Essen-Altenessen. Im März 1943 wurde Essen bombardiert. So erging es Resi Schoppen, die es nicht mehr in den Bunker am Bahnhof Altenessen geschafft hatte.
Normalerweise heulten während des Zweiten Weltkriegs die Sirenen los und sofort flüchteten die Menschen in den nächstgelegenen Bunker. An jenem Nachmittag im März 1943 sei aber keine Zeit mehr gewesen, um loszulaufen. Die Bomben fielen unmittelbar nach dem Warnton, erinnert sich Resi Schoppen, die damals als sechsjähriges Mädchen in Altenessen gelebt hat.
Viele Tote bei Luftangriff auf Altenessen im Jahr 1943
„Wir haben uns dann im Keller unseres Hauses zwischen die tragenden Wände gestellt, wie es uns unser Vater beigebracht hatte“, erzählt die heute 85-Jährige, die damals in der Hömannstraße, heute Wilhelm-Nieswandt-Allee, gewohnt hatte. Es sei furchtbar gewesen, das Haus habe gewackelt, die anderen Bewohner, die ebenfalls im Keller waren, hätten geschrien. Irgendwann war es vorbei, die Wände von Wohn- und Schlafzimmer seien durch den Luftdruck weggeflogen, das Haus selbst war von den Bomben verschont geblieben.
Sie sei dann zu ihrer Oma gelaufen, die am Altenessener Bahnhof gelebt hatte. Auch sie hatte zwischen den Stützwänden ausgeharrt und als einzige Bewohnerin ihres Hauses überlebt: „Die Oma mussten wir mit Händen und Schaufeln ausgraben – oh Graus.“ Glaubt man den Augenzeugen, muss es damals viele Tote in Altenessen gegeben haben. Denn auch der Bunker unweit des Altenessener Bahnhofs wurde von einer Bombe getroffen.
Schwersten Luftangriffe auf Essen im März 1943
Ortshistoriker Christoph Wilmer hat zusammen mit dem Lesebuchkreis für den Altenessener Kalender 2023 Informationen über diese Zeit zusammengetragen: „In den ersten Märztagen 1943 fanden die schwersten Luftangriffe auf Essen statt. Nicht punktuell, sondern auf die Fläche gezielt, in einer vorher nie gekannten Brutalität gehörten die Industriebetriebe, die Verkehrswege, aber auch die Zivilbevölkerung zu den Zielen.“
Zum Lesebuchkreis gehörte auch eine weitere ältere Dame, die mittlerweile gestorben ist. Damals hatte sie ein Geschäft in Altenessen betrieben. An jenem Abend sei sie nach eigenen Angaben zu Besuch bei Bekannten im Palmbuschweg gewesen. Auch sie hatte den Bunker nach dem Sirenenalarm nicht mehr erreicht. Zu ihrem Glück, wie sie Christoph Wilmer erzählte, denn der Bunker sei in jener Nacht von den Bomben getroffen worden, viele ihrer Nachbarn waren tot. Das sei auch für jene fatal gewesen, die sich vom Bahnhof noch dorthin gerettet hatten. Die Züge wurden angehalten, die Reisenden sollten aussteigen. Doch alle, die es in den Bunker geschafft hatten, starben wohl an jenem Abend.
Schweinemarkt in Altenessen musste zwischenzeitlich schließen
Lesebuchkreis Altenessen freut sich über Verstärkung
Die Mitglieder des Lesebuchkreises Altenessen kümmern sich darum, die Geschichte ihres Stadtteils aufrecht zu erhalten. „Wir würden uns wünschen, dass die Identität mit dem Stadtteil wieder zunimmt und möchten Altenessen mit einer bestimmten Wertschätzung behandelt wissen“, erklärt der Leiter und Ortshistoriker Christoph Wilmer.
Die Mitglieder freuen sich jederzeit über Verstärkung. Wer dabei sein will, meldet sich bei Christoph Wilmer per E-Mail an cw@cwilmer.de.
Wer es auch nicht schaffte: die Schweine vom angrenzenden Schweinemarkt. „Fürchterlich, die liefen schreiend herum oder lagen blutend auf der Straße“, erinnert sich Resi Schoppen noch heute. Bis zum Jahr 1949 gab es dort keinen Schweinehandel mehr. 1962 schloss der Markt dann endgültig. Das lag aber eher daran, dass aus der Schweinezucht mit den Jahren ein Massenbetrieb geworden war und sich der Markt in Altenessen nicht mehr lohnte.
Der Bunker steht jedoch noch heute an der Krablerstraße Richtung Altenessener Straße auf der rechten Seite. Im Damm der Eisenbahnstrecke sieht man eine rotgemauerte Wand. Darin zwei zugemauerte ehemalige Eingänge und ein kleines Fenster. Dahinter ein kahler Raum aus Beton in den jemand Sperrmüll geschmissen hat. „Der Bunker wurde offenbar in Holzausbauweise wieder instandgesetzt“, erklärt Wilmer. Im Dezember 1943 sei das Gebäude in der Auflistung der Ortsgruppe wieder genannt worden. Später wurde er endgültig verfüllt.
Christoph Wilmer möchte noch mehr Informationen über den Bunker sammeln: „Wir haben derzeit nur bruchstückhafte Informationen über diese Nacht im März 1943 und recherchieren weiter. Die Quellenlage ist schwierig, weil es im Krieg natürlich keine Zeitungsberichte über solche Ereignisse gab, auf die man sich heute stützen könnte.“
Von Tuchtfeld zurück nach Essen in die Rahmschule
Einige Zeitzeugen, wie Resi Schoppen, leben noch. Sie flüchtete nach den Angriffen mit ihrer Mutter und ihrem Bruder in einem Güterwaggon ins sichere Tuchtfeld in der Nähe von Halle an der Weser, rund 250 Kilometer von Essen entfernt. Der Vater musste zurückbleiben, er hatte eine Flak in Bergeborbeck zu bewachen. Auch das sei eine harte Zeit gewesen: „Es gab ja noch kein Telefon, wir konnten nur ab und zu Briefe schreiben, um zu hören, ob er noch lebt.“ In Tuchtfeld war die Familie in Sicherheit, das kleine Dorf war nicht das Ziel der Alliierten. „Wir sahen nur das Bombengeschwader wie Silberfische am Himmel Richtung Ruhrgebiet fliegen“, erzählt die Seniorin, die dann immer große Angst um ihren Vater hatte.
Sie selbst wurde in Tuchtfeld eingeschult und verlebte die ersten Schuljahre dort, bis der Krieg vorbei war: „Irgendwann kamen die Amerikaner und haben uns Kaugummis geschenkt“, erinnert sich Schoppen. Die Zuckerkruste hätten sie abgeknabbert, der Rest der Süßigkeit sei ihnen suspekt vorgekommen. 1946 sei sie dann wieder nach Essen gekommen, der Vater hatte tatsächlich überlebt und Resi Schoppen wurde von da an in der Rahmschule unterrichtet, die es auch heute noch gibt.