Essen. Konstantin Wecker hat ein neues Album: „Utopia“. Begeisterte Fans feiern den Liedermacher und seine pazifistische Haltung im Essener Konzerthaus.

„Ich singe, weil ich ein Lied hab`“ lautet der Titel der Jubiläumstour von Konstantin Wecker. Es ist zugleich ein Lied aus seiner frühen Schaffensphase zu Beginn der 1970er Jahre, das aber noch immer Gültigkeit hat, denn der freigeistige Liedermacher hat in der Tat noch immer etwas zu sagen. Dieser Meinung waren offensichtlich auch die knapp 700 begeisterten Fans, die in der Essener Philharmonie den 75-jährigen Musiker, Komponisten, Autor und Schauspieler nach rund zweieinhalbstündiger Konzertdauer mit Standing Ovations verabschiedeten.

Der einstige Kraftprotz der bajuwarischen Liedermacherszene ist grau geworden

Anders als viele Liedermacher, die sich mit pickenden Fingern auf Gitarrensaiten eher am Chanson oder Folk orientierten, gab Wecker in seiner Sturm- und Drangzeit den explosiven Berserker. Er knödelte mit gutturalem Wagner-Tenor seine Wut heraus und hieb dazu mitunter brachial auf die Tasten seines Flügels. Mit seinen Macho-Allüren war er in der Schwabinger Schicki-Micki-Bussi-Bohème ebenso zuhause wie in der links-sektiererischen Politszene, in der er mit seinem konsequenten Individualismus bei den Kadern jedoch immer wieder aneckte. Drogen-Exzesse mit Kokain ließen ihn dann in den 1990er Jahren längere Zeit verstummen.

Es ist müßig festzustellen, dass der einstige Kraftprotz der bajuwarischen Liedermacherszene physisch in die Jahre gekommen ist, graues Stoppelhaar an Kinn und auf dem Kopf. Weitgehend chronologisch sortiert, präsentiert Wecker eine Mischung aus eigenen Liedern, eigenen Gedichten sowie vertonten Gedichten wie beispielsweise „Schwimmen in Seen und Flüssen“ von Bertolt Brecht. Seinen musikalischen Rücken stärkt ihm dabei eine exzellente Band mit dem langjährigen und kongenialen Keyboarder Jo Barnikel, Norbert Nagel (Saxofone, Flöte, Klarinette), Fany Kammerlander (Cello, E-Bass, Bass-Ukulele) sowie Jürgen Spitska (Schlagzeug, Vibrafon), die gemeinsam, aber auch solistisch, immer wieder exzellente Musik-Höhepunkte beisteuern.

Erich Fried hat ihn inspiriert, Hanns Dieter Hüsch war sein Vorbild

Rückblickend wundert er sich, dass er trotz seines mitunter exzessiven Lebenswandels so alt geworden ist. Seine eigene Poesie habe ihn gerettet, gibt er an, nachdem ihm Trakl und Brecht durch die Pubertät geholfen haben. Ernst Bloch, Erich Fried hätten ihn inspiriert, Hanns Dieter Hüsch zählte zu seinem Vorbild, und so wird überdeutlich, in welcher literarischen Liga sich Wecker gänzlich unbescheiden wähnt.

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Inhaltlich geht es ihm wie in „Was mich wütend macht“ vom aktuellen Album „Utopia“ noch immer um seinen anarchistisch basierten Protest gegen jegliche Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismen. Allerdings klingt er nachsichtiger, bisweilen fast zärtlich, altersmilde würde er nicht hören wollen. Er übt den Schulterschluss mit John Lennon und dessen Imagine-Träumerei. Weckers Pazifismus empfiehlt, den Bruder, auch wenn er mit Bomben und Gewehren kommt, einfach zu umarmen. Würde Vladimir Putin seinen Krieg sofort stoppen, wenn Wolodymyr Selenskyj sich an Weckers Ratschlag halten würde?