Essen. 51 Hilfstransporte hat die Uniklinik Essen in die Ukraine geschickt, jede Woche einen: Wie sehr der Ukraine-Krieg das Krankenhaus-Team bewegt.
Eine Woche nach dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat die Uniklinik Essen den ersten Hilfstransport mit Medikamenten und Verbandsmaterial auf den Weg geschickt. Seither ist jede Woche ein Transport gestartet, 51 sind es bis heute. Wir sprechen mit dem Kaufmännischen Direktor der Uniklinik Essen, Thorsten Kaatze, über das besondere Engagement, das er als Team-Leistung der Universitätsmedizin beschreibt.
Ein Krankenhaus hat ja vorrangig einen lokalen bis nationalen Versorgungsauftrag – wie kommt es, dass die Universitätsmedizin Hilfsgüter in die Ukraine liefert?
Thorsten Kaatze: Unser Auftrag reicht per se weit über die Stadt hinaus: Lediglich gut 40 Prozent unserer Patienten stammen aus Essen, die anderen aus ganz Deutschland sowie aus europäischen Ländern. Wir haben weltweit wissenschaftliche Kooperationen, mehr als ein Jahrzehnt lang auch mit China und Russland. Mit Kriegsausbruch wurde die Zusammenarbeit mit Russland vollständig gestoppt. Was die Medizin angeht, steht für uns – abgeleitet vom Gedanken des Smart Hospitals – über die reine Krankenversorgung hinaus immer der Mensch im Mittelpunkt. Darum bringen wir jetzt auch Hilfe für die Erdbebenopfer in der Türkei und Syrien auf den Weg.
Allerdings können Sie humanitäre Einsätze kaum aus dem Etat der Uniklinik bestreiten ...
Richtig, und da kommt die Stiftung Universitätsmedizin ins Spiel, in deren Vorstand ich sitze. Sie hat bis heute rund zwei Millionen Euro für unsere Ukraine-Hilfe eingeworben. Darunter zwei Großspenden von je 200.000 Euro von der RAG-Stiftung sowie von Eon. Dankbar sind wir auch für die zahllosen kleineren Spenden, die uns ermöglicht haben, bis heute 1500 Paletten an medizinischem Material an ukrainische Krankenhäuser zu liefern.
Uniklinik Essen bringt Hilfstransporte möglichst nah an die Front
Wer hält Kontakt zu den ukrainischen Kliniken und wie stellen Sie sicher, dass die Hilfsgüter auch tatsächlich dort landen?
Wir haben unseren Mitarbeiter Dr. Gennadiy Zelinskyy vorübergehend von seiner Tätigkeit in der Klinik für Virologie freigestellt: Er koordiniert bis heute die Hilfe mit den Ansprechpartnern vor Ort. Das sind neben Krankenhäusern etablierte Organisationen wie die Klitschko-Foundation oder ZMIST Poltava. Mir war von Anfang an wichtig, dass wir unsere Transporte nicht nur bis zur Grenze bringen, sondern möglichst weit ins Land. Der Essener Thomas Schiemann, der schon viele Jahre vor Kriegsbeginn Lebensmittel in die Ukraine lieferte, hat uns Transportfirmen vermittelt, die bis nah an die Front fahren. Gleichzeitig treffen wir hohe Sicherheitsvorkehrungen für die Fahrer. Jeder unserer bisher 51 Transporte ist angekommen: Ich lasse uns immer ein Bild von der Ankunft der Hilfslieferung im jeweiligen Krankenhaus schicken.
Krebskranke Kinder aus der Ukraine werden in Essen behandelt
Geben die ukrainischen Krankenhäuser Ihnen Listen mit dem benötigten medizinischen Material?
Das wäre nicht sehr praktikabel. Darum schicken wir immer ein Standardpaket, das von der Ampulle für die Narkose über Schmerztabletten bis zur Kochsalzlösung wichtige Medizingüter enthält. Wir haben zudem immer noch Platz, um Paletten anderer Organisationen deklariert mit ins Land zu nehmen.
Spendenlauf im April für die Ukraine
Unternehmen und Vereine haben im vergangenen Jahr mit verschiedenen Spendenaktionen Geld für die Ukraine-Hilfe der Uniklinik Essen eingeworben. Die Stiftung Universitätsmedizin veranstaltete einen Spendenlauf; dieser soll am 25. April 2023 erneut stattfinden.
Am Freitag, 24. Februar, findet um 15.30 Uhr auf dem Burgplatz in Essen eine Kundgebung unter dem Motto „Gemeinsam für die freie Ukraine und ein friedliches Europa“ statt. Anschließend startet ein Demonstrationszug. Um 17 Uhr gibt es im Dom ein Friedensgebet.
Die Kinderklinik in Poltava profitiert besonders von der Hilfe aus Essen, außerdem behandelt die Uniklinik krebskranke Kinder aus der Ukraine. Wie kam es dazu?
Bald nach Kriegsausbruch kam ein Hilferuf von den völlig überlasteten Krankenhäusern in Polen. Am 6. März 2022 traf dann der erste Bus mit 21 Kindern und ihren Angehörigen bei uns ein. Einige Kinder haben wir an andere Kliniken weitergeleitet, sieben nahmen wir auf. Ihre Familien brachten wir im Haus der Elterninitiative zur Unterstützung krebskranker Kinder oder im Hotel unter. Seither kommen regelmäßig ukrainische Kinder zur Behandlung zu uns. Zeitweise waren 55 junge Patienten mit 108 Angehörigen hier, aktuell sind es 45. Die meisten wohnen in einem von uns angemieteten Schwesternheim, andere bei der Elterninitiative oder im Ronald-McDonald-Haus.
Übernimmt der deutsche Staat die Behandlungskosten?
Inzwischen wird die Behandlung übernommen, wenn die Ukrainer formlos Asyl beantragen. Anfangs hat ein „Herz für Kinder“ die Kosten getragen. Das ist enorm wichtig: Ohne Finanzierungszusage können wir die Kinder nicht aufnehmen.
Ukrainische Ärzte müssen als Krankenpflegehelfer anfangen
Haben Sie unter den geflüchteten Ukrainern auch Fachkräfte gewinnen können?
Wir haben bisher gut 20 Ukrainer angestellt, darunter einige Ärztinnen, die perfekt Englisch, aber auch Deutsch sprechen. In ihrem Beruf können sie derzeit noch nicht arbeiten: Ohne die nötigen Deutschzertifikate können wir einen Mediziner bestenfalls als Krankenpflegehelfer beschäftigen. Damit sie ihre Ausbildung möglichst schnell hier anerkennen lassen können, haben wir für alle Sprachkurse gebucht und jedem einen Paten zur Seite gestellt. Wir sind stolz auf unser Team an der Universitätsmedizin, das unsere Hilfe für die Ukrainer und ihr Land erst möglich macht. Wir hoffen, dass das Spendenaufkommen trotz eines Rückgangs insgesamt weiter hoch bleibt, denn der Bedarf vor Ort ist ungebrochen groß.