Essen. Viele der rund 150 Gäste beim Kanzlergespräch auf Zollverein zeigten sich sehr angetan von Olaf Scholz – auch wenn der manche Antwort umschiffte.
Ob sie es Olaf Scholz gesagt haben? Dass der weiße Sanaa-Würfel auf Zollverein, in dem er an diesem Abend zum „Kanzlergespräch“ einlädt, bei all seiner Anmut ein Symbol des Scheiterns ist? Große Pläne – allesamt geplatzt. Über 130 Fenster – aber keine echten Aussichten auf irgendeinen nachhaltigen Nutzen. Ein baufälliges Millionengrab, schon wenige Jahre nach seiner Errichtung, und doch: auch ein schönes Ambiente, um mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Die an diesem Abend gekommen sind, finden: Mit dem Kanzler hat das super geklappt.
Selbst wenn man, wie Peter Liedtke (70) seine Frage zum Bürokratie-Abbau trotz eines unermüdlich hochgereckten Aufzeigefingers 90 Minuten lang nicht losgeworden ist. Halb so wild, findet der 70-jährige Rentner, „es war auch so ein gelungener Abend“. Was am Format gelegen habe, einerseits, und an der Art, wie Olaf Scholz kommuniziert: „sehr professionell“.
Dialog Nr. 3
Das Kanzlergespräch in Essen war nach Lübeck und Magdeburg das dritte von insgesamt 16, die Bundeskanzler Olaf Scholz jeweils einen Abend in alle Bundesländer führen werden.
Was bewegt die Menschen, welche Erwartungen haben sie an die Politik? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der Treffen.
Welche Fragen angesprochen werden, entscheiden die teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger, auf Zollverein etwa 150 an der Zahl. Die mussten sich bewerben und wurden dann ausgelost.
Viele mögen die ruhige Art des Kanzlers: „Krachmacher haben wir doch genug“
„Sehr cool“, sagen andere. Und Petra Haberhausen kann nur beipflichten: „Sehr authentisch“ sei der Kanzler rübergekommen, habe „relativ klar geantwortet und sich gut verkauft“, bei einigen Themen allerdings auch „ganz schön herumlaviert“. Die 58-Jährige nimmt ihm das dennoch nicht übel: „Das ist halt das Politiker-Gen. Nicht böse gemeint: Es gibt im Bundestag wahrscheinlich Schulungen, um viel zu reden und nicht viel zu sagen.“
Von wegen „Scholzomat“, von wegen Kanzler, „der auf Fragen entweder nicht oder dreimal anders antwortet“, wie Moderator Markus Lanz einmal befand. Karin Gerhard (66) mag die ruhig, bedächtige Art des Kanzlers: „Krachmacher haben wir in der Politik doch genug gehabt, in Deutschland und in der Welt.“
Auch draußen vor der Tür hält sich der Protest gegen Scholz in engen Grenzen
Keine Frage, hier drinnen in den erhaben wirkenden Design-Räumen des Zollverein-Würfels sind die Internet-Pöbler und verbalen Tomaten- und Faule-Eier-Werfer aus der Facebook-Kommentarspalte nicht vertreten. Auch draußen vor der Tür hält sich der Protest in engen Grenzen: Ein Dutzend Demonstranten hat sich auf der anderen Straßenseite postiert, 30 Meter weiter halten Vertreter von Umweltverbänden RWE-Mahnwache.
Sie bekommen nichts mit von der Charme-Offensive, der selbst Dennis Straßmeier erliegt: Der 37-jährige Polizist „mag den Scholz ja eigentlich nicht“, aber irgendwas muss doch passiert sein an diesem Abend, dass er sich am Schluss doch noch zum Erinnerungsfoto neben ihn stellt: „Ich muss zugeben, dass er heute klare Antworten gegeben hat, die ich in der Vergangenheit in der politischen Diskussion vermisst habe.“
Zwei Dutzend Fragen – und zwei Dutzend Regierungserklärungen im wörtlichen Sinne
„Souverän“, lobt Uwe Skoczypik aus dem Südviertel, „vor allem, dass er zu so vielen Fragen was sagen konnte“. „Und das aus dem Stand“, ergänzt Barbara Stuba, die „nach 16 Jahren ,Mutti’ doch gewohnt war, dass nicht viel gesagt wird“. Zumal: „Er wusste ja nicht, was auf ihn zukommt“.
Gut zwei Dutzend Fragen gab es in den 90 Minuten, und für jede nahm sich der Bundeskanzler ein Vielfaches jener Zeit, die ihm ansonsten in Interviews oder Talkrunden zugestanden wird: Gut zwei Dutzend Regierungserklärungen also im wörtlichen Sinne, für die gute Frage danken, den Rahmen beschreiben, die Antwort skizzieren: einerseits – andererseits.
So glatt wie alles lief – manch einer kam das doch „ein bisschen zu inszeniert vor“
Yvonne Abrahams, alles in allem „positiv überrascht“, kam das jedoch „ein bisschen zu inszeniert“ vor, „wie aus der Konserve“: aufmachen und auslöffeln. Und so sehr sie den Scholzschen Stil mag, „auf viele Fragen gab es keine Antwort“, weshalb sie ihrer Nachbarin am Ende zugeraunt hat: „Schlauer bin ich nicht.“
Ali Kaan Sevinc sieht das ganz anders: „Olaf Scholz führt gut unser Land“, sagt er, obwohl seine in eigener Sache gestellte Frage nach befristeten Jobs nicht erschöpfend beantwortet werden konnte. Aber das muss nicht sonderlich erstaunen, weil der 25-Jährige die SPD in Frohnhausen und Altendorf führt und dem Genossen Kanzler beim Foto womöglich zuflüsterte: Er sei einer derer, die Ex-Kanzler Schröder aus der Partei werfen wollen.
Der OB lobt den Kanzler ein wenig, findet die Stimmung aber, na ja, „hanseatisch“
Und was sagt Essens Oberbürgermeister, der als Kommunikationsprofi gilt und sich den Abend aus einer der hinteren Reihen anschaute? Er sei „ein großer Fan von solchen Dialogformaten“, meint Thomas Kufen, Politiker bekämen da „einen guten Einblick, was die Menschen aktuell bewegt“. Scholz habe sich „wacker geschlagen. Insgesamt aber war trotz des Ruhrgebiets-Charmes beim Publikum die Stimmung eher hanseatisch“.
Ablesbar bei der „Aufwärm“-Runde im Publikum vor dem Kanzlerauftritt: „Wird es im Anschluss Bier geben?“, fragte da jemand unverblümt. Die Moderatorin bedauerte: Es werde wohl beim Wasser bleiben.
Und so kam es auch.