Essen. Mit dem Millionen-Investment eines Anlage-Fonds will „ruhrfibre“ 153.000 Haushalte mit dem Glasfasernetz verweben: ein Vorbild für andere Städte.

Hin und wieder bekommen sie bei „ruhrfibre“ jetzt schon Post: Wann sie denn nun Wirklichkeit wird, die ruckelfreie Internet-Welt in Essen, die da vor ein paar Monaten versprochen wurde. Und, naja, wann denn das eigene Haus in der Soundso-Straße ans geplante Glasfasernetz anknüpfen darf? Bislang wurde dann stets vertröstet, aber jetzt ist das Unternehmen gegründet, der Geldgeber unter Vertrag, die Genehmigung der Bezirksregierung eingeholt, die Stadt in den Startlöchern: Es geht los.

„Ein großer Tag“, findet Christopher Rautenberg, aber zur Präsentation, für die der Oberbürgermeister an diesem Donnerstag in die 22. Rathaus-Etage lädt, hat man sich Sekt und Schnittchen lieber gespart. Stattdessen preisen hier alle den Fortschritt, wenn in 17 sorgfältig ausgesuchten Ausbaugebieten der Stadt die Datenpäckchen demnächst per Lichtgeschwindigkeit durch die Leitungen strömen. Und freuen sich, dass sie haben Wort halten können, was ja bei all den Versprechungen über den digitalen Wandel keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist: „Wir wissen alle“, sagt „ruhrfibre“-Mitgründer Arndt Rautenberg, „wie viel schon erzählt worden ist“.

Bis auf ein paar Ausbau-Kilometer nur Millionenverluste produziert

Den Schuh darf sich anziehen wer will: Die Konkurrenz in der Telekom-Branche, die in Essen wie anderswo seit Jahren paradiesische Zustände ankündigt, aber (noch) nicht so richtig aus den Puschen kommt. Aber auch die Stadt, die vor 13 Jahren auszog, ein kommunales Glasfaser-Netz zu stricken und bis auf ein paar Ausbau-Kilometer nur Millionenverluste produzierte.

Mit anderen Bauprojekten nicht vergleichbar

Gleich reihenweise werden derzeit Bauprojekte etwa im Wohnungsbau auf die lange Bank geschoben oder gleich ganz abgesagt.

Ein ähnlicher Bremseffekt sei für die Glasfaser-Pläne in Essen aber nicht zu befürchten, dies betonen alle Beteiligten.

Selbst deutlich gestiegene Kapitalmarkt-Zinsen – immerhin soll die Hälfte des Investments über Kredite finanziert werden – würden das Vorhaben nicht gefährden, so Marcel Beverungen von DIF Capital Partners.

Ein Problem damals: Der fehlende lange Atem, auch finanziell, der für das Essener Glasfaser-Projekt anno 2022 von einem international agierenden Infrastruktur-Investor kommt: DIF Capital Partners verwaltet ein mehr als 14 Milliarden Euro schweres Vermögen verschiedener Pensionsfonds, Versicherungen oder anderer institutioneller Anleger, um es langfristig und gewinnbringend vor allem in nachhaltigen Projekten zu investieren: erneuerbare Energien, aber eben auch Glasfaser-Netze, von Finnland bis Kanada.

Plötzlich ist auch die Konkurrenz bemüht, in Essen größer einzusteigen

Und jetzt: Essen. Für Marcel Beverungen, Leiter von DIF Capital Partners Deutschland, alles andere als unbekanntes Terrain: Aufgewachsen in Gelsenkirchen kennt er die Verhältnisse im Revier und sieht in dem gewaltigen Vorhaben, binnen weniger Jahre weite Teile Essens in ein Glasfaser-Netz einzuweben, eine lukrative Anlage. Nicht weniger als 90 Millionen Euro will DIF Capital Partners locker machen, das soll zusammen mit Bankkrediten in gleicher Höhe reichen, um binnen drei Jahren etwa 153.000 der gut 330.000 Haushalte zwischen Karnap und Kettwig die Glasfaser zumindest ins Haus zu legen.

Welcher Stadtteil als erstes an der Reihe ist, wer 2023 folgt und in den zwei darauffolgenden Jahren, da hält man sich bei „ruhrfibre“ noch bedeckt. Zum einen, weil man nicht allzu große Erwartungen wecken will, bevor die Vermarktung auch losgehen kann. Zum anderen auch mit Rücksicht auf die Konkurrenz, die angesichts der verabredeten Kooperation zwischen der Stadt Essen und den Mittelständlern plötzlich emsig bemüht ist, in Essen größer einzusteigen.

Nur sechs Prozent der Essener Privathaushalte verfügen über schnelles Internet

Sehr zum Gefallen von Thomas Kufen: „Wir wollen den Wettbewerb“, sagt der Oberbürgermeister, denn profitieren würden am Ende die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt. Die landet in Statistiken über die Zukunftsfähigkeit der Region zumindest in diesem Punkt eher unter „ferner liefen“: Nur sechs Prozent der Essener Privathaushalte und etwa acht Prozent der gewerblichen Nutzer verfügen über schnelles Internet.

Kaum hatte die Stadt ihre Kooperation beim „ruhrfibre“-Projekt angekündigt, präsentierte die Deutsche Telekom mit einem Zollverein-Doppelbock in leuchtendem Magenta neue ehrgiezige Ausbau-Zahlen für ihr Essener Glasfaser-Netz. Dem Vernehmen nach will man in einigen Wochen mehr dazu preisgeben.
Kaum hatte die Stadt ihre Kooperation beim „ruhrfibre“-Projekt angekündigt, präsentierte die Deutsche Telekom mit einem Zollverein-Doppelbock in leuchtendem Magenta neue ehrgiezige Ausbau-Zahlen für ihr Essener Glasfaser-Netz. Dem Vernehmen nach will man in einigen Wochen mehr dazu preisgeben. © wk

Dass es Ende 2025 mehr als 50 Prozent sein sollen, klingt da fast wie ein Märchen, folgt aber einem ausgeklügelten Plan: Wo immer möglich will man teure und zeitaufwendige Baustellen vermeiden, nutzt Leerrohr-Trassen, Abwasserkanäle oder U-Bahn-Schächte, durch die die Daten-Autobahn Kilometer um Kilometer wächst. Erlöse spielen dann jene Angebote ein, die diese Leitungen für Angebote aller Art nutzen. Die ersten Ausbau-Gebiete werden Anfang des Jahres bekanntgegeben, und auch einen Telekom-Anbieter hat man schon an der Hand: Auch dieser soll in wenigen Wochen präsentiert werden.

Essener „Pioniergeist“ mit überschaubarem finanziellem Einsatz

Und Essen soll nur der Anfang sein: eines dieser „Leuchtturm-Projekte“, die so oft beschworen werden, weshalb Arndt Rautenberg – selbst in Essen aufgewachsen – den „echten Pioniergeist“ der Stadtspitze lobt, die mit dem Engagement nicht weniger als ein „digitaler Vorreiter“ im Lande sei.

Das gefällt der Stadt schon vor allem deshalb, weil sie diesen Effekt – anders als bei der unseligen „essen.net“-Pleite – mit sehr überschaubarem Einsatz erzielt: Mit nur eine Million Euro ist die Stadt über ihre Versorgungs- und Verkehrs-Holding EVV mit im Boot der Netzgesellschaft „ruhrfibre“, erhält dafür aber 25,1 Prozent der Anteile und weitgehendes Mitspracherecht, was den Ausbau angeht. Die Partnerschaft bei „ruhrfibre“ bedeutet gleichwohl keine Absage an die Konkurrenz. Wenn die in ein paar Wochen ihrerseits eine Ausbau-Offensive ankündige, so OB Kufen, „dann gehe ich da auch hin“.