Essen-Frohnhausen. Mitten in Essen-Frohnhausen entsteht in der Wickenburgsiedlung ein Wohnprojekt für lesbische Frauen. Was das mit dem Thema Alter zu tun hat.
Alt werden in den eigenen vier Wänden, frei in den persönlichen Entscheidungen und doch nicht allein: Was gemeinhin als Ideal des Alterns gehandelt wird, ist auch das Ziel von Barbara Raasch (64) und ihren Mitstreiterinnen. Ihr Projekt jedoch setzt einen besonderen Akzent: Sie engagieren sich in der Wickenburgsiedlung in Frohnhausen für gemeinschaftliches Wohnen mit Lesben im Alter. Unterstützung kommt von der Stadt und vom Allbau.
Wie möchte ich alt werden? Und mit wem? Fragen wie diese, sagt Raasch, Vorstandsmitglied im Verein Frauenliebe im Pott (FLiP), seien ihr in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden. Eine Antwort stand dabei stets fest: „Ich möchte auch mit lesbischen Frauen alt werden; Frauen, mit denen ich seit 35 Jahren meine Geschichte teile.“
Zugleich sei ihr bewusst geworden, „wie ideal ich hier seit 13 Jahren in der Wickenburgsiedlung lebe“. Grüne Innenhöfe, anspruchsvolle Krupp-Architektur, das Mühlbachtal gleich um die Ecke: Die Siedlung ist gut angebunden und bietet mit rund 700 Wohnungen zwischen 32 und 111 Quadratmetern Alleinstehenden wie Familien ein Zuhause. Und genau diese Vielfalt ist ein zentraler Aspekt des lesbischen Wohnprojektes.
Lesbisch-schwules Generationenprojekt
Dessen Ursprünge indes gehen zurück bis ins Jahr 1997. Damals entwickelte die Stadt gemeinsam mit verschiedenen Initiativen ein Handlungskonzept, um, berichtet Astrid Gabb (52) von der Aidshilfe Essen, „Lesben und Schwule im Stadtgebiet sichtbar werden zu lassen und angstfreie Räume zu schaffen“. Seit 2019 koordiniert Gabb gemeinsam mit FLiP das aus dem Konzept hervorgegangene lesbisch-schwule Generationenprojekt. Ihre Stelle wird von der Stadt Essen finanziert; jeweils jährlich verlängert, eine Dauerförderung ist bislang nicht in Sicht. Zuletzt war hier die Schulung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bereich des ambulant betreuten Wohnens im sensiblen Umgang mit queeren Senioren Thema. In diesem Jahr nun steht der Aspekt Wohnen im Fokus, unter anderem über das Frohnhauser Projekt.
Auf der Couch von Barbara Raasch an der Bramkampstraße sitzen an diesem Tag auch Petra Behrens (62) und Burgis Zissig (70). Behrens wird bald in die Wohnung unter Raasch einziehen; Zissig stammt aus dem Rheinland und sucht noch nach passenden Räumen in der Siedlung. Denn das ist der Kern des Projektes: Die Frauen wohnen nicht zusammen, sondern in eigenen Wohnungen im Wickenburg-Quartier, unterstützen sich jedoch bei Bedarf, etwa beim Einkaufen oder bei Behördengängen, oder sie verbringen die Freizeit zusammen. „Eben gegenseitige Hilfe, wenn es irgendwann mal nicht mehr so rund läuft“, sagt Raasch. Ein Wunsch, der sich ein Stückweit mit den grundsätzlichen Bedarfen älterer Menschen deckt. Warum also ein lesbisches Wohnprojekt? Anders gefragt: Warum spielt die sexuelle Orientierung beim Thema Wohnen im Alter überhaupt eine Rolle?
Andere Biografien und Lebenserfahrungen
Weil lesbische Frauen, sagt Behrens, häufig eine andere Biografie haben als heterosexuelle Frauen: „Viele von uns haben keine Kinder, keine Enkel; viele haben zudem wenig oder gar keinen Kontakt zu ihrer Ursprungsfamilie. Sich als lesbische Frau zu outen, war vor 30, 35 Jahren einfach etwas anderes als heute. Das heißt, wir müssen uns noch mal anders vernetzen im Alter als andere ältere Menschen, obwohl es da natürlich auch viele gibt, die mutterseelenallein sind, obwohl sie Kinder haben.“ Für sie wie für die anderen Frauen im Projekt sei es wichtig, so alt zu werden „wie ich immer schon gelebt habe“, also „mittendrin“, mit Männern, mit heterosexuellen Paaren, einem vielfältigen Freundeskreis – und eben mit lesbischen Frauen. Das Komplettpaket also: Menschen mit Verständnis für die eigene Biografie und die teils schwierigen, auch homophoben Lebenserfahrungen. Und das alltägliche Leben drumherum.
Ein Wunsch, der für die queere Gemeinschaft als solche keinesfalls selbstverständlich ist. Eine zweite Gruppe des lesbisch-schwulen Generationenprojektes etwa geht genau den gegensätzlichen Weg und sucht derzeit ein Haus, um dort gemeinsam und „für sich“ leben zu können. Das Ergebnis unterschiedlicher Lebensläufe.
Projekt ist wie ein „zweites Outing“
Tatsächlich, sagt Raasch, sei der Schritt, das Frohnhauser Wohnprojekt öffentlich zu machen, für sie so etwas wie ein zweites Outing, „das, so vermute ich, überwiegend auf offene interessierte Menschen trifft, doch genau so auch homophobe Abwertung erfahren wird“. Auch Gabb kennt die Sorgen vieler Lesben und Schwulen, „wenn diese sich geballt in einer Straße, einem Haus“ ansiedeln: „Das ist dann schnell das Lesben-Haus, und manche machen einen Bogen drum herum. Dinge wie die Post anzunehmen sind plötzlich nicht mehr selbstverständlich.“
Treffpunkt: Zentrum 60plus am Messings Garten
Das Projekt „Gemeinschaftliches Wohnen mit Lesben im Alter“ trifft sich jeden zweiten und vierten Dienstag eines Monats jeweils von 19 bis 21 Uhr im Zentrum 60plus, Messings Garten 4. Anmeldung unter 8778990 oder per Email an zentrum 60plus@contigo-ruhr.de. Interessierte Frauen können sich an Barbara Raasch und Astrid Gabb wenden: flip-wohnen@gmx.de oder a.gabb@aidshilfe-essen.de.
Gerade die Mitarbeiter des in der Siedlung beheimateten Zentrums 60plus hätten jedoch gezeigt, dass es auch anders geht: „Hier hat man uns offen und freundlich empfangen.“ Bei den angebotenen Kursen – von Dart bis Tanz – geraten die Frauen regelrecht ins Schwärmen. Auch FLiP wird im Zentrum künftig eigene Projekte anbieten; vorstellbar sei auch ein Bouleplatz im Innenhof.
Unterstützung auch vom Allbau
Der Allbau unterstützt das Vorhaben, wenngleich Interessentinnen bei der Wohnungsvergabe nicht bevorzugt behandelt werden. Seniorenbeauftragte Silvana Springer: „Als kommunales Wohnungsunternehmen sind uns soziale Fragestellungen sehr wichtig. Aktuell altert eine Generation von queeren Menschen, die im Verlauf ihres Lebens immer wieder Diskriminierungserfahrungen machen mussten. Daher ist es mir als Seniorenbeauftragte auch ein wichtiges Anliegen, ihnen ein sicheres Altern in einer toleranten Nachbarschaft zu ermöglichen, in der sich die Menschen kennen und unterstützen.“
Die Fluktuation in der Wickenburgsiedlung, sagt Raasch, liegt derzeit bei zehn Prozent. „Was Hoffnung macht, dass weitere Frauen hier einziehen werden.“ Anfragen, wenngleich nicht alle akut, gebe es bereits. Und das selbst aus Köln.