Essen. Der Sommer der Leichtigkeit scheint vorbei: Obwohl die Stadt noch über 500 freie Asyl-Plätze verfügt, wachsen vor dem Winter die Bedenken.

Alles im Griff – das war, in eine kurze Formel gepresst, über viele Monate Essens Signal an all jene, die sich fragten, ob das denn wirklich zu schaffen sei: erneut tausende Flüchtlinge, diesmal aus der Ukraine, aufzunehmen, für Unterkunft und Betreuung zu sorgen, Sprachkurse und Schulraum zu organisieren. Es funktionierte, dank vieler privater Hilfen auch besser als vermutet, doch der Sommer der Leichtigkeit, er scheint vorbei. Mit der kühleren Jahreszeit steigen die Flüchtlingszahlen – und die Sorge, dass manches aus den Fugen geraten könnte.

Dabei ist ja noch Platz, vielhundertfach: Während einige Städte schon über die Unterbringung geflüchteter Menschen in Turnhallen nachdenken, kann die Stadt Essen, so scheint es, bislang aus dem Vollen schöpfen: Von 2083 Plätzen in einem Dutzend Notunterkünften, vom alten Marienhospital in Altenessen bis zur Jugendbildungsstätte des Bistums in Kettwig, sind knapp 1500 Plätze belegt, eine Quote von 72 Prozent. Und da ist das ehemalige Dorint-Hotel an der Müller-Breslau-Straße in Rüttenscheid noch gar nicht eingerechnet.

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Oberbürgermeister Thomas Kufen findet: „Das Land muss seine Hausaufgaben machen“

Allein: In der landesweit errechneten Erfüllungsquote liegt Essen derzeit nur noch bei gut 83 Prozent, was bedeutet: Um die 100 vollzumachen, müsste die Stadt nicht weniger als noch 1260 Personen aufnehmen.

Es dürfte dieser Ausblick und eine im Wortsinne unberechenbare Flüchtlingswelle in Herbst und Winter sein, die Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen zu mahnenden Worten, auch an die eigene Landesregierung bewog: Das Land, so formulierte der OB in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Städtetages NRW, müsse „seine Hausaufgaben machen“: Erstens „schnellstmöglich die Kapazitäten in den eigenen Landeseinrichtungen aufstocken“, zweitens verlässliche Zahlen liefern, damit klar wird, wie viele Unterbringungsmöglichkeiten die Städte vorhalten sollen. Und drittens eine Übernahme der Kosten für die vorsorglich geschaffenen Plätze und Notunterkünfte übernehmen.

Auch die Flüchtlingszahlen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak steigen wieder

Dabei geht es keineswegs nur um ukrainische Familien, auch wenn sie infolge des russischen Angriffskrieges nach wie vor die größte Gruppe der Geflüchteten stellen: Von den knapp 1500 Bewohnerinnen und Bewohnern in den zwölf Notunterkünften der Stadt stammen 887 aus der Ukraine. Doch immerhin 609 Personen flohen aus anderen Ländern nach Essen, die meisten wie gehabt aus Syrien, Afghanistan und dem Irak.

Sie kommen über die sogenannte Balkan-Route ins Land, und auch aus Südosteuropa selbst werden mit der kalten Jahreszeit wieder mehr Flüchtlinge erwartet. Zahlen? Da ließe sich nur rätseln, sagt Stadt-Sprecherin Silke Lenz, während der Oberbürgermeister eine „faire Verteilung auf die Kommunen“ erwartet.

Über 1600 geflüchtete Kinder aus der Ukraine sind im Schulalter von 6 bis 17 Jahren

Denn die Menschen unterzubringen, kann ja auch nur der erste Schritt sein. Integration, das bedeutet eben auch: Plätze in Kitas und Schulen bereitzustellen, doch gerade hier hakt es zunehmend, Schulraum ist Mangelware. Kein Wunder, denn allein unter den Flüchtlingen aus der Ukraine sind mehr als 2200 minderjährig und über 1600 im Schulalter von 6 bis 17 Jahren.

Alles im Griff? Nein.