Altenessen. Warum der Biergarten am Karlsplatz einer der beliebtesten Treffpunkte im Norden ist. Und wieso das Menschen in Singapur interessieren könnte.
Der Altenessener Biergarten ist am Karsamstag in sein Jubiläumsjahr gestartet. Die „Oase der Geselligkeit“ auf dem Karlsplatz ist mittlerweile im 20. Jahr Treffpunkt für Radfahrer, Wanderer und Ausflügler, aber auch und vor allem für Menschen aus dem Essener Norden. Bei trockener Witterung ist der Biergarten täglich zwischen 10 und 22 Uhr geöffnet. Ein Interview mit dem Mann hinter der Theke, Eberhard Kühnle.
Herr Kühnle, herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum. Wie ist der Biergarten Altenessen damals eigentlich entstanden?
Das war eine Initiative von drei sehr engagierten Altenessener Geschäftsleuten: Günter Gerdiken, der leider vor kurzem verstorben ist, Hans Waldmann, der früher den Eisenhandel hatte, und Hubert Hensel, der Chef des Möbelhauses. Das waren Menschen, die angepackt haben. Die drei haben sich gesagt: Wir müssen etwas für Altenessen tun.
Und wie sind Sie dazugekommen?
Das war Zufall. Ich habe im Stadthafen eine Industriehalle gebaut, da sollte die Sicherheitsfirma von Günter Gerdiken neue Schlösser einbauen. Und da ich aus dem Schaustellermetier kam, hat er mein ganzes Equipment gesehen und hat gesagt: Mensch, können Sie nicht bei uns im Sommer mal so einen kleinen Kiosk oder einen Biergarten machen?
Sie kommen aus einer Schaustellerfamilie?
Schon meine Oma hat mit einem Eiswagen auf den Kirmesplätzen in Nordrhein-Westfalen gestanden – unter anderem in Sterkrade und in Crange. Ich selbst wollte zunächst etwas anderes machen und habe zwölf, 13 Jahre als Reproduktionsfotograf gearbeitet. Das war eigentlich ein guter Job, der mir Spaß gemacht hat.
Aber?
1982 habe ich gedacht: Das kann nicht dein Leben gewesen sein. Ich bin zu meinem Vater gegangen und habe gesagt: Papa, ich habe eine Idee. Ich möchte eine mobile Pizzeria haben. Ich hatte schon Zeichnungen gemacht und alles kalkuliert. Dann haben wir bei einem Spezialhersteller für Kirmesfahrzeuge einen Wagen bauen lassen: zehn Meter lang, fünf Meter tief, rund acht Meter hoch. Da war eine komplette Bäckerei drin mit Knetmaschine, einer Maschine, die den Teig ausgerollt hat, und natürlich Backöfen. Damit bin ich zehn, 15 Jahre lang durch ganz Deutschland gefahren.
Wie sind Sie dann in Altenessen gelandet?
Nachdem Günter Gerdiken die Idee hatte, habe ich mir 2003 den Karlsplatz angeguckt. Ich habe drüben an der Apotheke gestanden, da gab es den Pavillon noch nicht, und der Platz war auch nicht gerade schick anzusehen. Also habe ich ein Konzept gemacht mit verschiedenen Sachen, was man für den Stadtteil tun kann.
Und der Biergarten war eines dieser Dinge?
Das sollte in allererster Linie das sein, was es heute auch noch ist: eine Stätte der Begegnung. Wo sich Menschen beim Bier, Kaffee oder etwas zu essen hinsetzen können, austauschen, klönen. Später haben wir hier auch noch Veranstaltungen gemacht: Kulturmarkt, Buchmarkt, Franzosenmarkt – und so ist die Geschichte entstanden und gewachsen.
Dabei kommen Sie eigentlich aus dem Essener Süden.
Ich hatte eine tolle Kindheit in Haarzopf, aber heute hängt mein Herz am Norden.
Woran liegt das?
Das liegt vor allem an den Menschen hier. Das Wichtigste an einer Gastronomie, das sind die Gäste. Die müssen wissen, dass sie willkommen sind, dass sie gute Produkte auf den Teller kriegen, dass sie hofiert und bespaßt werden. Und wenn ein Gastronom dann noch tolles Personal hat, langjährige Mitarbeiter, die mittlerweile zu Freunden geworden sind – das ist einfach schön.
Apropos Gäste: Wo kommen die eigentlich her?
Aus dem ganzen Essener Norden, viele aber auch aus dem Süden. Wir haben ja hier die ideale Anbindung: eine U-Bahn-Station, mehrere Buslinien und eine große Taxistation. Jeder, der von Singapur aus zum Biergarten Altenessen will, kommt über den Flughafen in Düsseldorf oder Frankfurt mit der Deutschen Bahn zum Hauptbahnhof und dann weiter zum Biergarten.
Warum sollte jemand aus Singapur zum Essen hierherkommen?
Natürlich für unsere Currywurst. Die Soße ist selbst gemacht, und wir haben eine gute Metzger-Bratwurst im Naturdarm. Außerdem legen wir sehr viel Wert darauf, dass die Pommes knackig sind und nicht irgendwelche labberigen Fettstäbchen.
Was noch?
Wir haben Schnitzel, Hamburger, bayerischen Leberkäse mit Bratkartoffeln, Elsässer Flammkuchen und Saisonales wie Matjes. In den nächsten Tagen werden wir wohl mit Spargel loslegen. Und an jedem Mittwoch ist Reibekuchentag.
Gibt es ein Stammpublikum?
Jeder Gast ist Stammpublikum. Viele kommen seit Jahren hierher und werden namentlich begrüßt. Wenn meine Mädels sehen, dass da unser Hermann kommt mit seinem Rollator, dann wissen die: Der Hermann sitzt grundsätzlich an Tisch Numero zwei, der zweite Platz ist frei für den Rollator, der Hermann kriegt sein Popokissen und noch ein Kissen in den Rücken, außerdem einen Kaffee und ein Stückchen Käsekuchen.
Stammgäste wie der Hermann freuen sich wahrscheinlich den ganzen Winter darauf, dass hier wieder geöffnet wird.
Sobald der erste Sonnenstrahl rauskommt, geht mein Telefon. Da fragen die Leute, wann wir öffnen. Kurz vor Ostern war natürlich die Schar der Anrufer noch größer. Da haben wir gesagt, okay, wir machen ab Karsamstag auf.
Wie viele Plätze haben Sie?
180.
Brauchen Sie hier eigentlich Bühnen-Programm?
Nein. Wir sind Programm. Unsere Gäste sind Programm. Was nützt mir die schönste Musik auf der Bühne, wenn sich kein Mensch unterhalten kann.
Um ein Thema kommt man nicht herum: Hatte Corona in den vergangenen Jahren Auswirkungen?
Wir haben natürlich unter dem Lockdown gelitten, als alles zu war. Aber da wir eine Gastronomie im Freien haben, war Corona außerhalb des Lockdowns für uns nicht ganz so schlimm. Die Kollegen, die Restaurants haben, die haben da mehr gelitten als wir.
Sie engagieren sich neben dem Biergarten auch sehr für den Stadtteil.
Die IG Altenessen ist mein Steckenpferd, schon von Anfang an. Auch da hat mich Günter Gerdiken als Berater reingeholt. Ich will keine Posten haben. Ich will, dass der Stadtteil interessant bleibt und dass viele Gäste herkommen. Dass für die Menschen hier im Essener Norden das Selbstgefühl gesteigert wird.
Früher gab es in Altenessen noch mehr Gastronomie. Ist das Geschäft schwieriger geworden?
Die Struktur des Stadtteils hat sich verändert. Zu Zeiten des Bergbaus gab es 420 Kneipen im Essener Norden. Da sind jeden Tag tausende von Menschen aus der Erde gekrochen. Und die hatten Durst. Am Freitagnachmittag, wenn Lohntüten-Ball war, konnten die ihr Geld abholen. Die Mama stand mit dem Teppichklopfer vor der Tür und hat erst mal Geld abgenommen, hat dann zehn Mark wieder abgegeben an den Vater, und der konnte sich dann ein Bier trinken. Das hat sich bis heute natürlich geändert.
Bier gibt es aber immer noch. Wie lange wird der Biergarten in diesem Jahr geöffnet sein?
Am dritten Wochenende im September ist Stadtteilfest. Danach wird’s kühler. Wenn die feuchte Kälte vom Kanal hochkriecht, dann wird es langsam Zeit. So ein Biergarten ist wie Champagner: Alles hat seine Zeit. Es muss auch Monate ohne Biergarten geben. Damit man sich wieder auf den Frühling freut.