Essen-Steele. Bombenangriffe, Beschuss, Tote: Essener Zeitzeugen berichten vom Ende des Zweiten Weltkrieges. Es sind unmittelbare wie erschütternde Eindrücke.
Über die Kindheit und Jugend in NS-Steele oder auch die Nachkriegszeit, über den Einmarsch der Amerikaner in Freisenbruch oder auch über Zwangsarbeiter in und um Steele haben die Mitglieder des Steeler Archivs bereits berichtet. Nun hat sich Arnd Hepprich mit dem Kriegsende befasst. Die Grundlage sind Zeitzeugenberichte, verfasst unter dem Eindruck dessen, was die Menschen beinahe zeitgleich erlebten. Es sind unmittelbare wie sehr persönliche Eindrücke von vier Zeitzeugen.
So schildert Otto Köster, der als Kommunist und als im Widerstand engagiert galt, Ereignisse aus der Zeit vom 25. März bis 13. April 1945. „Er hat diese vermutlich kurz danach notiert“, sagt Arnd Hepprich zu den Selbstzeugnissen, die sich heute im Steeler Archiv befinden. Das gilt auch für die Tagebuchnotizen von Paul Bever, der von 1918 bis 1950 Pfarrer an der evangelischen Friedenskirche gewesen ist und dessen Einträge von den Tagen 1. April bis 8. Mai berichten. Erhalten sind zudem Notizen des Journalisten F.W. Geger sowie von der Freisenbrucherin Erna Haefke, die Schulhelferin an der Haferfeldschule gewesen ist.
Geschützdonner ist seit Wochen tägliche Begleitmusik in Freisenbruch und Steele
„Militärautos rasen über die Bochumer Straße (heute Bochumer Landstraße). Soldaten marschieren müde in Richtung Osten; Geschützdonner begleitet sie. Geschützdonner ist schon seit Wochen unsere tägliche Begleitmusik. Viele Essener ertragen das unaufhörliche Frontschießen, die Bomben- und Tieffliegerangriffe nicht mehr“, hat Erna Haefke aufgeschrieben.
Dann berichtet sie auch vom 6. April, es ist der Freitagabend, an dem die erste Granate auf der Bochumer Straße kurz vor Walinschats Haus einschlägt: „Bis Montagmittag 13.30 Uhr wird Freisenbruch stundenweise beschossen. Montags erhält fast jedes Haus in der Bochumer Straße von der Metzgerei Menkhorst bis Bruch zwei bis drei Treffer. Wir haben fast 40 Tote zu beklagen.“ Nur drei Tage später rollen die ersten feindlichen Panzer über die Bochumer Straße: „Ganz besonders ängstliche Hauseigentümer hissen die weiße Flagge. Freisenbruch hat sich den alliierten Truppen kampflos ergeben.“
Von dem Ansturm auf Lebensmittel oder auch Kleidung zeugen die Aufzeichnungen von Otto Köster. So berichtet er vom 29. März und den Tagen, an denen man die Bevölkerung aufforderte zu evakuieren. Als eine Menge Büchsenmilch und Alete-Milch ausgegeben wurden, „holten sich zu Tausenden pro Person zehn bis 20 Büchsen Milch.“ Die Säuglinge in seinem Revier hätten zuvor keinen Tropfen Milch mehr bekommen. Nur hätte man diese besser den Milchhändlern geben sollen, um diese geregelt zu verteilen, hat Köster nach seinen Beobachtungen aufgeschrieben.
Begegnungen mit Amerikanern zum Ende des Weltkrieges und dramatische Szenen
Ebenso beeindruckt haben ihn die Bilder, als Anzüge und Schuhe ausgegeben wurden („in rauen Mengen verausgabt“). Denn: „Es haben dort wieder dieselben Personen, acht bis zehn Anzüge, vier bis sechs Paar Schuhe, 50 und noch mehr Meter Nessel (Stoff) bekommen.“ Köster selbst hätte das lieber für die Soldaten sichergestellt gesehen und protestierte – ohne Konsequenzen. Stattdessen musste er nur weniger Stunden später erleben, dass die Kartoffellager gestürmt wurden, aus denen einige sich acht bis zwölf Zentner geholt hätten.
Es folgten die ersten Begegnungen mit den Amerikanern und dramatische Szenen, nach einem ersten Wortwechsel – „da kamen aus der Henglerstraße drei deutsche Soldaten. Die Amerikaner nehmen die Waffe im Anschlag, die drei deutschen Soldaten erhoben die Hände, da, das Geräusch des Autos war ein kleiner Spähwagen von Fallschirmtruppen. Das Maschinengewehr hämmerte, fünf Menschen lagen tot am Boden.“
Bei dieser Schilderung belässt es Otto Köster nicht, hält zudem fest, wie es ihm geht: „Mir zitterten die Knie, nicht vor Angst, nein, gerade sehe ich den Amerikaner noch vor mir, sprech mit ihm, da war er schon tot. Furchtbar, furchtbar, ich musste mich setzen, keines Wortes mächtig.“ Es folgen weitere Schüsse, eine Flucht in den Bunker, Verhaftung. Vorbei sei der Nazi-Spuk dann am 10. April gewesen, schreibt Otto Köster, um nur einen Tag später zu notieren: „Bei uns an der Westfalenstraße immer noch kleine Schießereien. Ein Feldwebel mit sechs Mann terrorisierte die Bevölkerung.“ Am Ende lautete die Lösung für den Schreiber: „Ich ging nach Rott zu meinem Genossen schlafen.“
Große Schäden an der Ruhrstaße, an der Post und Humannstraße
Von schweren Tagen zeugen die Sätze von Paul Bever am 8. April 1945: „Am Nachmittag hatten wir wieder Artilleriebeschuss, Becker-Kersting und der Bahnhof Steele-Süd wurden getroffen. An beiden Stellen je ein Toter. Im Laurentiushospital sah ich viele Schwerverletzte.“ Bomben in der Nähe hätten dann die Menschen in die Keller getrieben. Groß seien die Schäden an der Ruhrsrtaße, an der Post und Humannstraße gewesen.
Nur zwei Tage später sei dann zur Mittagszeit ein amerikanischer Stoßtrupp von Kray auf den Grendplatz gekommen und auf der Ruhr- und Dreiringstraße bis zur Ruhrbrücke vorgestoßen. Deren Reste lagen da zur Überruhrer Seite hin bereits im Wasser: „In der Nacht war sie gegen halb drei gesprengt worden.“ In diesen Tagen lebten die Menschen ohne Strom, ohne Radiomeldungen und Zeitungen und auch das Brotbacken sei nicht möglich gewesen.
„Wir sind uns immer noch im Unklaren, wie die Fronten verlaufen. Die Unsrigen sollen von Dumberg bei Altendorf herüberschießen. Auf den Höhen von Überruhr und Byfang soll eine hart kämpfende Truppe stehen“, lautet ein Eintrag am 15. April. Eine Woche später dann die Nachricht: „Nach langer Zeit hören wir wieder das Läuten unserer Glocken. Zuerst wurden sie auf der Marienkirche im Rott geläutet.“
Dann das Kriegsende und auch Randbemerkungen wie die, dass die Bauern Kaldemorgen, Krampe und Knab ihr Vieh eingebüßt haben, da sie es nicht mit Mistgabeln gegen bewaffnete Soldaten zu verteidigen. Andere haben kaum noch Kleider und Wäsche. Die Russen hätten sich wohl ausstatten wollen, mutmaßt der Pfarrer. „Immer hört man es wieder, dass deutsche Soldaten in den besetzten Gebieten es nicht anders getrieben hätten.“ Schließlich habe Churchill die bedingungslose Kapitulation verkündet, „Parade fliegen wohl die Viermotorigen den ganzen Tag über uns“, schreibt Paul Bever und meint über Steele, Freisenbruch und Horst.