Essen-Rüttenscheid. Frauen mit Magersucht, Bulimie oder Binge-Eating finden in Rüttenscheid jetzt eine weitere Anlaufstelle. Worum es bei der neuen Gruppe geht.

Die Gründe, wieso Frauen in eine Essstörung rutschen, sind vielseitig. In der Rüttenscheider Frauenberatungsstelle Distel e.V. gibt es für Betroffene von Magersucht, Bulimie, Binge-Eating jetzt ein neues Gruppenangebot: eine kunst- und gestaltungstherapeutisch angeleitete Gruppe. Die Treffen unter Leitung der Ergotherapeutin und Kunsttherapeutin Eva Hohmann (68) sollen Betroffenen einen Raum bieten, um sich auszutauschen und sich gegenseitig in der Alltagsbewältigung zu unterstützen.

Hohmann leitet bereits eine ähnliche Gruppe in Düsseldorf. Ihrer Erfahrung nach ist der Beratungsbedarf zum Thema Essstörungen seit der Corona-Pandemie gestiegen. „Ob es wirklich mehr Essstörungen gibt oder ob sich einfach mehr Frauen trauen, sich Hilfe zu suchen, kann ich nicht sagen“, so die Therapeutin. In jedem Fall geben ihr die Zahlen recht. So kam eine Analyse aktueller Krankenhausdaten für den „DAK Kinder- und Jugendreport 2022“ zum Ergebnis, dass im Vergleich zu 2019 im vergangenen Jahr 40 Prozent mehr Jugendliche mit Essstörung stationär behandelt wurden.

Kunsttherapeutin: Essstörung ist meist Symptom tieferliegender Probleme

Hohmann hat zudem die Beobachtung gemacht, dass das Altersspektrum der Frauen, die sich Hilfe suchen, breiter wird. „Es kommen junge Mädchen von zwölf bis 13 Jahren“, berichtet sie, „aber auch ältere Frauen über 60, die schon ihr ganzes Leben lang mit der Essstörung zu kämpfen haben.“ Dabei sei die Krankheit fast immer das Symptom tieferliegender Probleme.

Einfach malen, ohne Leistungsdruck und Perfektionsstreben: Das ist das Ziel der neuen Gruppe für essgestörte Frauen in Essen-Rüttenscheid.
Einfach malen, ohne Leistungsdruck und Perfektionsstreben: Das ist das Ziel der neuen Gruppe für essgestörte Frauen in Essen-Rüttenscheid. © FUNKE Foto Services | Janina Abendroth

„Überdurchschnittlich viele der Frauen haben Missbrauchserfahrungen gemacht“, erklärt die Therapeutin zum Beispiel. Aber auch Leistungsdruck und die gesellschaftlichen Erwartungen, die vor allem Frauen zu spüren bekommen, könnten in eine Essstörung münden: Kinder kriegen, Karriere machen, den Haushalt schmeißen und gleichzeitig gut aussehen – dieser Perfektionismus könne krank machen. Einige verbieten sich das Essen und rutschen in die Magersucht, andere reagieren mit exzessivem, übermäßigem Essen. „Dabei sind Ursachen oft ähnlich“, weiß Rosa Weinreich (34), psychologische Psychotherapeutin und Beraterin bei der Frauenberatungsstelle Distel e.V.

Neue Gruppe in Rüttenscheid soll helfen, Zugang zu den eigenen Gefühlen zu finden

Die neue kunst- und gestaltungstherapeutisch angeleitete Gruppe soll die Kreativität der Frauen stärken und sie ihre Eigenmächtigkeit spüren lassen. „Ich kann etwas schaffen“, mit diesem Gefühl gehen die Frauen bestenfalls nach Hause. Dabei sei es aber ganz wichtig, jeglichen Leistungsanspruch beiseite lassen, erklärt Rosa Weinreich: „Es geht nicht darum, ein perfektes Bild zu malen, sondern sich in Farben und Formen auszuprobieren.“

Rosa Weinreich von der Rüttenscheider Frauenberatungsstelle Distel e.V. sagt: „Beratung zum Thema Essstörungen ist für uns ein fundamentaler Bestandteil unserer Arbeit.“
Rosa Weinreich von der Rüttenscheider Frauenberatungsstelle Distel e.V. sagt: „Beratung zum Thema Essstörungen ist für uns ein fundamentaler Bestandteil unserer Arbeit.“ © FUNKE Foto Services | Janina Abendroth

Außerdem, ergänzt Hohmann, seien die Frauen untereinander meist sehr unterstützend. Das erlebe sie immer wieder in ihrer anderen Gruppe: „Es fällt ihnen schwer, die positiven Dinge an sich selbst zu sehen. Bei anderen fällt es ihnen aber ganz leicht.“ Und nicht zuletzt könne das künstlerische Gestalten helfen, leichter Zugang zu den eigenen Gefühlen zu finden.

Rüttenscheider Frauenberatung bietet offene Sprechstunde an

Eine beispielhafte Stunde könnte folgendermaßen ablaufen: Zu Beginn tauschen sich die Teilnehmerinnen darüber aus, was sie gerade beschäftigt – zum Beispiel die quälende Selbstkritik. Anschließend malen sie mit Farben, mit Wachsstiften oder Pastellkreide, abstrakt oder konkret, das, was sie gerade als destruktiv empfinden. Anschließend tauschen sie ihre Blätter und jede malt für die Nachbarin ein positives, unterstützendes Motiv. Bei den Gruppentreffen gehe es zudem darum, mit Gleichgesinnten Spaß zu haben und sich auszutauschen, sagt Eva Hohmann. „Die Essstörung muss nicht thematisiert werden. Häufig wird sie das auch gar nicht.“

Gruppe trifft sich immer donnerstags

Die Gruppe trifft sich immer 14-tägig, donnerstags von 18 bis 20 Uhr. Sie ist offen für Frauen mit Essstörungen jeglicher Art (Anorexie, Bulimie, Binge-Eating). Bei von Anorexie-Betroffenen ist ein BMI von mindestens 16 Voraussetzung für die Teilnahme.

Vor der ersten Teilnahme findet ein Vorgespräch zum Kennenlernen statt. Ziel ist es, dass die Teilnehmerinnen regelmäßig zu den Gruppentreffen kommen.

Pro Gruppentermin wird ein Beitrag von 25 Euro erhoben, Materialkosten sind darin enthalten. Eine Ermäßigung ist möglich, Anmeldung und Fragen per E-Mail an gruppe.hohmann@dika.net. Mehr Informationen gibt es online unter www.distel-ev.de.

Auch abseits der neuen Gruppe bietet die Frauenberatungsstelle Distel e.V. eine Beratung zum Thema Essstörung an. „Das ist für uns ein fundamentaler Bestandteil unserer Arbeit“, sagt Rosa Weinreich. Jeden Montag gibt es von 15 bis 16 Uhr eine kostenlose, offene Sprechstunde, für die man sich unter 0201 776777 oder per E-Mail an info@distel-ev.de anmelden. Dort gibt es zum Beispiel Beratung zu verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten und zu der Frage, ob Gruppentherapie, Psychotherapie oder auch ein Klinikaufenthalt sinnvoll sein können.