Essen. Baukosten von inzwischen geschätzt 230 Millionen Euro bringen das seit Jahren geplante Vorhaben zu Fall. Die Planungen gehen wieder von vorn los.

Zeitenwende allerorten: Corona und Krieg kippen alte Gewissheiten – und bringen auf Umwegen jetzt auch das größte und ehrgeizigste städtische Bau-Projekt der letzten Jahre zu Fall: das sogenannte „Bürgerrathaus“ auf dem Gelände des alten Hauptbades, gleich neben der Alten Synagoge. Weil Zinsen, Energie- und Baukosten in ungeahnte Höhen schnellen und die Wirtschaftlichkeit torpedieren, hat die Stadtspitze entschieden, das Vorhaben in seiner bisherigen Form aufzugeben. Statt eines 14-stöckigen Hochhauses samt vierstöckigem Sockel soll nun ein Büro-Campus entstehen. Alles wieder auf Anfang.

Jäher Stopp nach fünf Jahren Planung

Die ersten Planungen für das „Bürgerrathaus“ gehen bis ins Jahr 2017 zurück. Zugrunde lag dabei der Gedanke, das Gelände des aufgegebenen Hauptbades wegen seiner Lagegunst für eine mögliche öffentliche Anlaufstelle zu nutzen.

Aus einem Architektur-Wettbewerb ging 2018/2019 die Niederberghaus und Partner GmbH (agn) als Sieger hervor. Der Entwurf für ein 14-stöckiges Büro-Hochhaus samt vierstöckigem Sockel stieß jedoch vielerorts auf Kritik.

Im Sommer 2021 beschloss der Stadtrat einstimmig bei Stimmenthaltung der Gruppe Die PARTEI und der Gruppe Tierschutz den Bau und Baubeginn des „Bürgerrathauses“, in dem diverse Dienststellen der Stadtverwaltung gebündelt werden sollen.

Die Kosten wurden damals mit rund 161 Millionen Euro beziffert, mittlerweile kalkuliert man mit einer Summe von 230 Millionen Euro.

Nun ja, fast: Der im Mai gestartete Abriss der alten Bausubstanz, von Job-Center und altem Hauptbad an der Steeler Straße, soll planmäßig weitergehen. Am Ende steht in Kürze jene große Baugrube, in die man mit einem sturen Festhalten an den bisherigen „Bürgerrathaus“-Plänen allerdings nicht fallen wollte: 200 Millionen Euro waren intern als Obergrenze für die Kosten ausgegeben worden, doch schon nach den letzten Schätzungen lag das Projekt bei einem Kostenrahmen von 230 Millionen – mit dem Risiko, dass bei einem späteren Bau auch diese Zahlen aus den Fugen geraten.

In der Politik hatten viele längst kalte Füße bekommen: zu viele Fragezeichen

Darum soll der Stadtrat an diesem Mittwoch (28. September) den Schlussstrich unter die jahrelangen Planungen ziehen und den Weg für ein neues Konzept freimachen. Der Termin scheint gut gewählt, denn in gleicher Sitzung stellt die Stadtspitze den neuen Haushalt der Stadt Essen vor: ein auf Kante genähtes Zahlenwerk, das keine finanzielle Eskapaden zulässt, erst recht keine, in die man sehenden Auges hineinstolpert.

Nennenswerter Widerstand aus der Politik ist im Stadtparlament deshalb wohl nicht zu erwarten, im Gegenteil. Auch jenseits des Essener Bürger Bündnisses, das die Pläne am deutlichsten kritisierte, hatten manche Ratsvertreter längst kalte Füße bekommen, weil das Megaprojekt ihnen von Grund auf nicht geheuer war: zu umstritten der architektonische Entwurf, zu gewagt die Kalkulation, ja, selbst hinter die Grundannahmen für den Bedarf an städtischem Büroraum setzten viele ein Fragezeichen, wo doch ein paar Klicks im Internet manchen Amtsgang ablösen und die analoge Corona-Pandemie der Arbeit im Homeoffice einen wahren Schub beschert.

Auch die nach oben geschraubte „Desk-Sharing“-Quote rettete das Vorhaben nicht

„In der durch die Pandemie ausgelösten Lage wurden digitale Möglichkeiten des Arbeitens in bislang unbekanntem Ausmaß genutzt“, notiert auch die Stadt. Das eröffnete zunächst die Chance, beim sogenannten „Desk-Sharing“ noch einmal nachzujustieren: Dieses Modell, bei dem mit Blick auf Fehlzeiten durch Urlaub, Krankheit oder Fortbildung ein Großteil der Belegschaft keinen festen Schreibtisch mehr besitzt, eröffnete schon bisher die Chance, auf geduldigem Papier etwa 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr im neuen Gebäude arbeiten zu lassen, als es dort Schreibtische gab.

Die Korrektur der Abwesenheits-Quote gab die Gelegenheit, noch einmal 250 Personen mehr unterzubringen, und dennoch geht die Wirtschaftlichkeit flöten. Dies zeigen Berechnungen der städtischen Grundstücksverwaltung GVE, die das Projekt unter ihren Fittichen hat.

Vom „Bürgerrathaus“ zum „Verwaltungscampus Steeler Tor“ als Vorzeigeprojekt

In Zahlen: Wo im vergangenen Jahr noch ein finanzieller Vorteil von 14,7 Millionen Euro stand, wenn man diverse städtische Dienststellen in einem „Bürgerrathaus“ bündelt, steht plötzlich ein tiefroter Betrag von gut 107 Millionen Euro. Als Ursache für diese dramatische Wirtschaftlichkeits-Wende gilt neben den ausufernden Baukosten vor allem der dramatisch gestiegene Aufwand für Zinsen des kreditfinanzierten Projekts.

Und doch: Wegen seiner günstigen Lage will die Stadt das Vorhaben, hier eine Anlaufstelle für die Bürgerschaft zu schaffen, nicht endgültig aufgeben. Was immer da folgt: Kleiner, ökologischer, nachhaltiger und digitaler soll das Vorhaben sein. Am liebsten ein ökologisches „Vorzeigeprojekt“, wie es heißt, errichtet in Bauabschnitten und mit historischen Anklängen getauft auf den Namen „Verwaltungscampus Steeler Tor“.

Die Kosten sollen dabei auf die bisher schon durchgewinkten 200 Millionen Euro gedeckelt werden. Wieviel man dafür in Wendezeiten bauen kann, soll sich Anfang kommenden Jahres zeigen.