Essen. Die Essener Polizei verstärkt den Kampf gegen den Handel mit harten Drogen in der Innenstadt. Ein erfahrener Zivilfahnder spricht über seinen Job.
In der Essener Innenstadt blüht das schmutzige Geschäft mit der harten Droge. In dem geschäftigen Quartier zwischen Schützenbahn, Porschekanzel, Marktkirche und Flachsmarkt – in Parkhäusern, auf U-Bahn-Rolltreppen, ja, sogar mitten in der glitzernden Geschäftswelt – hat sich ein kriminelles Paralleluniversum etabliert, in dem sich alles um den Handel von Kokain, Heroin und anderen Drogen dreht.
Der Eindruck, die Essener Polizei schaue dem von der westafrikanischen „Guinea-Connection“ dominierten Straßenhandel machtlos zu, täuscht. Doch die jüngsten Ermittlungserfolge sind nur ein Etappensieg. Ein Zivilfahnder der Essener Polizei, der schon seit Jahren an vorderster Front gegen die Rauschgiftkriminalität kämpft, gewährt Einblicke in seinen aufreibenden Job.
„Bunker-Wohnung“ im Südostviertel: Drogen, Bargeld und Handys
Als Beamte des zivilen Einsatztrupps die Wohnung der mutmaßlichen Drogenhändler in der Elisenstraße (Südostviertel) am 15. November hochnehmen, wird ihre intensive Ermittlungsarbeit reichlich belohnt: Sie stellen ein Kilo harter Drogen sicher, einen vierstelligen Bargeldbetrag und zahlreiche Handys. Zwei Männer mit guineischem Pass, 26 und 33 Jahre alt, werden festgenommen. Der Jüngere könnte der mutmaßliche Kopf sein, der beim schwunghaften Drogenhandel am Fuße des Rathauses die Fäden zieht.
Er soll einen Trupp aus Straßendealern schon seit längerer Zeit mit Stoff beliefert haben. Die so genannten „Ticker“ stehen in der hierarchisch organisierten Guinea-Mafia ganz unten: Sie verdienen am wenigsten, tragen aber das höchste Risiko, erwischt zu werden. Als Verteiler hat der 26-Jährige eine wichtige Position im lokalen Markt, ein „dicker Fisch“, um im Krimi-Jargon zu bleiben, sei er trotzdem nicht, heißt es.
Den Älteren, einen gelähmten Mann, überraschen die Fahnder in der Wohnung Elisenstraße auf frischer Tat: Er ist gerade dabei, Kokain oder Heroin zu kleinen, bunten Plastikkügelchen zu verpacken. Jede einzelne Konsumeinheit – „Bubble“ genannt – enthält 0,2 Gramm Rauschgift: das Standard-Format.
Ein Kilo harte Drogen ergeben rund 25.000 Euro Reingewinn pro Woche
„Bunker-Wohnungen“ wie die jetzt aufgeflogene dienen lediglich einem einzigen Zweck: möglichst viele Drogen in den lukrativen Essener Markt zu pumpen. Es sind spärlich eingerichtete Appartements, in denen meistens niemand übernachtet. Selbstverständlich verhalten sich die Dealer derart unauffällig, dass die Nachbarn keinerlei Verdacht schöpfen. Das Haus in der Elisenstraße, so heißt es, mache einen gepflegten Eindruck.
Wie lukrativ das Drogengeschäft für den Verteiler ist, zeigt folgende Kalkulation: Ein Kilogramm harte Drogen ergibt 5000 Bubbles zu je 0,2 Gramm mit einem Straßenverkaufswert von rund 50.000 Euro. Rund die Hälfte, so die Faustregel, also 25.000 Euro, könne der Dealer auf der zweituntersten Hierarchie-Ebene als Reingewinn einstreichen – und das pro Woche. Ein Betrag, für den viele Erwerbstätige ein ganzes Jahr und mehr schuften müssen.
Warum der sichergestellte Koffer fast einen Zentner Münzgeld enthält
Dass der mit Münzgeld sichergestellte Koffer fast so schwer ist wie zwei Zementsäcke, überrascht den Zivilfahnder, einen studierten Kriminologen mit Masterabschluss, nicht. „Es ist das Geld, das sich die Drogenkonsumenten in den Essener Fußgängerzonen erbettelt haben, um wieder flüssig zu sein.“ Zehn Euro kostet ein 0,2-Gramm-Bubble. „Die meisten kaufen Kokain“, fügt der Polizeibeamte hinzu, „und sie betteln so lange, bis sie die zehn Euro zusammenhaben.“
Weit kommen sie mit einem „Bubble“ freilich nicht. Wer „koksfest“ sei – das Pendant zu trinkfest –, könne den Rausch höchstens eine Stunde lang erleben. Dann sei schon der nächsten Bubble fällig. Also wieder Betteln. Oder Klauen.
Warum Kioske auf der Viehofer Shampoos, Parfüms und Rasierklingen verkaufen
Wer sich das Warensortiment in Kiosken der Umgebung genauer anschaut, dem fällt auf, dass in diesen Gemischtwarenläden weitaus mehr angeboten wird als nur Zigaretten und Zeitungen. Zum Beispiel Rasierklingen, Parfüm, Shampoos. Die Fahnder sind davon überzeugt, dass hier Hehlerware verhökert wird. Dass die Tafel Schokolade vorher irgendwo bei Edeka im Regal gelegen hat und dass das Eau de Toilette bei „dm“ geklaut wurde. Junkies, die in schickeren Parfümerien wie Douglas und Pieper strenger observiert werden, knibbeln deshalb nur die Etiketten vom Chanel-Parfüm, kleben sie aufs geklaute Billig-Parfüm von KiK und hoffen, wenigstens noch den Hehler im Kiosk austricksen zu können.
Strategisch günstig: Busse und U-Bahnen in direkter Nähe
Aufmerksame Passanten in der Innenstadt wie Frank von Pigage aus dem Südostviertel erkennen auf Anhieb, wenn Drogen bei einem anscheinend harmlosen Handschlag den Besitzer wechseln. „Es passiert in der Zwischenebene der Ruhrbahn oder in der Rathaus-Galerie“, berichtet der Essener, und zückt das Handy, das die Drogenkriminalität anhand zahlreicher Beweisfotos eindrucksvoll dokumentiert. Ein anderes zeigt Junkies, die nachts im Parkhaus den nächsten Schuss vorbereiten.
Vor einigen Jahren konzentrierte sich die Essener Drogenszene noch am Rheinischen Platz. Seitdem die Polizei das Terrain dort aber systematisch mit Videokameras überwacht, hat sich die Szene Zug um Zug bis zur Porschekanzel und darüber hinaus verlagert. Für den Einzelhandel ist dies 1a-Lage – und für die Dealer offenbar auch. Dass das Umfeld der Rathaus-Galerie zum Drogen-Hotspot geworden ist, liegt auch an der exzellenten Verkehrsanbindung. „Die Lage ist für Dealer wie für Konsumenten strategisch günstig“, urteilt der Fahnder. Am U-Bahnhof Rathaus halten nahezu alle Tram- und oben an der Schützenbahn etliche Buslinien.
Die Männer des Sicherheitsdienstes in der Rathaus-Galerie haben reichlich zu tun, um Rauschgiftsüchtige und Dealer aus dem Einkaufszentrum herauszuhalten. Doch oft ist es ein Katz-und-Maus-Spiel. Der große Unterschied zur Polizei: Die Issa-Leute haben nur Hausrecht, aber kein Gewaltmonopol. Frank von Pigage berichtet, dass Parkhauswächter mitunter mehrmals am Tag Junkies verscheuchen würden.
Essener Polizei reagiert auf Beschwerden: Strategische Fahndung läuft seit Oktober
Seit sich Kaufleute, Kunden und Anwohner verstärkt über die Drogenkriminalität in der Essener Innenstadt ärgern, legt die Essener Polizei eine resolutere Gangart an den Tag. „Strategische Fahndung“ nennt sich das neue Konzept, das schon seit Anfang Oktober verfolgt wird. Das heißt: In einem exakt festgelegten Quartier können Polizeibeamte verdächtige Personen anlasslos kontrollieren, durchsuchen und ihre Personalien feststellen. „Die Strategische Fahndung schafft erhebliche Rechtssicherheit, außerdem werden unsere Kräfte verstärkt, etwa durch Beamte der Bereitschaftspolizei“, so der Zivilfahnder.
Mehr noch: Seitdem der Kontrolldruck zunehme, werde der Drogenhandel zunehmend aus dem Quartier um die Rathaus-Galerie herausgedrängt. Dem Vernehmen nach geht’s in Richtung Huttrop.
Kampf gegen die Drogenkriminalität heißt dicke Bretter bohren
Solange Menschen den Drogenrausch brauchen, müssen Polizisten im Kampf gegen Rauschgiftkriminalität dicke Bretter bohren. Wie eng Erfolg und Frust zusammenliegen, zeigt ein Vorfall am Willy-Brandt-Platz, wo der Zivilfahnder einen mutmaßlichen westafrikanischen Drogendealer im Visier hat. Bei der Festnahme bringt er den Mann zu Boden, doch dieser widersetzt sich hartnäckig. Nach Darstellung des Ermittlers hält er sogar absichtlich die Luft an. Ein Schwarzer auf dem Boden liegend, darüber ein kniender Polizist: Empörte Passanten fühlen sich an den Fall des US-Amerikaners Georg Floyd erinnert, der an den Folgen von Polizeigewalt starb. Die Leute protestieren, aber der Fahnder bleibt hart.
Weil es dem Festgenommenen nicht mehr gelingt, die 30 bis 40 Bubbles, die er im Mundraum aufbewahrt hat, runterzuschlucken und im Magen zu verstecken, muss er das Rauschgift ähnlich einer Popcorn-Maschine langsam ausspucken.
Der Mann hat bereits graue Haare, der Polizist schätzt ihn auf fünfzig. Aber laut Ausweis ist er gerade einmal 24. Den Asylbewerber nach Guinea abzuschieben, ist überhaupt kein Thema. Für die Justiz ist er sehr wahrscheinlich als Ersttäter zu behandeln, dann wäre mit einer Anklage frühestens in einem Jahr zu rechnen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass er gute Chancen besitzt, mit einer Bewährungsstrafe davon zu kommen und die Drogengeschäfte fortsetzen zu können. Ein Indiz dafür, dass er offenbar ungeniert weitermacht: Vor wenigen Tagen entdeckt der Zivilfahnder den Mann erneut in der Essener Innenstadt.
Drogenfahnder im Ruhrgebiet beklagen deshalb immer wieder ein Urteilsgefälle in Deutschland. Während die bayerische Justiz das Strafmaß bei Drogendelikten voll ausreize, bewege sich die Justiz an Rhein und Ruhr am unteren Ende. Je höher das Kriminalitätsgeschehen, so eine Studie, desto milder die Urteile. Eine Praxis, die viele Fahnder verbittert und sarkastisch macht.
Aktuell haben die Essener Drogenfahnder einen guten Lauf. Vor wenigen Tagen nahmen zivile Einsatzkräfte wieder einen mutmaßlichen Dealer (29) aus Guinea fest – in einer Wohnung in der Overbergstraße (Nordviertel) stellten sie 200 Gramm Heroin und mehrere Tausend Euro Bargeld sicher.
Junkie – von englisch „junk“ = Abfall, Dreck – ist ein abfälliger Begriff. Heroinabhängig zu sein, Krank, Beschaffungskriminalität. Teufelskreis aus Sucht, Substitution und Kriminalität. Wer immer wieder straffällig wird, unter Bewährung steht und beim Schwarzfahren erwischt wird, landet wieder hinter Gittern.