Essen. Bei der Awo haben sich die Energiekosten verzehnfacht, das bekommen Bewohner zu spüren. Auch andere Träger stöhnen – die Politik ist alarmiert.
Als es los ging mit der teuren Energie, da wähnte sich Essens Arbeiterwohlfahrt auf der sicheren Seite: Ihr günstiger Vertrag mit dem Osnabrücker Anbieter Q1 war schließlich erst 2021 für vier Jahre abgeschlossen worden, alles sicher also. – Denkste: Q1 machte von einem Sonderkündigungsrecht Gebrauch, zwang die Awo damit, einen neuen Vertrag abzuschließen. Und jetzt zahlt der Wohlfahrtsverband für Strom und Gas statt 800.000 Euro satte acht Millionen.
Richtig gelesen: das Zehnfache. Mit dramatischen Folgen.
Denn größter Posten sind die Pflegeheime, bei denen die Kosten weitergereicht werden. Und bei hunderten Bewohnerinnen und Bewohnern der sechs Awo-Einrichtungen zwischen Karnap und Kettwig schmilzt damit auch die letzte finanzielle Reserve dahin. 500 Euro Mehrbelastung im Monat, da müssen selbst gutsituierte Rentner kapitulieren: Sie sind fortan, wie zuvor schon 270 Mitbewohner, auf „Hilfe zur Pflege“ angewiesen – so heißt das, wenn das Sozialamt die Pflegekosten übernimmt.
Die Stadt will gewappnet sein
Nicht nur der aktuelle Preissprung bei den Energiepreisen besorgt die Stadtspitze: Sollten die Preise so hoch bleiben, laufe man vor allem in der übernächsten Heizperiode 2023/24 auf ein großes Problem zu.
„Darauf müssen wir uns vorbereiten“, sagte Oberbürgermeister Thomas Kufen am Mittwoch vor dem Hauptausschuss des Rates. Die aktuellen Einmal-Zahlungen helfen nach seiner Ansicht im Zweifel nicht viel weiter: „Wenn die Rechnung im März kommt, sind die wahrscheinlich schon ausgegeben.“
Viele scheuten Hilfsanträge – manche aus Scham, andere aus Frust, viele aus Unkenntnis
„Das macht was mit den Menschen“, glaubt Martin Gierse, Vorstand des Diakoniewerks Essen, das sich in einer ähnlichen Lage befindet wie die Kollegen von der Awo. Er rechnet mit einer Vervierfachung der Energiekosten auch in seinen drei Häusern, „mindestens“. Und da sind die gestiegenen Spritkosten für die ambulante Pflege oder die höheren Lebensmittelpreise noch nicht einmal berücksichtigt.
Diakonie oder auch Caritas steht bevor, was die Awo schon hinter sich hat: Verhandlungen mit der Stadt über die Pflegesätze ihrer Einrichtungen, aber als gesichert gilt die Erkenntnis, dass am Ende viele Menschen in die sozialen Sicherungssysteme fallen und sich damit sehr sehr schwer tun: Viele hatten schon zuvor Ansprüche, verfolgten diese aber nicht – manche aus Scham, andere aus Frust, viele aus Unkenntnis.
„Vor allem für kleinere Träger könnte das schwierig werden“, sagt Awo-Mann Kern
Jetzt bleibt ihnen nichts anderes mehr übrig, und nicht nur Awo-Geschäftsführer Oliver Kern zeigt sich froh, einem großen Verband vorzustehen, der von sich sagen kann, in diesem Jahr höhere Kosten etwa für die Arbeitsfelder Jugend und Bildung wegstecken zu können. „Das kriegen wir hin. Vor allem für kleinere Träger könnte das dagegen schwierig werden“, so Kern. Diakonie-Mann Gierse pflichtet bei: „Die Kleinen können kaum ausweichen. Wir Großen haben kein akutes Liquiditätsproblem, aber das ist ja keine dauerhafte Perspektive.“
Im Extremfall müssten also defizitäre Angebote einkassiert werden. Doch bis es so weit ist, spart man, wo man kann, redet über Durchflussbegrenzer an Wasserhähnen, energiesparende Behörden-Thermostate, die Frage von höher aufgeheizten Aufenthaltsräumen und setzt klare Bau-Prioritäten: „Bevor wir irgendwo einen schicken Fußboden legen“, so Gierse, „schauen wir lieber: Sind die Fenster noch okay?“
Finanz-Garantien für Sportvereine liegen ebenso auf Eis wie ein Härtefallfonds
Einen finanziellen „Schutzschirm“ erhofft sich die Diakonie, „die Politik sensibilisieren“ will Awo-Chef Kern. Aber die scheint schon empfindsam genug, was in diesem Fall heißt: Sie ist einigermaßen ratlos, wie es weitergehen soll. Noch fehlt der Überblick, wo in der Stadt welche Finanzlöcher zu stopfen sind, „wir müssen abwarten, bis belastbare Zahlen vorliegen“, zuckt Dirk Kalweit, CDU-Sprecher im Sozialausschuss des Rates, mit den Achseln.
Klar ist: Was auf den städtischen Haushalt an zusätzlichen Kosten zukommt, „wird nicht unerheblich sein“, schwant Sozialamts-Leiter Stephan Bode. Genauer fassen lässt sich das derzeit nicht. Stadtkämmerer Gerhard Grabenkamp hat für den 2023er Etat 20 Millionen Euro zusätzlich locker gemacht. Ob das reicht? Die Politik hält den Atem an und auch manchen Antrag: Finanz-Garantien für Sportvereine liegen vorerst ebenso auf Eis wie der Vorschlag für einen Härtefallfonds. Stattdessen behilft man sich mit einer Resolution, die der Rat am Mittwoch kommender Woche an Bund und Land richten will.
Wie immer, wenn er sich hilflos fühlt.