Essen-Werden. Mehr als die Hälfte der Mitglieder der Schachfreunde Essen-Werden sind Jugendliche. Wie es der Verein schafft, junge Menschen zu begeistern.
Ein Stimmengewirr erklingt in den Fluren des Jugend- und Bürgerzentrums am Wesselswerth 10. Mädchen und Jungen eilen aufgeregt umher. Einmal in der Woche gehen sie hier einem Hobby nach, das gerade wieder in Mode kommt: Sie spielen Schach, freitags von 17 bis 18.30 Uhr. Heute steht ein Blitzturnier auf dem Programm. „Das haben wir spontan entschieden“, erklärt Stefan Hütte, Jugendwart der Schachfreunde Werden 24/80.
Am Eingang nimmt Jugendtrainer Uwe Claussen die insgesamt 19 Anmeldungen für das vereinsinterne Event entgegen. 16 Jungen und drei Mädchen wollen in zwei Altersklassen an den quadratischen Brettern gegeneinander antreten. Prof. Dr. Till Engel, der Vereinsvorsitzende, zeigt die neun Tische, an denen gleich gespielt wird.
Die Uhren laufen digital und sind geräuschlos
Darauf stehen je 16 weiße und schwarze Figuren auf den Spielfeldern in der Grundstellung bereit. An den Rändern sind die waagerechten Reihen mit den Zahlen 1 bis 8 gekennzeichnet. Die senkrechten Linien tragen die Buchstaben A bis H. „Das ist die Schachnotation, geschrieben aus der Sicht von Weiß“, erläutert Engel. Auf jedem Tisch gibt es eine Schachuhr. Engel erinnert sich an die alten, mechanischen Uhren. „Die haben noch getickt, die modernen aber laufen heute digital und sind geräuschlos.“
„Das Ergebnis jeder Partie ist meine Schuld oder mein Verdienst“, erläutert Linda Symanski. Die 16-Jährige liebt Schach, spielt seit 2014 und gehört zum erfolgreichen Nachwuchs des Vereins. Der wurde vor 99 Jahren gegründet. Nach dem Ersten Weltkrieg gewann das einst elitäre Brettspiel in einer breiteren Öffentlichkeit Freunde, so auch in Werden.
Die Hälfte der Mitglieder sind Jugendliche
„Am 21. März 1924 wurde der Club im Vereinsheim, dem Lokal ,Zum Hirsch’ an der Brückstraße ins Leben gerufen“, führt Prof. Engel aus. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten die Herren Hammacher, Kemper, Poerting, Sarimsky, Schürmann, Schwarze, Senden und Warmuth, verrät die Festschrift von 1999. Und dass man 1925 „schon über 20 Mitglieder“ zählte. „Heute haben wir über 100, davon sind etwa die Hälfte Kinder und Jugendliche“, fügt Engel an und lobt das Engagement der Jugendtrainer. „Sie schaffen es, schon die Jüngsten für Schach zu begeistern, zum Teil über Schach-AGs in Schulen.“
Keine leichte Aufgabe bei der Riesenauswahl möglicher Freizeitaktivitäten. Die größte Konkurrenz droht darüber hinaus vor allem von Spielekonsolen und digitalen Medien. „Die meisten Jugendlichen schätzen hier die persönliche Begegnung beim Spiel“, so Jugendwart Hütte. Wegen Corona musste das öffentliche Training im Jugend- und Bürgerzentrum lange ausfallen. Die Trainer stellten Online-Schachaufgaben. „Umso mehr freuen sich alle nun über Treffen wie heute“, sagt Hütte.
Strategie ist alles – und die Nerven behalten
Blitzschnell oder klassisch
Wer Schach erlernen oder in professioneller Runde spielen möchte, kann sich an die SF Werden 24/80 wenden. Das Jugendtraining findet freitags von 17 bis 18.30 Uhr statt. Ab 19.30 Uhr üben die Erwachsenen, Ende offen.
Der SF 24/80 ist ein erfolgreicher Verein mit Spielern aller Altersklassen, die auch in Ligen erfolgreich sind. 2001 fusionierte der Club mit der Schachabteilung der SG 80, die vor allem für Fußball bekannt ist. Seitdem tragen die Werdener Schachfreunde den Zusatz „/80“ im Namen.
Nähere Infos über die Schachfreunde Essen-Werden 1924/80 gibt es auf der Homepage: sf-werden.de.
Dann gibt er das Kommando zur Eröffnung. „Runde frei!“ Das Blitzschachturnier beginnt. Auf einen Schlag herrscht Stille. Lenny Kim (Schwarz) und Jonathan Schüppen (Weiß) sitzen sich an einem der Tische im Café mit dem Tresen gegenüber. Die Zeit läuft: In maximal zehn Minuten, fünf pro Spieler, werden die ersten Sieger feststehen. Weiß beginnt. Das ist so üblich und laut Statistik ein kleiner Vorteil. 54 Prozent aller Schachpartien werden von den Spielern mit den weißen Steinen gewonnen. Hütte grinst: „Das stimmt. Deswegen wird ausgelost, wer welche Farbe spielt. Bei Turnieren wechseln die Teilnehmenden auch zwischendurch, spielen abwechselnd mit weißen oder schwarzen Steinen, damit keiner im Vorteil ist.“
Jonathan rückt den D-Bauern zwei Felder nach vorn. Dann betätigt er die Uhr. Lenny kontert, zieht den Springer auf F6 und betätigt ebenfalls die Uhr. Konzentriert schauen die Schüler auf die Figuren. Jonathan bereitet den Angriff auf den König vor. Lenny gerät in Bedrängnis und opfert ein paar seiner Figuren. Nach nur drei Minuten muss er aufgeben. „Schachmatt“, sagt Jonathan und verlässt den Tisch mit einem Punkt für diesen Sieg. Strategie sei alles. „Und die Nerven zu behalten“, so der Jugendliche.
Schach erlebte durch Corona ein Comeback
Dass Schach durch Corona ein Comeback erlebt hat, können die Werdener Schachfreunde bestätigen. „Im Lockdown wurde viel im Internet gespielt“, sagt Prof. Engel. „Lichess“ (lichess.org) ist so eine Plattform, auf der Schachliebhaber aus aller Welt ihrem Hobby kostenlos nachgehen. Über den Server kann man gegen den Computer aber auch gegen reale Personen antreten. Es stehen unter anderem öffentliche Turniere, Blitz- und Schnellschachpartien in verschiedenen Varianten zur Auswahl: Standard, Crazy Horse, King of the Hill, Antichess und Racing Kings. „Das sind Nebenvarianten, die Profis eher nicht interessieren“, erläutert Hütte. „Kein Kasparow der Welt würde sich dafür begeistern.“
Der legendäre Schachprofi Garri Kasparow, der 15 Jahre den Weltmeistertitel verteidigte und 2005 seine Karriere beendete, ist in der Szene immer noch berühmtes Vorbild. In seiner Wohnung habe er eine ganze Reihe Schachbücher, erzählt Prof. Engel. Auf einem Tisch im Wohnzimmer stehe immer ein Brett. Darauf spielt der Werdener Fernschach mit einem Freund. Ganz langsam. Bis zu drei Tage darf er überlegen pro Zug und muss manchmal auch genauso lange auf die Antwort des Gegners warten. Die stellt er mit Figuren nach. „Meine Frau und ich ziehen oft die Fachliteratur zurate, aber mehr aus Spaß, auf der Suche nach dem perfekten Zug.“
Der sei nicht mal eben zu finden, allein die Anzahl der Felder und Figuren erlaubt eine unendliche Fülle von Kombinationen. Schon nach zwei Zügen sind 72.084 verschiedene Stellungen möglich. Die Zahl der denkbaren Spielverläufe ist noch einmal um ein Vielfaches größer. Doch das bringt Schachfreunde jeden Alters nicht ins Grübeln. Das populäre Spiel begeistert nicht nur in Werden, auch in Katernberg und Borbeck werden die Figuren fleißig über die hellen und dunklen Felder gerückt. NRW-Liga, Kreis- oder Bezirksliga – punktemäßig liegen die Werdener meist vorn.