Essen-Heisingen. Warum ein entscheidendes Stück Nazi-Geschichte in Essen-Heisingen nicht richtig aufgearbeitet ist. Und was die Buslinie 153 damit zu tun hat.
Die Umbenennung der Ruhrbahn-Haltestelle „Tengelmann-Ring“ in Heisingen ist längst beschlossene Sache. Doch die Umsetzung lässt auf sich warten. Ohnehin handelt es sich bei der Maßnahme eigentlich um einen Kompromiss, denn eine Umbenennung des nahen Ernst-Tengelmann-Rings ist nicht geplant. Zumindest vorerst.
Auf dem Tisch liegt das Thema tatsächlich bereits seit Herbst 2021: Damals hatte ein von den Grünen im Bezirk VIII in Auftrag gegebenes Gutachten der Ruhr-Universität Bochum die NS-Vergangenheit Ernst Tengelmanns detailliert aufgearbeitet. Tengelmann hatte unter anderem als Wehrwirtschaftsführer und damit als rechte Hand des verurteilten Kriegsverbrechers Friedrich Flick agiert. Der Gutachter empfahl mit Blick auf Belange der Anrainer jedoch auch, „den eigentlichen Straßennamen zu belassen und erläuternde Informationstafeln im Umfeld aufzustellen, um eine umfassende Einordnung von Namensgebungsprozess und Person möglich zu machen“.
Umbenennung in „Soniusweg“ ist beschlossen
Eine derartige historische Einordnung allerdings ist bei einer Haltestelle, die den Namen unkommentiert weitergibt, nicht möglich. Im Mai vergangenen Jahres sprach sich die Bezirksvertretung VIII daher einvernehmlich für eine Umbenennung der Haltestelle in „Soniusweg“ zum Fahrplanwechsel im Juni aus. Doch den gab es nicht. Daher, so erläutert Ruhrbahn-Sprecherin Simone Klose, „wurde die Umsetzung verschoben und soll jetzt zum nächsten Fahrplanwechsel 2023 erfolgen“.
Konfliktfreudiger Abt als neuer Namensgeber
In ihrem Beschlussvorschlag für die Bezirksvertretung VIII hatte die Verwaltung im Mai 2022 auch darauf hingewiesen, dass die Bezeichnung der Haltestelle „nicht den aktuellen VRR-Richtlinien für Haltestellen-Namen entspricht“, weil der Ernst-Tengelmann-Ring mit 400 Metern zu weit vom eigentlichen Haltepunkt entfernt ist. Besser geeignet - auch historisch gesehen - ist die unmittelbar angrenzende Stichstraße: der Soniusweg. Anselm Sonius, ein durchaus konfliktfreudiger Abt des Klosters Werden, lebte im 18. Jahrhundert, und hielt sich regelmäßig über längere Zeit in Haus Heisingen auf.
Wann genau das der Fall sein wird, ließ Klose offen: „Den genauen Termin kennen wir noch nicht, es wird jedoch im Sommer sein.“ Aktuell würden weitere Umbenennungsanträge gesammelt, um diese gemeinsam umsetzen und damit „die Kosten in einer Aktion zu reduzieren“. Klose: „Die anderen Umbenennungen sind in der politischen Beratung noch nicht abgeschlossen, so dass wir aktuell dazu keine Auskunft geben können. Wir sind hier noch in der Planungsphase.“
Großer Aufwand und Kosten für die Ruhrbahn
Änderungen gebe es in erster Linie, „wenn sich Ziele ändern, die sich im Haltestellennamen wiederfinden, also zum Beispiel bei Krankenhäusern oder Einrichtungen von lokalem Interesse“. Aber eben auch, „wenn es Wünsche durch Dritte gibt, die wir erst überprüfen und abstimmen müssen“.
Dabei ist eine Umbenennung grundsätzlich mit einigem Aufwand verbunden: „Hierfür müssen nicht nur die Haltestellenfahnen an den Masten vor Ort geändert, sondern auch alle Fahrgastinformationen und die Versorgung der Fahrzeuge mit neuen Haltestellennamen in den IT-Systemen erfolgen.“ Wie hoch die Kosten der gesamten Umsetzung in diesem Sommer, einschließlich der Umbenennung des Tengelmann-Rings, schlussendlich ausfallen, lasse sich „aktuell noch nicht beziffern“.
Provisorische Infotafeln wurden entfernt
Jan-Karsten Meier, Grünen-Ratsherr und Fraktionsvorsitzender in der BV VIII, hatte die Diskussion mit Beauftragung des Gutachtens angestoßen – und bedauert die Verzögerung: „Leider sah sich die Ruhrbahn nun seit über einem Jahr nicht zur Umbenennung der Haltestelle in der Lage, so dass circa 40-mal täglich der Name eines führenden Nazi-Finanziers unwidersprochen durch die Lautsprecheranlage der Busse der Linie 153 schallt.“
Meier hat daher schon frühzeitig selbst die Initiative ergriffen – und 2021 eigene Informationstafeln an zwei öffentlich zugänglichen Straßenschildern am Ernst-Tengelmann-Ring und an der Haltestelle angebracht. „Das Schild an der Haltestelle gibt es nach wie vor; die Zusätze an den Straßenschildern wurden entfernt und waren auch nach einer Erneuerung 2022 nach acht bis zehn Tagen schon wieder verschwunden, obwohl man dafür eigentlich schon eine Leiter braucht.“
Veranstaltung im Februar
Auf die Provisorien indes sollen wie im Gutachten empfohlen feste Informationstafeln folgen. Meier: „Wir sind da bereits im Austausch mit der Bürgerschaft Heisingen, die im Ort ja bereits einige Tafeln zu anderen Themen installiert hat.“ An diesen sollen sich die geplanten Hinweistafeln am Ernst-Tengelmann-Ring optisch orientieren. Gemeinsame Gespräche dazu habe es bereits vor Weihnachten gegeben; angepeilt ist eine Umsetzung bis zum Sommer. „Zuvor müssen wir aber noch Gespräche mit den Grundstückseigentümern führen, und natürlich wird auch die Bezirksvertretung beteiligt.“
Das Thema weiter publik machen wollen Bürgerschaft und Grüne allerdings bereits im Februar – und zwar unmittelbar vor Ort und im Bereich der Haltestelle. Der Anlass: Der 90. Jahrestag eines Delegationsbesuchs von Tengelmann und weiteren „Ruhrbaronen“ bei Adolf Hitler. „Damals wurden Spendenzusagen in Millionenhöhe gemacht, die der NSDAP 1933 letztlich erst den Wahlkampf ermöglicht haben.“
Die Bereitschaft, eine Umbenennung auch des Ernst-Tengelmann-Rings auf ausdrücklichen Wunsch der Anwohner zu unterstützen, hatten die Grünen bereits im Herbst vor zwei Jahren signalisiert.