Essen. Viele Haupt- und Nebenstraßen in Essen sind in schlechtem Zustand, räumt die Stadt ein. ADAC bemängelt einen zu starken Focus auf den Radverkehr.

Mit Beginn des Frühlings tauchen sie auf, so sicher wie Krokusse, die aus dem Boden schießen: Ungezählte Schlaglöcher, die der Winter auf den Straßen hinterlassen hat. Und um die ist es in Essen an zahlreichen Stellen nicht zum Besten bestellt.

Wer sich dabei bislang auf sein Gefühl verließ oder auf die schmerzende Bandscheibe, darf sich von Zahlen aus dem Jahr 2020 bestätigt fühlen. Jede dritte Hauptverkehrsstraße ist in einem schlechten oder gar sehr schlechten Zustand. Letzteres gilt für jede zehnte Hauptverkehrsstraße. Deren Sanierung ist sogar überfällig. Rund 63 Prozent der Hauptstraßen waren in einem guten bis befriedigenden Zustand und gerade einmal knapp vier Prozent in einem guten bis sehr guten Zustand.

ADAC: Stadtverwaltung agiert sehr einseitig bei den Ausgaben

Bei den Nebenstraßen verschieben sich die Verhältnisse: Rund 26 Prozent sind in einem schlechten, rund 15 Prozent sogar in einem sehr schlechten Zustand. Dafür sind rund 22 Prozent der Nebenstraßen in einem sehr guten oder guten Zustand und rund 38 Prozent immerhin in einem guten bis befriedigenden Zustand. Die Daten für die Nebenstraßen sind allerdings von 2016.

Nach Ansicht von Harald Schröer, Vorsitzender des Essener Automobilclubs im ADAC, ist das bezeichnend. „Die Interessen von Autofahrern und Fußgängern spielen offenbar in der Stadtverwaltung keine große Rolle mehr.“ Die Konzentration auf die Fahrradfahrer und ihre Interessen hätten in den vergangenen Jahren an Einseitigkeit deutlich zugenommen, und das merke man eben auch bei den Prioritäten bei Sanierung und Ausbau.

Im Jahr 2011, als Radfahren in der politischen Diskussion noch keine so große Rolle spielte, hat die Stadt ein Programm zur Erneuerung ihrer Hauptstraßen aufgelegt. Fünf Millionen Euro sollten jedes Jahr in die Sanierung fließen. Das Budget wurde noch einmal erhöht. In diesem Jahr stehen rund sieben Millionen zur Verfügung. Für weitere 7,5 Millionen Euro sollen Nebenstraßen erneuert werden. Voraussichtlich im Mai wird das Amt für Straßen und Verkehr der Politik eine Liste mit Straßennamen vorlegen, wo es besonders drängt.

Für die Ziele des Radentscheids fließen innerhalb von fünf Jahren 220 Millionen Euro

Das klingt nach viel, aber wenn man die Zahlen für den Radverkehr dagegenhält, relativiert es sich. In den nächsten fünf Jahren sollen für die die Ziele des Radentscheides Investitionen von insgesamt 220 Millionen Euro fließen. 102,5 Millionen Euro werden für Radwege an Hauptverkehrsstraßen ausgegeben. Weitere 70,4 Millionen Euro entfallen auf den Lückenschluss des Radwegenetzes. 31,7 Millionen Euro auf Fahrradstellplätze, weitere 10,4 Millionen Euro auf Fahrradstraßen und -zonen sowie rund 4,9 Millionen Euro auf den Umbau von Kreuzungen. Investitionen, die auch damit begründet werden, dass der Radverkehr Nachholbedarf in Essen hat.

„Das mag stimmen, aber ich sehe hier dennoch ein Missverhältnis“, sagt Harald Schröer. Es werde so getan, als würde in Essen weit überwiegend Rad gefahren, das stimme aber nicht. Tatsächlich betrug nach der letzten verfügbaren Zählung aus dem Jahr 2018 der Anteil des Fahrrades an allen Verkehrswegen 7 Prozent, der des Autos aber 55 Prozent. Das mag sich in den letzten Jahren um einige Prozentpunkte verschoben haben, gewiss aber nicht entscheidend. Schröer fordert, dass die realen Verkehrsentscheidungen der Essener stärker Grundlage bei der Verteilung der Mittel zu sein hätten. Und es müsse bei den Straßen mehr saniert statt nur geflickt werden.

Die Stadt Essen arbeitet an einem digitalen Straßenbild

Nun ist es nicht so, dass dem Autoverkehr in Essen nichts zur Verfügung stünde. Das Essener Straßennetz besteht aus 339 Kilometern Hauptverkehrsstraßen, die Nebenstraßen messen insgesamt 1213 Kilometer. Über den Zustand ihrer Straßen ist die Stadt im wahrsten Sinne des Wortes im Bilde. Seit 2017 wird das Netz mit einem Messfahrzeug abgefahren. Das Fahrzeug ist ausgestattet mit Kameras, Laserscannern und Radar. Beim Befahren der Straßen wird die Fahrbahn bis zu einem Meter Tiefe mit elektromagnetischen Strahlen durchleuchtet. „Für müssen also gar nicht erst in die Tiefe bohren“, sagt Essens Verkehrsdezernentin Simone Raskob.

Aktuell arbeitet das Amt für Geoinformation, Vermessung und Kataster im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Erstellung eines digitalen Straßenbildes für die gesamte Stadt Essen, gefördert vom Bund mit 2,5 Millionen Euro. In einem Jahr will man so weit sein.

Aber was nützt das beste Verfahren gegen die vielen Schlaglöcher.

Das Baustellenmanagement soll sich in Essen binnen fünf Jahren stark verbessern

Mit Hilfe des digitalen Straßenbildes will die Stadt früher reagieren, nicht erst wenn sich Löcher oder Risse auftun, sondern frühzeitig und präzise. Frank Knospe, Leiter des Amtes für Geoinformation, ist optimistisch: „Das Baustellenmanagement wird sich innerhalb der nächsten fünf Jahre signifikant verbessern.“

Gilt das auch für den Zustand der Straßen? Nicht nur die Stadt reißt Fahrbahnen auf, die Stadtwerke erneuern Abwasserkanäle, Mobilfunkanbieter verlegen neue Leitungen. Aktuell steht der Ausbau des Glasfasernetzes weit oben auf der Agenda, gleich mehrere Unternehmen buhlen um Kunden für einen Anschluss. Die Stadt kann den Ausbau nur bedingt steuern, Anträge sind binnen weniger Monate zu bearbeiten. Das heißt: Auch aus einer frisch sanierten Straße könnte bald wieder ein Flickenteppich werden.