Essen. Täglich erleben Zusteller gefährliche Attacken durch Hunde. Um sie besser zu schützen, schult die Post ihre Mitarbeiter, wie jüngst in Essen.

Lautes Hundegebell hallt über den Betriebshof. Hechelnd zerrt Chip an der Leine. Uwe Graute hält den belgischen Schäferhund mit aller Kraft. Plötzlich aber lässt er die Leine los und der Rüde springt vorwärts und verbeißt sich in das Kissen, das Judith Wallerschen ihm tapfer entgegenhält. Hundeangriff gestanden. „Gut gemacht.“ Michael Pfaff klopft der 22-Jährigen anerkennend auf die Schulter.

Uwe Graute und Michael Pfaff sind erfahrene Hundetrainer. Am Mittwochvormittag waren sie wieder einmal zu Gast bei der Deutschen Post DHL an der Daniel-Eckhardt-Straße in Essen-Vogelheim. Ihre Aufgabe: 13 neue Auszubildende im Umgang mit Hunden zu schulen. Denn beide Hundekenner wissen: An so mancher Gartenpforte geht die Post ab, wenn der Paketbote klingelt.

Jeden Tag werden bundesweit Zustellerinnen und Zusteller von Hunden angegriffen. 1800 Fälle zählte die Deutsche Post DHL im vergangenen Jahr. Die meisten davon gingen nicht gerade glimpflich aus, sondern führten dazu, dass die Postmitarbeiter einen oder mehrere Tage im Dienst ausfielen. Und das Phänomen ist nicht gerade kleiner geworden, seit sich in der Corona-Pandemie mehr Haushalte einen Vierbeiner zugelegt haben.

Hundetrainer Michael Pfaff erklärt den Auszubildenden nach den Übungen, was sie gut und welche Fehler sie gemacht haben.
Hundetrainer Michael Pfaff erklärt den Auszubildenden nach den Übungen, was sie gut und welche Fehler sie gemacht haben. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Der Essener Ausbildungsleiter Sebastian Wegschneider ist in seinen zwölf Jahren als Zusteller einmal von einem Dackel in die Wade gebissen worden. „Das war nicht nur schmerzhaft, sondern danach hatte ich deutlich mehr Angst vor Hunden, weil ich nicht wusste, was ich falsch gemacht habe.“

Damit es möglichst nicht zu solchen traumatischen Begegnungen mit den Vierbeinern kommt, trainiert die Deutsche Post regelmäßig ihre Beschäftigten. Für die Azubis gehört das Hundetraining in Theorie und Praxis schon wenige Wochen nach Ausbildungsbeginn zum Lehrplan.

Tipp 1 des Hundetrainers: Hunde am besten ignorieren

Michael Pfaff unterscheidet dabei drei Arten von Zustellern: die Angstvollen, die Hundeflüsterer und die, die es schaffen, den Hund zu ignorieren, egal wie aggressiv dieser bellt und knurrt. Die Statistik zeige, dass die zuletzt Genannten seltener gebissen werden, macht Pfaff klar. Genau das will er an diesem Vormittag den 13 jungen Leuten vermitteln.

Gelassen bleiben, keine Angst zeigen – das ist jedoch leicht gesagt. Die Hundetrainer haben eine hüfthohe Mauer aus gelben Plastikboxen aufgebaut. Sie soll einen Gartenzaun darstellen. Uwe Graute baut sich dahinter mit Schäferhündin Demi auf. Mit langsamen Schritten nähert sich Joel Braun. Graute fordert ihn auf, ihm das Paket zu geben. Doch Demi gibt laut bellend zu verstehen, dass sie den anrückenden Paketboten nicht als ihren Freund betrachtet. Als Joel Braun das Paket mit einem schnellen Handgriff über den Zaun reicht, schnappt Demi zu. Der Karton ist in wenigen Augenblicken in Fetzen zerrissen.

Tipp 2: In gefährlichen Situationen auf Distanz bleiben

In der Praxis ist der 18-Jährige Joel Braun als Briefträger viel mit dem Fahrrad unterwegs. Begegnungen mit Hunden sind da alltäglich. In der Übung hat er sich jedoch selbst in Gefahr gebracht. „Warum bist du so nah an den Zaun herangetreten?“, fragt ihn Michael Pfaff und betont nachdrücklich: „Wenn es zu gefährlich wird, dann sollte man sich nicht nähern!“

Schäferhund Chip springt auf den Zusteller-Azubi zu und verbeißt sich in das Kissen. Der Postbote muss mit aller Kraft versuchen, den Hund auf Distanz zu halten. Anschließend gibt es Lob von Hundetrainer Michael Pfaff (rechts).
Schäferhund Chip springt auf den Zusteller-Azubi zu und verbeißt sich in das Kissen. Der Postbote muss mit aller Kraft versuchen, den Hund auf Distanz zu halten. Anschließend gibt es Lob von Hundetrainer Michael Pfaff (rechts). © JGR

Die Übung zeigt den Auszubildenden: Wenn es darauf ankommt, müssen sie Selbstbewusstsein auch gegenüber dem Kunden oder der Kundin zeigen. „Der Kunde bestimmt nicht“, macht Pfaff klar. Wenn es dem Zusteller zu gefährlich erscheint, sollte er das Paket in sicherer Entfernung ablegen und sich langsam entfernen – dabei dem Hund aber ja nicht den Rücken kehren, mahnt Pfaff.

Hundehalter sind verpflichtet, eine gefahrlose Zustellung sicherzustellen

Am Ende des knapp einstündigen Trainings fühlen sich die Azubis gewappneter. „Es war schon beeindruckend, zu sehen, was ein Hund für eine Kraft hat. Ich habe zwar keine Angst, aber ich werde künftig vorsichtiger sein und Hunden mit mehr Respekt begegnen“, zieht Fabian Lenhart sein Fazit aus der Schulung.

Auch wenn die Zusteller und Zustellerinnen auf diese Weise sicherer im Umgang mit Hunden werden, so richtet Postsprecher Dieter Schuhmacher einen Appell besonders an die Hundehalter. „Hundebesitzer sind in der Verantwortung, das Verhalten ihres Tieres zu kontrollieren und dafür zu sorgen, dass es zu keinem Unfall kommt.“ Wenn die Situation immer wieder eskaliert, könne ein Kunde auch von der Zustellung ausgeschlossen werden. Das sei aber die Ultima Ratio. Manchmal reicht es vielleicht schon, wenn der Briefkasten für den Zusteller außen am Gartenzaun hängt.