Essen-Rüttenscheid. Drei Jahre lang organisierte Hermann Welp das beliebte Rüttenscheider Marktsingen. Jetzt hat ihm die GEMA eine Rechnung geschickt.

  • 2017 initiierte der Bäckermeister Hermann Welp das beliebte Marktsingen, um den Rüttenscheider Markt zu beleben. 2020 wurde das Format eingestellt.
  • Jetzt ist dem Veranstalter eine Rechnung der GEMA ins Haus geflattert: 90,20 Euro soll er bezahlen, weil sich unter den gesungenen Liedern ein geschütztes Werk befunden habe.
  • Für den Essener ist das unverständlich. Er fragt sich: Darf man in der Öffentlichkeit jetzt nicht mehr gemeinsam singen?

Als Hermann Welp vor kurzem einen Brief der Verwertungsgesellschaft GEMA im Postkasten fand, traute er seinen Augen nicht. Drei Jahre lang hatte er das Marktsingen auf dem Rüttenscheider Markt organisiert, eine beliebte Veranstaltung, die samstags regelmäßig viele Menschen zusammenbrachte. Jetzt soll er 90,20 Euro bezahlen, weil sich ein Lied unter den gesungenen Werken befunden habe, das die „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte“ als kostenpflichtig ansieht. Für den Bäckermeister ist das unverständlich.

Rückblick: Vor fünf Jahren initiierte Welp das Marktsingen. Mit seinem Stand „Welpino“, an dem er italienische Backwaren verkauft, steht er selbst zweimal pro Woche auf dem Rüttenscheider Platz. „Damals haben sich mehrere Händler gefragt, was man machen könnte, um den Markt interessanter zu machen“, erinnert er sich. Weil Welp zuvor den Marketing-Preis „Tacken“ gewonnen hatte, wendete man sich an ihn.

Zum Marktsingen in Rüttenscheid kamen prominente Gäste

In der Adventszeit hat er dann begonnen, samstags mit ein paar Mitstreitern auf dem Marktplatz Weihnachtslieder und das Steigerlied zu singen, sagt Welp: „Da sind sofort die Leute aus allen Gassen gekommen und haben mitgesungen.“ Das Marktsingen wurde zu einer echten Instanz. Regelmäßig lud Welp prominente Essener aus den Bereichen Politik, Kultur, Sport und Religion ein. So trällerten zum Beispiel Trainer-Legende Otto Rehhagel, Oberbürgermeister Thomas Kufen und Dirigent Helmut Imig mit. Auch Armin Laschet, zu diesem Zeitpunkt NRW-Ministerpräsident, kam vorbei – obwohl er nicht aus Essen stammt. Während des Corona-Lockdowns im Jahr 2020, als Singen im Chor untersagt war, wurde die Veranstaltung dann eingestellt.

Prominenz beim Rüttenscheider Marktsingen: 2017 war Otto Rehhagel zu Gast. (Archivbild)
Prominenz beim Rüttenscheider Marktsingen: 2017 war Otto Rehhagel zu Gast. (Archivbild) © FUNKE Foto Services | Knut Vahlensieck

Der Brief der GEMA erreichte Welp also mit einiger Verzögerung, eine falsche Adresse war der Grund. Nun ärgert sich der Bäcker: „Das Marktsingen war eine schöne Sache. Die Leute haben sich jeden Samstag getroffen, gerade Ältere sind so zu sozialen Kontakten gekommen.“ Außerdem habe man doch hauptsächlich alte Volkslieder und das Steigerlied gesungen, keine Musik vom Band abgespielt und keine Noten verteilt. Bedeute das, dass man in der Öffentlichkeit grundsätzlich nicht gemeinsam singen dürfe?

GEMA erklärt: Marktsingen in Rüttenscheid hatte klaren Veranstaltungscharakter

Auf Anfrage erklärt GEMA-Sprecherin Ursula Goebel, dass spontanes Singen in der Öffentlichkeit durchaus erlaubt sei. Sobald das Ganze aber einen Veranstaltungscharakter habe und lizensierte Lieder gesungen würden, müsse man der GEMA dies melden und eine sogenannte Setlist mit allen Liedern einreichen, damit die Tantiemen nutzungsbezogen verteilt werden können. Beim Marktsingen sei ein solcher Veranstaltungscharakter klar gegeben, sagt Goebel: „Es wurde immer zu einem bestimmten Termin eingeladen, es wurde aktiv geworben und das Marktsingen fand zur Belebung des Wochenmarktes, somit in einem kommerziellen Umfeld statt.“

Armin Laschet, damals noch NRW-Ministerpräsident, durfte 2018 beim Rüttenscheider Marktsingen trällern – obwohl eigentlich nur Essener als Gäste eingeladen wurden. Dass Laschets Vater Steiger war, überzeugte den Veranstalter aber. (Archivbild)
Armin Laschet, damals noch NRW-Ministerpräsident, durfte 2018 beim Rüttenscheider Marktsingen trällern – obwohl eigentlich nur Essener als Gäste eingeladen wurden. Dass Laschets Vater Steiger war, überzeugte den Veranstalter aber. (Archivbild) © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Grundsätzlich müsse man beispielsweise auch bei karitativen Veranstaltungen GEMA-Gebühren zahlen, wenn man dort Musik spiele. „Dazu ist die GEMA als Verwertungsgesellschaft verpflichtet, denn sie nimmt treuhänderisch die Musik-Urheberrechte ihrer Mitglieder wahr“, betont Goebel. In solchen Fällen könne es aber einen Nachlass geben.

Der konkrete Fall ist einigermaßen kompliziert. Eine Recherche der GEMA ergab: Sie hat für das Marktsingen eine Setlist erhalten, der sie die Wiedergabe eines geschützten Werkes entnehmen konnte. Um welches Lied es sich handelt, legt die GEMA nicht offen. Die Setlist wurde elektronisch ausgefüllt und enthält daher keine Unterschrift. „Wir gehen aber davon aus, dass der ausübende Künstler diese eingereicht hat – schon im Eigeninteresse, um seine Tantieme sicherzustellen“, so Goebel. Als musikalischen Leiter und alleinigen Interpreten während des Events führt die GEMA den Essener Komponisten Klaus Pelizaeus. So kam der Stein ins Rollen.

GEMA identifizierte Essener Komponisten als musikalischen Leiter

Die Krux: Sowohl Hermann Welp als auch Klaus Pelizaeus selbst bestätigen, dass letzterer nie beim Marktsingen aufgetreten ist, geschweige denn musikalischer Leiter der Veranstaltung war. Er habe mit dem Marktsingen gar nichts zu tun, erklärt Pelizaeus. Beide Männer haben allerdings eine Theorie: Aus Pelizaeus’ Feder stammen unter anderem die Sessionslieder der Essener Karnevalsprinzenpaare, die beim Marktsingen zu Gast waren. Möglich sei, dass entweder er selbst oder jemand anderes bei der GEMA Setlists für die vielen verschiedenen verschiedenen Auftritte der Prinzenpaare eingereicht habe, sagt der Komponist. Darunter falle dann auch das Marktsingen. Das alles sei aber im Nachhinein schwierig nachzuvollziehen, da die Prinzenpaare ja an die 100 Auftritte hätten.

Veranstalter sagt: Unter diesem Umständen kann Marktsingen nicht wieder aufleben

So oder so: Hermann Welp strebt keinen langen Rechtsstreit mit der GEMA an, er will die 90,20 Euro bezahlen. Unter diesen Bedingungen kann er sich jedoch nicht vorstellen, das Marktsingen wiederaufleben zu lassen: „Das kann ich ja gar nicht, wenn ich ständig damit rechnen muss, tief in die Tasche greifen zu müssen.“ Pelizaeus unterdessen hat der Vorfall auf den Plan gerufen. „Mir tut das sehr leid, so eine Veranstaltung gehört eigentlich gefördert“, sagt der Komponist und kündigt an, zwischen Welp und der GEMA zu vermitteln. So könne man sich vielleicht darauf einigen, dass beim Marktsingen nur kostenfrei verfügbare Lieder gesungen werden und die GEMA Welp dafür eine Art Freibrief gebe.