren Parteien unterstützte Oppositionskandidat Kemal Kılıçdaroğlu als keineswegs chancenlos. Und wenn die Stimmen aus Essen rechtzeitig vor dem türkischen Wahltermin am 14. Mai gen Ankara geflogen werden, muss deshalb noch nicht Schluss sein mit dem Urnengang: Erringt im ersten Wahlgang niemand die absolute Mehrheit, folgt eine Stichwahl.
Bis dahin hält man in Essen und anderswo Ausschau, ob es Wahlkampf-Auftritte türkischer Bürger gibt. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte die Behörden aufgefordert, ein Auge auf mögliche hetzerische Reden zu werfen. In Essen ist davon nach Auskunft aus Sicherheitskreisen noch nichts zu sehen, aber nicht nur das Motto der Grugahalle heißt ja: „Alles ist möglich.“